Ehrenamt

Neue Studie zur Motivation in der Flüchtlingshilfe

Karin Billanitsch16. April 2024
Mathekurs für Flüchtlinge der Flüchtlingshilfe in Velbert. Ein Beispiel für viele Engagierte in Deutschland.
In den Kommunen schlummert eine große „stille Reserve“ an Menschen, die sich ein Engagement in der Flüchtlingshilfe vorstellen können – aber bislang nicht aktiv geworden sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie.

Ohne die solidarische Unterstützung vieler Freiwilliger hätten die Kommunen die Flüchtlingswellen in 2015 und 2022 infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine kaum bewältigen können. „Die gesellschaftspolitische Relevanz der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe kann nicht hoch genug eingeschätzt werden“, betont Jan Schneider. Die Gesellschaft habe gezeigt, was in ihr steckt, so der Leiter des Bereichs Forschung beim SVR.

Altruismus wichtiges Motiv

Da das ehrenamtliches Engagement eine wichtige Säule der Flüchtlingsarbeit ist, hat der SVR gemeinsam mit der Mercator Stiftung eine repräsentative Studie zu den individuellen Motiven von Engagierten und Nichtengagierten in Auftrag gegeben. Jan Schneider vom Integrationsrat erklärte, dass die Welle der Hilfsbereitschaft oft schon nach wenigen Monaten nachgelassen habe. „Nach der ersten Euphorie bröckelt es“, so Schneider. Um diese Entwicklung aufzuhalten oder zu verlangsamen, könnte die Studie wertvolle Hinweise geben, indem die Motivation der Helfenden erforscht wird.

Drei Befragungen fanden zwischen Februar und August 2023 mit mehr als 4.000 Teilnehmenden statt. Dabei zeigte sich, dass insgesamt 45 Prozent in den letzten 12 Monaten freiwillig engagiert waren, sei es in Sport und Kultur (42 Prozent) Soziales und Gesundheit (35 Prozent). In der Flüchtlingshilfe waren 13 Prozent aktiv. Dabei ging es Unterstützung im Sprach- und Lernbereich (24 Prozent), die Unterbringung von Flüchtlingen bei sich zuhause (17 Prozent), das Sammeln von Geld- und Sachspenden (16 Prozent) sowie Freiwilligenarbeit in Erstaufnahmeeinrichtungen (12 Prozent). Weitere 51 Prozent gaben an, sich auf andere Weise durch vielfältige, nicht näher kategorisierte Tätigkeiten für Flüchtlinge engagiert zu haben.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Nora Storz führt aus, dass Flüchtlingsengagierte stärker altruistisch und politisch motiviert sind als nicht oder außerhalb des Flüchtlingsbereichs Engagierte. Das Motivranking zeigt bei den Engagierten insgesamt das soziale Motiv – also die Orientierung am Freundeskreis – als stärkste treibende Kraft, gefolgt vom (Alltags)ausgleich. Auch die Möglichkeit, sich individuell weiter zu entwickeln, spiele eine große Rolle. Am wenigsten relevant ist demnach für alle Engagementbereiche die Möglichkeit, das Engagement zur Förderung der eigenen Karriere zu nutzen.

Große „stille Reserve“

Um die Motivlagen umfassend zu untersuchen, greift die Studie auf ein etabliertes psychologisches Modell mit sechs Grundmotiven für freiwilliges Engagement zurück und erweitert sie auf acht: Soziales Motiv, individuelle Weiterentwicklung, Altruismus, Selbstwert, Selbst¬schutz, Karriereperspektive, (Alltags-)Ausgleich und politische Verantwortung.

Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist außerdem, dass sich den Befragungsdaten ein Drittel der Engagierten, die bislang nicht in der Flüchtlingshilfe tätig sind, ein solches Engagement vorstellen können. Und auch bei den bisher noch gar nicht freiwillig Tätigen gibt es einen Anteil Engagementbereiter. Das ist eine große „stille Reserve“, nämlich 26 Prozent, die vor Ort angesprochen werden könnte. Zusammengefasst heißt das: Es gibt ein großes Pozenzial an Menschen, die für Flüchtlingshilfe mobilisiert werden könnten, wenn sie gezielt angesprochen werden.

Empfehlungen für die kommunale Ebene

Allerdings sagten die Befragten auch, fehle dazu meist die Zeit. Deswegen empfehlen die Autoren der Studie, die Arbeitgebenden stärker einzubinden, damit „Freiräume für Engagement geschaffen werden.“ Außerdem legten die Befunde einen Zusammenhang zwischen Engagementbereitschaft und Demokratievertrauen nahe: „Flüchtlingshelfende sind in der Regel altruistischer eingestellt, haben einen höheren politischen Gestaltungswillen und bringen politischen Institutionen mehr Vertrauen entgegen als Nichtengagierte sowie Menschen, die außerhalb des Flüchtlingssektors engagiert sind“, heisst es. Deshalb lautet eine zweite wichtige Empfehlung, „Engagement- und Demokratieförderung stärker zu verzahnen“.

„Unsere Daten zeigen, dass sich viele Engagementbereite nicht ausreichend informiert fühlen. Hier braucht es also mehr Aufklärung darüber, wie sich Menschen konkret einbringen können – etwa durch persönliche Ansprache, Informationsveranstaltungen oder die Bereitstellung einer digitalen Plattform, auf der Hilfsgesuche gesammelt werden. Auch Menschen, die selbst einen Fluchthintergrund haben, sollten aktiv angesprochen werden“, sagt Jan Schneider.

Nicht zuletzt könnte sich die „Freiwilligenarbeit positiv auf das Selbstwertgefühl auswirken und ermöglicht, eigene Talente zu entfalten. Das sind wichtige Motive für ein Engagement und diese Motive sollten die Beteiligten auf kommunaler Ebene auch ansprechen, wenn sie das Hilfepotenzial besser ausschöpfen wollen“, resümiert Schneider.

Die Studie kann hier heruntergeladen werden.

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