SPD München

Polina Gordienko: Aus Belarus zur SPD-Kommunalpolitikerin in München

23. Oktober 2020
Polina Gordienko ist für die SPD in München kommunalpolitisch aktiv.
Mit 15 Jahren erfüllt sich Polina Gordienko ihren Traum: Sie zieht aus Belarus nach München, um dort zur Schule zu gehen. Sechs Jahre später ist sie dort für die SPD kommunalpolitisch aktiv und blickt mit Hoffnung auf die Situation in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist.

Eigentlich soll Polina Gordienko Profi-Tennisspielerin werden. Schon mit neun Jahren trainiert sie 50 Stunden pro Woche, vernachlässigt die Schule. Doch irgendwann ist ihr klar, dass sie diesen Traum, den vor allem ihre Eltern verfolgen, nicht leben möchte. Sie hat einen anderen Traum: nach Deutschland ziehen, genauer gesagt nach München. „Ich habe mich total in München und in Deutschland verliebt. Ich konnte noch kein Wort Deutsch, aber ich wollte unbedingt hier bleiben“, erzählt Gordienko von ihrem ersten Besuch in der bayerischen Landeshauptstadt.

Für München heimlich Deutsch gelernt

Heute ist die Sozialdemokratin dort die jüngste Bezirksausschussvertreterin. Bei öffentlichen Kundgebungen spricht Gordienko über die aktuelle Situation in Belarus. „Ich sehe mich in der Verantwortung, durch die Öffentlichkeit in Deutschland Druck aufzubauen“, sagt sie. Das in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, einiges schief läuft, ist ihr schon mit zehn Jahren klar. Als sie in die fünfte Klasse kam, sollte sie einer regimetreuen Jugendorganisation beitreten. Doch sie weigerte sich, als einzige in ihrer Jahrgangsstufe. „Ich hatte einfach ein schlechtes Bauchgefühl, weil man über bestimmte Dinge nicht reden durfte“, sagt sie.

Als sie zwölf Jahre alt ist, kommt sie wegen eines Tennisturniers zum ersten Mal nach München. Anschließend fasst sie den Entschluss: In dieser Stadt will sie unbedingt leben. Im Internet entdeckt sie das Max-Josef-Stift, das einzige Gymnasium mit Internat in München. Um dort aufgenommen zu werden, lernt sie heimlich Deutsch und Französisch. Als sie Anfang 2014 mit ihren Eltern wieder nach München reist, sieht sie ihre Chance gekommen.

Abi mit 1,0

„Ich habe meinem Vater einfach die Adresse der Schule gegeben und gesagt. Fahr da hin!“, berichtet Gordienko. Sie steigt aus dem Auto, rennt in die Schule und hat Glück. Spontan bekommt sie einen Termin mit der Schulleiterin: „Sie hat sich Zeit für mich genommen und mir die Schule gezeigt.“ Doch das Schwierigste liegt noch vor ihr, ein Visum zu bekommen und ihre Eltern zu überzeugen. Auch das klappt. Ab September 2014 geht Gordienko in München zur Schule. Die Integration gelingt ihr schnell, sie erhält zahlreiche Auszeichnungen und macht 2018 ihr Abitur mit einem Schnitt von 1,0.

Die Situation in ihrem Heimatland behält sie immer im Blick, bekommt die Wahlfälschungen 2015 mit und was im Vorfeld der Präsidentschaftswahl in diesem Jahr passiert. „Wenn mir vor einem halben Jahr jemand gesagt hätte, dass jetzt seit mehr als acht Wochen 100.000 Belarussen auf die Straße gehen, hätte ich niemals geglaubt, dass sich tatsächlich so viele Menschen trauen, sich aus der Angst zu erheben“, sagt sie. Viele Menschen hätten 26 Jahre lang geschwiegen und es hingenommen, dass Menschen verschwänden, wenn sie etwas Kritisches sagen.

Tichanowskaja als Vorbild für sehr viele Menschen

Ein Auslöser für die große Protestbewegung ist aus Gordienkos Perspektive Lukaschenkos Umgang mit der Corona-Pandemie, die dieser versucht habe herunterzuspielen. Der Präsident empfahl gegen das Virus, Vodka zu trinken und in die Sauna zu gehen. „Für viele Menschen war das wieder ein Anlass, zu sehen, dass sie nicht als mündige Bürger, sondern nur als Tiere behandelt werden“, sagt sie.

Darüber hinaus spiele auch Swetlana Tichanowskaja und ihre Lebensgeschichte eine entscheidende Rolle. Ursprünglich in einer „klassischen Frauenrolle“ wird sie erst politisch aktiv, nachdem ihr Mann verhaftet wird, und tritt als Kandidatin bei der Präsidentschaftswahl an. Dadurch gelte sie als Vorbild für viele Frauen im Land: „Ihre Geschichte hat sehr viele Menschen auf die Straße gebracht.“

„Kommunalpolitik ist einfach so cool“

Die Freiheit, die sie in München erlebt, ist für Gordienko ein Grund, politisch aktiv zu werden und sich für die Stärkung der Demokratie zu engagieren. 2017 tritt sie in die SPD ein. Drei Jahre später, kurze Zeit nach ihrer Einbürgerung, kandidiert sie im März dieses Jahres für den Stadtrat und den Bezirksausschuss. Kurz nach der Kommunalwahl wird sie stellvertretende Vorsitzende des Bezirksausschusses sowie Vorsitzende im Ausschuss für Soziales, Bildung und Sport. Auf Instagram versucht sie nun jungen Menschen Spaß an der Kommunalpolitik zu vermitteln. Denn das sei „die Politik“, bei der man die Veränderungen vor der eigenen Haustür sehen könne. „Das ist einfach so cool“, sagt Gordienko.

In der Münchner SPD wird Gordienko herzlich aufgenommen. Gleich nach ihrem Eintritt macht sie ein Praktikum bei der Bundestagsabgeordneten und Münchner SPD-Vorsitzenden Claudia Tausend. „Sie ist die Verkörperung einer starken Frau, die für mich durchaus einen Vorbildcharakter hat“, sagt Gordienko. Im Augenblick konzentriert sie sich voll auf ihr Studium. Parallel absolviert sie zwei Studiengänge: Volkswirtschaftslehre und Philosophie mit Geschichte als Nebenfach. Nach ihrem Studium möchte Gordienko promovieren. Dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, wünscht sie: „Ich hoffe sehr, dass Belarus endlich zu einem Land wird, in dem das Gesetz gilt.“

Der Artikel ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.