Verkehrswende

Priorität für die Schiene gefordert

Karin Billanitsch03. November 2021
S-Bahn in Dresden am Flughafen.
Das Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene hat seine Forderungen an die kommende Regierung auf den Tisch gelegt und „Priorität für die Schiene“ gefordert.

„Die Ernüchterung ist groß gewesen, als wir uns die Ergebnisse der Sondierungsgespräche der potenziellen Ampelkoalitionäre angeschaut haben.“ Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene erklärte am Mittwoch in Berlin, warum ihm diese Ergebnisse bei weitem nicht weit genug gehen: „Wir erwarten eine deutliche Stärkung des Nahverkehrs auf der Schiene, um den Klimaschutz voranzutreiben und die Lebensqualität in den Städten und auf dem Land zu erhöhen.

In dem Sondierungspapier ist laut Flege bisher lediglich die Rede davon, den Öffentlichen Personennahverkehr unterstützen zu wollen. Was nötig ist, „ist eine Richtungsäußerung, dass man den Nahverkehr stärken und ausbauen möchte.“ Immerhin sind laut der Allianz im Schienenverkehr 95 Prozent der Fahrgäste in Nahverkehrsbahnen unterwegs. Flege warb für den Nahverkehr: „Der Nahverkehr auf der Schiene ist das Herzstück der Verkehrswende.“ Von 2000 bis 2019 seien die Fahrgastzahlen um mehr als 50 Prozent gewachsen.

Flege fordert: „Infrastruktur ausbauen“

Um die Modernisierung des Schienenverkehrs voranzutreiben, muss die künftige Bundesregierung die Mittel aufstocken, um die Infrastruktur auszubauen. „Die Regionalisierungsmittel müssen um 1,5 Milliarden Euro auf drei Milliarden Euro erhöht werden“, forderte Flege. Auch still gelegte Strecken in ländlichen Räumen müssten wieder aktiviert werden.

Der Allianz-pro-Schiene-Chef hält auch eine „Elektrifizierungsoffensive“ für nötig. „Lediglich 61 Prozent des Schienennetzes in Deutschland ist mit Oberleitungen elektrifiziert. Das ist ein kümmerlicher Wert im europäischen Vergleich“, merkte er an. Er forderte zudem ein Programm von der neuen Bundesregierung, dass mindestens 75 Prozent bis zum Jahr 2030 elektrifiziert sind. Die verbleibenden Lücken könnten mit innovativen Technologien wie Wasserstoff- und Batterietriebzüge geschlossen werden.

„Planungsverfahren beschleunigen“

Ein Hemmnis beim Ausbau von Oberleitungen bei vorhandenen Schienenstrecken sind derzeit bürokratische Planungsverfahren, kritisierte die Allianz weiter. Flege nannte ein konkretes Beispiel: „Wenn die Schienentrasse da ist, muss man keine Planfeststellung für die Oberleitung machen. Da reicht eine Plangenehmigung.“ Er forderte von der neuen Bundesregierung, eine Planungsbeschleunigungskommission einzusetzen. Es gebe viele solcher Einzelbeispiele, wo man schneller werden könnte, ohne Umweltstandards abzusenken und ohne die Bürgerbeteiligung einschränken zu müssen.

S-Bahn Dresden gewinnt Fahrgäste

Stefan Naue, Leiter der S-Bahn Dresden zeigte am Beispiel seines Unternehmens, dass die Branche wächst: Mit einer Ausweitung des Angebots, insbesondere einer Taktverdichtung  schaffte es die S-Bahn Dresden, die Zahl der Passagiere zwischen 2015 und 2019 um 30 Prozent zu erhöhen. Wichtig für die Attraktivität der S-Bahn Dresden sei auch die Verlässlichkeit und Pünktlichkeit", betonte Naue. Auch eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen hält er für möglich. Allerdings müsse man bei Investitionen in Infrastrukturausbau in langen Zeithorizonten denken.

Ein weiteres Beispiel für die Erfolge der Branche ist die bayerische Regio-Bahn (BRB), die zwischen München und dem österreichischen Grenzgebiet unterwegs ist. Dort sei es gelungen, in den fünf Jahren bis zu Beginn der Corona-Krise die Zahl der Fahrgäste um ein Fünftel zu steigern. „Mit spürbaren Angebotsverbesserungen wie den neuen, umsteigefreien Verbindungen von München nach Rosenheim, Kufstein und Salzburg“, sagte Tobias Heinemann, Sprecher der Transdev-Geschäftsführung, zu der die BRB gehört. Lassen Sie uns mit folgendem Bekenntnis arbeiten: Mehr Schiene wagen!

Mobilitätsgarantie wie in der Schweiz?

Um ein verlässliches Angebot an ÖPNV für die deutsche Bevölkerung auf die Beine zu stellen (eine so genannte Mobilitätsgarantie, dafür müsste das Angebot massiv ausgebaut werden. Der Gedanke kommt aus der Schweiz, wo per Gesetz festgeschrieben ist, dass Bewohner selbst von entlegenen Bergdörfern einen gesetzlichen Anspruch auf die Bedienung mit öffentlichem Nahverkehr haben. „Das ist dort seit Jahren Reallität, ab 100 Einwohnern“, sagt Flege. Um ein solches Pronzip durchzusetzen, müsse man umdenken: Weg von der Rolle des Bittstellers, weg vom Image des Abgehängtseins im ländlichen Raum, hin zu einem Anspruchdenken – wie bei Schulen und Krankenhäusern. Dafür müsse die Versorgung mit öffentlichen Personennahverkehr zur kommunalen Pflichtaufgabe werden. Dafür müssten die Finanzierungssysteme geändert, und Bus und Schiene zusammen gedacht werden. Ein Schritt in diese Richtung wäre für Heinemann ein Jobticket, Arbeitgeber zu verpflichten, ein Jobticket zu bezahlen.

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