Porträt

Martin Hikel: Der Problemlöser

Karin Billanitsch28. Dezember 2023
Ob im Blumenladen oder auf der Gedenkveranstaltung: Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel mag es, jeden Tag auf die Menschen seines Bezirks zu treffen.
Der Berliner Bezirk Neukölln ist ein spannungsgeladenes Umfeld. Bürgermeister Martin Hikel sieht sich als Vermittler in gesellschaftlichen Konflikten und kämpft für soziale Gerechtigkeit.

Wer sich im Netz über Martin Hikel informieren will, dem wird in der Liste der Suchvorschläge nach „Neukölln“ sofort „Größe“ angezeigt. Mit seinen 2,08 Metern ragt der Bezirksbürgermeister regelmäßig aus seinem Umfeld hervor. Er wirkt an diesem Tag Mitte November leicht übernächtigt. Der Bezirk Berlin-Neukölln, dessen Verwaltung der Sozialdemokrat schon seit März 2018 leitet, kommt zur Zeit nicht aus den Schlagzeilen. Hikel ist als Interviewpartner gefragt. Seit in der Berliner Sonnenallee, unweit vom Rathaus, antiisraelische Anhänger des palästinensischen Netzwerks „Samidoun“ den Terroranschlag der Hamas auf Israel gefeiert haben, erklärt er den Medien, wie Neukölln tickt.

330.000 Einwohner, 150 Nationen: Der Bezirk entspricht einer Großstadt. Der nördlichste Ortsteil heißt ebenso wie der Bezirk Neukölln. Im Süden erstrecken sich die Gropiusstadt sowie die grüneren Ortsteile Britz, Buckow und Rudow. Er ist ein Bezirk der Widersprüche: Krawalle, Kriminalität und Drogen, aber auch Start-ups, renovierte Altbauten und Hipster-Cafés. In diesem Spannungsfeld bewegt sich der gebürtige Berliner Martin Hikel, Jahrgang 1986. Auf die Frage, was ihn zur Politik gebracht habe, erinnert er sich: „Ich habe angefangen, mich für Politik zu interessieren, weil ich mit der Sozialpolitik unter der Regierung Gerhard Schröder nicht zufrieden war.” Damals wurde „Hartz IV” eingeführt, begleitet von kontroversen Diskussionen. Im Jahr 2005 trat Hikel als 19-Jähriger in die SPD ein. Das drängendste gesellschaftliche Thema war für ihn damals die soziale Gerechtigkeit – und ist es bis heute. „Die SPD ist für mich immer die Partei gewesen, die sich für die Schwächeren realistisch einsetzt“, so Hikel.

Trotz der medialen Aufregung in den Tagen nach dem 7. Oktober geht der Alltag in der Bezirkspolitik weiter: An einem typischen Tag besucht Hikel die Bundesagentur für Arbeit, wo es um Ausbildungsplätze für die Jungen geht, und den ­Laden „Blumen Jette“, der nach fast 30 Jahren in der Karl-Marx-Straße schließt, eine Stolpersteinverlegung steht auf dem Plan und am Abend die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Doch die Unruhen in einigen Straßen Neuköllns sind am Rande überall Gesprächsthema.

Vermittlung und Ausgleich

Hikel sieht sich als Vermittler: Nach dem Terroranschlag am 7. Oktober hat er eine gemeinsame Erklärung der Neuköllner Zivilgesellschaft initiiert, in der sich viele Organisationen und Kirchengemeinden, auch zahlreiche arabische Verbände, dafür aussprechen – bei allen Unterschieden und Meinungsverschiedenheiten – „miteinander in Frieden und Toleranz zu leben“. Dazu sagte er: „Diejenigen, die Barrikaden anzünden und sich Scharmützel mit der Polizei liefern, das sind wenige. Wir müssen diejenigen lauter werden lassen, die eben nicht in den Hetzchor einstimmen wollen.“ Wie mit den antisemitischen Demos umgegangen wird, wollte kürzlich sogar eine Delegation aus Wien wissen.

Vermittelnd und ausgleichend

Ein positives Menschenbild, ein vermittelndes und ausgleichendes Wesen zeichnen ihn aus, ebenso wie eine unaufgeregte, strukturierte Art. Dabei wirkt er stets präsent, auch wenn sein Terminkalender eng getaktet ist. Ob er mit der Neuköllner Blumenfrau Angelika Horn plaudert oder einige Straßenzüge weiter mit ernster Miene bei der Stolpersteinverlegung mit den letzten Nachfahren der jüdischen ­Familie Michaelis spricht, derer an dem grau verhangenen Novembertag gedacht werden soll: Man merkt ihm an, dass er die Menschen gern persönlich trifft. „Das ist eines der Privilegien, die man als Kommunalpolitiker hat.“

Prominente Vorgänger aus sozialdemokratischen Reihen wie Heinz ­Buschkowsky und Franziska Giffey haben in dem Bezirk ihre politische Signatur hinterlassen. Deren Arbeit will Hikel fortsetzen. Er ist stolz auf Erfolge in seiner Amtszeit: ­aktuell unter anderem die Einweihung der Clay-Schule, die Verstetigung des Projekts „Stadtteilmütter“ oder die Einführung ­einer Parkraumbewirtschaftung. Die größte Herausforderung ist für ihn momentan die finanzielle Situation: Es gilt eine Haushaltssperre bis zum Jahresende. Hikel ist besorgt, dass vor allem bei freiwilligen sozialen Leistungen gespart werden muss. Eine der wichtigsten sozialen Fragen sind steigende Mieten.

Gentrifizierung verändert bestimmte Gebiete

Die Gentrifizierung verändert bestimmte Gebiete in Neukölln. Laut neuen Daten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung stiegen die Angebotsmieten rund um den Herrfurthplatz nahe des Tempelhofer ­Feldes im Schnitt von 5,62 Euro pro Quadratmeter in 2009 auf 17,53 Euro in 2023. Deshalb hat die SPD Neukölln auch das Thema bezahl­barer Wohnraum weit oben auf die politische Agenda gestellt.

Hikel will nicht nur zusehen, sondern selbst etwas bewirken und die politischen Zusammenhänge verstehen. Er studierte nach dem Abitur Politikwissenschaften und Mathematik. Seit 2011 – damals war er Mitte 20 – sitzt er in der BVV ­Neukölln. Seit 2016 bis zu seinem Einzug ins Rathaus unterrichtete er Mathematik an der deutsch-amerikanischen John-F.-Kennedy-Schule in Zehlendorf. „In der Mathematik lernt man die Kompetenz, Probleme lösen zu wollen und zu können.“ Tüfteln macht ihm Spaß. Eigenschaften, die er als Bezirksbürgermeister brauchen kann.

 

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