Bericht im Bundestag

Tafel und Stadtmission: Wie soziales Ehrenamt modernisiert wird

Uwe Roth18. Januar 2024
Tafel-Ausgabe in Cottbus
Ehrenamtliche werden in der sozialen Hilfe händeringend gesucht. Damit Einrichtungen wie Tafel oder Stadtmission trotzdem funktionieren, muss die Arbeit professionell organisiert werden. Was sich verändert, berichteten zwei Expertinnen im Bundestag.

Der Bundestag-Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ hatte am Mittwoch Sirkka Jendis, Geschäftsführerin der Tafel Deutschland, und Henriette von Wulffen, Abteilungsleiterin Ehrenamt bei der Berliner Stadtmission, zu einem Fachgespräch eingeladen. Bezogen auf ihr Aufgabengebiet können beide Frauen als Managerinnen mit weitreichender Führungs- und Personal-Verantwortung in einem Großunternehmen bezeichnet werden. Bei der Tafel Deutschland helfen bundesweit rund 60.000 Ehrenamtliche, bei der Berliner Stadtmission sind es immerhin 2.000. Dazu kommen hauptamtliche Kräfte – allerdings in überschaubarer Zahl.

Ohne Ehrenamt müssten beide Einrichtungen ihre Tätigkeit umgehend einstellen. Jendis und von Wulffen blieben chancenlos, wollten sie Geld für ordentliche Löhne auftreiben. Die Zahl der Menschen ist endlich, die für ein Ehrenamt bereit sind. Tendenziell sinkt sie eher. Die Managerinnen beklagten das im Unterausschuss nicht. Vielmehr zeigten sie, wie eine moderne karitative Organisation das Beste aus den vorhandenen Möglichkeiten machen kann. Die Personalentwicklung eines Unternehmens lässt sich auf das ehrenamtliche Engagement in der sozialen Hilfe übertragen.

Aufgaben im Ehrenamt werden mehr und vielfältiger

Und so, wie sich die Produkte eines Unternehmens verändern, kommen auch bei der Tafel und der Stadtmission immer wieder neue Aufgaben hinzu. „Die Tafel ist keine reine Lebensmittel-Ausgabe“, betonte Jendis. Die Läden seien „kulturelle Zentren“ sowie „Orte der Begegnung, wo Menschen aus ihrer Isolation herauskommen können.“ Armut sei „auch Armut an Möglichkeiten“. Bei der Berliner Stadtmission werden Angebote zur Bildung immer wichtiger, berichtete von Wulffen. Die Stadtmission ist eine Einrichtung der evangelischen Kirche, die 90 verschiedene Hilfsangebote am Laufen hält. Sie ist die Trägerin einer Vielzahl von Beratungsstellen, betreuter Wohnformen, hält Not-Unterkünfte bereit und ist aktuell beispielsweise mit ihren Kältebussen unterwegs.

Ehrenamtliche müssen geschult und in ihrer Arbeit betreut werden. Dafür braucht es Hauptamtliche, die ebenfalls qualifiziert werden müssen. Sie bräuchten zudem dann und wann psychologische Betreuung. Weil manchen Tafeln inzwischen die Lebensmittel ausgingen, müssten Bedürftige weggeschickt werden. Das sei sehr belastend. „Die Tafeln können und wollen nicht die Armut bekämpfen. Das ist Aufgabe des Staates“, so Jendis. Die Expertinnen wiesen darauf hin, dass auch die Digitalisierung ein wichtiger Faktor sei, um die Arbeit der Ehrenamtlichen effizient zu gestalten. Beispiel ist die Entwicklung einer App für das Smartphone, die die Tafel einsetzen möchte. Darüber können die Ehramtlichen eintragen, welchen Dienst an welchem Tag sie übernehmen möchten. So ist für Interessierte und Neueinsteiger der eigene Aufwand steuerbar. Da Ehrenamtliche oftmals älter und analog unterwegs seien, bräuchten sie Unterstützung, um die Funktionen einer App kennenzulernen.

„Ehrenamtliche nutzen, aber nicht ausnutzen“

Das alles kostet. Die Managerinnen erwarten von der Politik mehr finanzielles Engagement. „Die Politik soll Ehrenamtliche nutzen, aber nicht ausnutzen“, war eine Botschaft der Tafel-Chefin an die Bundestagsabgeordneten. Behörden schickten Neuankömmlinge sehr schnell weiter an die Tafel, deren freiwillige Mitarbeitenden sich um das weitere Wohl kümmern sollten. Kommunen könnten helfen, wenn sie der Tafel die Kfz-Steuer für die Lieferfahrzeuge erließen oder auch die Abfallgebühren für die Entsorgung der Lebensmittel, die am Ende des Tages liegen blieben. „Wir erwarten mehr Unterstützung seitens der Politik“, sagte Jendis. Das beginne bei der Erstattung von Fahrtkosten und gehe über eine Stärkung der Freiwilligendienste und eine Regelung, die Ehrenamt auch vor dem Renteneintrittsalter attraktiv mache, bis hin zu einer größeren Wertschätzung des ehrenamtlichen Engagements.

Die Arbeit der Tafeln ist durch die Inflation und den Krieg in der Ukraine schwieriger geworden. Laut Zahlen vom Juli 2023 (PDF) habe fast alle Tafeln seit Kriegsbeginn einen deutlichen Zuwachs an Kund*innen verzeichnet. Teilweise haben sich die Zahlen verdoppelt. Gleichzeitig ist in den meisten Einrichtungen die Zahl der Lebensmittelspenden zurückgegangen, weil sich die Spender*innen selbst weniger leisten können. Jede dritte Tafel beklagt, dass sie zu wenig Ehrenamtliche hat.

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