Ländliche Räume

Warum es mehr Menschen aufs Land zieht

Karin Billanitsch12. September 2023
Allmendigen in Baden-Württemberg gehört zu den Gemeinden, die zuletzt viel Zuzug erfahren haben.
Eine aktuelle Studie zu Wanderungsbewegungen in Deutschland zeigt auf, was Zuzug für ländliche Gemeinden bedeutet. Er bietet Chancen, doch ist die Integration der Neuen eine Herausforderung.

Viele Jahre galt es als ausgemacht: Dörfer und Kleinstädte waren die Verlierer des Wanderungsgeschehens in Deutschland, während vor allem größere Städte wuchsen. Das hat sich mittlerweile verändert: „Mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben auf dem Land als noch vor einem Jahrzehnt“, sagt Frederick Sixtus vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Das Institut hat gemeinsam mit der Wüstenrot-Stiftung in einer aktuellen Studie die Wanderungsstatistiken genau unter die Lupe genommen und auch ausgewählte Dörfer und Kleinstädte besucht.

Corona hat neue Landlust verstärkt

Aktuell erzielen laut der Studie „Neu im Dorf“ deutschlandweit rund zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne – ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für jede vierte Landgemeinde. Eine ähnliche Entwicklung erlebten die Kleinstädte. „Schon seit 2017 beobachten wir diese neue Landlust“, erläutert Sixtus. „Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt.“ Bemerkenswert ist, dass es dabei kaum noch eine Rolle spielt, ob die kleinen Kommunen in der Nähe einer Großstadt oder in der Peripherie liegen.

Der Zuzug ist für die kleinen Gemeinden erst einmal eine gute Nachricht. Denn die Altersgruppe, die am häufigsten aufs Land zieht, sind Eltern von zwischen 30 und 49 Jahren mit minderjährigen Kindern. So bleiben Schule und Kitas erhalten, und die Erwachsenen sind „als Fachkräfte bei ländlichen Mittelständlern sehr begehrt“, heißt es in der Studie. Auch Berufseinsteiger zwischen 25 und 29 Jahren entdecken ländliche Regionen für sich, angelockt von günstigerem Wohnraum, guter Kinderbetreuung und der Nähe zur Natur. „Doch das Leben auf dem Land muss man auch erst einmal lernen“, betont Eva Eichenauer, Mitautorin der Studie. Das hätten viele Befragte berichtet. Man müsse sich erst einmal daran gewöhnen jedem und jeder Hallo zu sagen, obwohl man sich gar nicht kennt.

Integration kein Selbstläufer

Der Zuzug stellt für kleine Gemeinden aber auch eine Herausforderung dar. „Neuzugezogene und Alteingesessene müssen das Zusammenleben aktiv gestalten“, sagt Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts. Ein „Selbstläufer“ sei eine funktionierende Dorfgemeinschaft nicht. Gerade wenn die Zugezogenen in ein Neubauviertel außerhalb der Ortsmitte ziehen, in ein „Dorf im Dorf“, braucht es Angebote, wo sich alle begegnen können.

Dabei sind auch die Verantwortlichen im Rathaus gefragt. Ein befragter Bürgermeister nennt Vereine als Integrationsmotor, um im Ort Fuß zu fassen. Es braucht zudem Ideen, um die Ortskerne zu beleben. Die Innenentwicklung sollte zuerst vorangetrieben werden, stellen die Wissenschaftler fest. Aus Brachen und Leerständen könnten lebendige Orte gemacht werden. Außerdem könnten die Gemeinden den Zuzug gestalten, indem sie nicht nur Einfamilienhaussiedlungen zulassen, sondern auch Mietwohnungen und Wohnraum für Ältere bieten. „Die Verantwortlichen sollten den demografischen Wandel im Blick haben“, appelliert Catherina Hinz. Denn trotz Zuzug bleiben viele ländliche Gemeinden auf Schrumpfkurs, wenn mehr Menschen sterben als zuwandern.

Das BBI hat sechs kleine Gemeinden, die zuletzt viel Zuzug erfahren haben, für jeweils eine Woche besucht: Allmendingen in Baden-Württemberg, Borgstedt in Schleswig-Holstein, Großhartau in Sachsen, das oberfränkische Mehlmeisel, Sanitz bei Rostock in Mecklenburg-Vorpommern und Wanfried in Hessen. Die Studie steht hier zum Download.

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