Arbeitsbedingungen im Nahverkehr

Verdi und Klima-Allianz warnen vor ÖPNV-Crash

Carl-Friedrich Höck12. März 2024
Wie hier in Berlin wurde der Öffentliche Nahverkehr Ende Februar in vielen Regionen Deutschlands bestreikt.
Jeder*r zweite Beschäftigte im Öffentlichen Nahverkehr scheidet bis 2030 aus dem Beruf aus. Zugleich soll die Zahl der Fahrgäste steigen. Verdi und die Klima-Allianz Deutschland fordern: Der Bund müsse handeln, damit der ÖPNV nicht zusammenbricht.

Mit einer neuen Studie machen die Gewerkschaft Verdi und die Klima-Allianz Deutschland Druck auf die Bundesregierung. Sie warnen vor einem massiven Personalmangel im Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Deshalb müsse die Ampel-Koalition die Arbeitsbedingungen verbessern und den kommunalen ÖPNV besser und langfristiger finanzieren.

Erheblicher Personalmangel droht

Das Beratungsunternehmen KCW hat für Verdi und Klima-Allianz neue Berechnungen vorgelegt. Demnach werden knapp 50 Prozent der Beschäftigten im ÖPNV bis zum Jahr 2030 in Rente gehen oder den Beruf verlassen. Um das aktuelle Fahrtenangebot aufrechtzuerhalten, müssten laut KCW etwa 63.000 altersbedingt freiwerdende Stellen im kommunalen Nahverkehr neu besetzt werden.

Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln. Hierfür müssten noch einmal 87.000 weitere Fachkräfte eingestellt werden, so die Studie. Die zusätzlichen Personalkosten hierfür werden von den Expert*innen auf vier Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Gewerkschaft spricht von „Lohndumping”

Die Fluktuation in der Branche sei überdurchschnittlich hoch, erklärten Vertreter*innen von Verdi und Klima-Allianz am Dienstag. Dafür machten sie die schlechten Arbeitsbedingungen mitverantwortlich. Es sei kein Einzelfall, dass ein Busfahrer keine reguläre Pause machen könne oder eine Straßenbahn ausfalle, weil die Fahrerin krank sei.

„Dichte Taktungen und ein attraktives Netz gibt es nur mit guten Arbeitsbedingungen im ÖPNV“, sagte Stefanie Langkamp, Geschäftsleiterin Politik der Klima-Allianz. Andreas Schackert von Verdi forderte: „Die Zeit des Lohndumpings muss endlich vorbei sein.“

Breites Bündnis

Die Klima-Allianz Deutschland ist ein Bündnis von 150 zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dazu zählen unter anderem der WWF, der BUND, Caritas und Diakonie oder der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist ebenfalls Mitglied.

Konkret fordern die Beteiligten von der Bundesregierung: dauerhaft mehr Geld, um Personal aufbauen zu können; eine Garantie für das Deutschlandticket über 2025 hinaus, ein deutschlandweites Sozialticket sowie eine Mobilitätsgarantie für Menschen auf dem Dorf und in der Stadt. Der Begriff Mobilitätsgarantie umschreibt Mindeststandards für die Erreichbarkeit und Taktung im ÖPNV, für einen barrierefreien Nahverkehr und ein Tarifsystem, das sich jede*r leisten kann.

Tarifgespräche unterschiedlich weit fortgeschritten

Aktuell laufen Tarifverhandlungen für den kommunalen Nahverkehr. Verhandelt wird nicht nur über Lohnerhöhungen, sondern auch Arbeitsbedingungen. Ende Februar gab es bundesweit Warnstreiks. Seitdem konnten erste Einigungen erzielt werden: nach Verdi-Angaben in Hamburg, Brandenburg und Saarland. In Hamburg soll unter anderem die Wochenarbeitszeit schrittweise von 39 auf 37 Stunden reduziert werden – bei vollem Lohnausgleich. In Brandenburg sollen die Entgelte ab Juli um 13 Prozent steigen, ab Januar 2025 dann um zwei weitere Prozent. Das Verhandlungsergebnis für das Saarland sieht unter anderem eine Inflationsausgleichszahlung von 1.000 Euro und eine Lohnerhöhung um 200 Euro plus 5,5 Prozent vor. Anderswo laufen die Tarifkonflikte weiter, etwa in Nordrhein-Westfalen und Berlin.

Die Bundesregierung ist in die Verhandlungen nicht direkt involviert. Der größte Teil der Tarifverträge wird auf Ebene der Bundesländer von den jeweiligen Kommunalen Arbeitgeberverbänden mit den Gewerkschaften verhandelt. Der Bund finanziert den Nahverkehr jedoch mit, vor allem über Regionalisierungsmittel und das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Mit Einführung des Deutschlandtickets wurde die Beteiligung des Bundes an den Kosten noch einmal ausgebaut.

An diesem Konstrukt gibt es auch Kritik. Schon Anfang 2022, also vor der Einführung des Deutschlandtickets, bemängelte der Bundesrechnungshof: Der Bund verstricke sich in einen „Förderdschungel“. Die Rechnungsprüfer*innen kritisierten aber nicht grundsätzlich, dass sich der Bund an den Kosten für den Öffentlichen Nahverkehr beteiligt. Problematisch sei aber, dass der Bund die Wirkung der eingesetzten Milliardenbeträge nicht ausreichend überblicken und steuern könne.

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