Breitbandausbau im ländlichen Raum

Schnelles Internet kommt langsam voran

Carsten WittmaackMaicke MackerodtUwe Roth27. April 2017
Breitbandarbeiten in Hörnerkirchen
Breitbandarbeiten in Hörnerkirchen
In vielen Regionen Deutschlands gibt es immer noch kein schnelles Internet – andere dagegen sind gut aufgestellt. Ein leistungsfähiges Netz ist ein wichtiger Standortfaktor – doch der Ausbau oft ein Flickenteppich. Drei Beispiele aus Heinsberg, Hörnerkirchen und der Region Stuttgart.

Kreis Heinsberg

Schnelles Internet beflügelt die Provinz im Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen. Weil große Telekommunikationsanbieter nicht wollten und der Ausbau stockte, holte man sich im Jahr 2012 einen kleineren Anbieter aus der Nachbarschaft, den Niederlanden. Das war nicht nur die Initial­zündung für den Breitbandausbau, ganz nebenbei wurde der Kreis Heinsberg auch noch zur Pilotregion. Mittlerweile gibt es mehr als 53.000 Anschlüsse mit neuester Glasfaser-Technologie und mindestens 100 Megabit Leistung pro Sekunde. Und zwar ganz ohne öffentliche Zuschüsse durch Land, Bund oder EU.

Der Kreis Heinsberg ist der westlichste Kreis Deutschlands und liegt in der renommierten Technologieregion Aachen. Innerhalb einer Autostunde sind Städte wie Köln, Düsseldorf, Duisburg und Bonn erreichbar, aber auch Maastricht (NL) und Lüttich (B). Manche nennen es scherzhaft „zentrale Speckgürtellage“, auch wenn es dort lange stark unterversorgte Wohnanlagen mit Downloads von unter zwei MBit/s gab. „Mittlerweile gehören wir zur Region mit dem schnellsten Wachstum in der Breitband­erschließung“, freut sich Holger Jansen, Breitbandexperte der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) vom Kreis Heinsberg.

Seit 2005 kämpft das rheinische Revier um den Breitbandausbau. Die Motivation vor zwölf Jahren war für den ehemaligen WFG-Geschäftsführer Joachim Steiner „die große Sorge, dass unsere ländlichen Räume künftig außen vor bleiben“. Die ersten sieben Jahre waren vor allem gekennzeichnet von Frust und geringen ­Einzelfortschritten – bis dann im Jahr 2012 der Durchbruch kam: Die niederländische Investmentgesellschaft Reggeborgh wurde auf Heinsberg aufmerksam. Die ­Reggeborgh-Tochter Reggefiber hatte bereits den Breitbandausbau ganz in der Nähe in Südlimburg realisiert. „Wir haben sofort alle Unterstützung zugesichert, innerhalb einer Woche wurden alle Städte und Gemeinden einbezogen, und so wurde der Kreis Heinsberg zur Pilotregion“, erinnert sich Steiner an den „fulminanten Start“. 40 Prozent der kleinen, stark unterversorgten Haushalte schlossen nahezu überall auf Anhieb Verträge ab. In Selfkant, Gangelt, Waldfeucht bis zum Westen von Übach-Palenberg wurde sogar nahezu flächendeckend ausgebaut.

Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) weiß, dass schnelles Internet zu den wichtigsten Standortfaktoren für Unternehmen und Kommunen gehört; Ausbauprojekte wie Heinsberg schließen für ihn „auf Kreisebene Lücken im Versorgungsnetz“. „Der Kreis Heinsberg hat schon bei unserem Regionalen Breitbandgespräch Anfang 2016 in Jülich deutlich gemacht, dass er die flächendeckende Versorgung des Kreisgebietes ohne Fördergelder schaffen will – und kann. Wir sehen heute, dass das auf einem guten Weg ist.“ Wirtschaftsminister Duin will NRW bis zum Jahr 2026 flächendeckend mit Glasfasernetzen ausstatten.

„Beginnt in der Region ein neues Internet-Zeitalter?“ lautete 2012 die Schlagzeile, als die Deutsche Glasfaser Holding GmbH auf der Bildfläche erschien und ankündigte, mit einem Millioneninvestment den Kreis Heinsberg mit Hochleistungsglasfaserkabeln zu versorgen. Verlegt wurde der technisch zukunftsweisende Standard ftth, fiber to the home, eine schnelle Glasfaser, die bis in die Wohnung reicht. Der Einstieg des deutschen Investors war „ein Glücksfall“, so Holger Jansen (WFG). „Wir haben die Breitbandinitiative zwar vorbereitet, aber ohne das Konzept der Glasfaser wäre so ein schneller Ausbau nicht möglich gewesen.

Ein weiterer Vorteil: Für die unterversorgten Gebiete waren zwar schon Fördermittel bewilligt. Doch „die konnten wir 2012 zurückgeben, sodass die zehn Prozent Eigenmittel der Kommune wegfielen“, so Jansen. Beantragt aus Fördermitteln wird demnächst aber ein Breitbandkoordinator. Denn Probleme bereiten aktuell zwei Bereiche: die Gewerbegebiete – da beträgt die Eintrittshürde 50 Prozent Nachfragebündelung – und die Innenstadtlagen im Kreis Heinsberg, Wegberg und Erkelenz.

Vor zwölf Jahren war es nahezu undenkbar, dass in der rheinischen ­Region mehr als 40 Prozent aller Haushalte über Glasfaseranschluss verfügen. Sogar Blogger Sascha Lobo war bei einem Vortrag in Heinsberg beeindruckt, dass von gut 110.000 Haushalten aktuell 53.000 Glasfaseranschlüsse haben, von denen knapp 25.000 aktiviert sind. „Heinsberg ist ein hervorragendes Beispiel, dass der eigenwirtschaftliche Ausbau durch die Unternehmen in NRW sehr vital ist, und dass die Akteure vor Ort mit ihrem Engagement viel bewegen können“, bilanziert Garrelt Duin.

Amt Hörnerkirchen

Es gibt Ämter, die sind so klein, dass sie offensichtlich für die großen Telekommunikationsunternehmen uninteressant sind. Das Amt Hörnerkirchen im Norden des Kreises Pinneberg ist so ein Fall. Nicht einmal 5000 Einwohner leben in den vier Gemeinden Bokel, Osterhorn, Brande-Hörnerkirchen und Westerhorn. Die Dörfer habe zwar alle eine Art Ortskern, doch viele Häuser liegen in den weitverzweigten Außenbereichen.

Das sind alles Fakten, die gegen einen profitablen Glasfaserausbau sprechen. Und so suchten die Kommunalpolitiker auch lange Zeit vergebens nach einem Unternehmen, das sich für das Projekt hätte begeistern können. Dabei stand für alle Gemeindevertreter fest: Das schnelle Internet muss her – sonst würde die Region Gefahr laufen, für Neubürger uninteressant zu werden.

Am Ende fassten Verwaltung und Politik einen kühnen Plan: Man wollte das schnelle Internet auf eigene Faust nach Hörnerkirchen holen. Im Mai 2013 wurde das Projekt begonnen und durch alle notwendigen Ausschreibungsprozesse geführt. Knapp drei Jahre später waren die Arbeiten beendet.

Dass alles weitgehend reibungslos lief, verdanken die „Macher“ auch den Stadtwerken Neumünster, die das flächendeckende Verlegen des Glasfasernetzes – mehr als 97 Prozent aller Haushalte wurden angeschlossen – übernahmen. Voraussetzung für den Bau war, dass sich mindestens 50 Prozent der Haushalte vorweg für ein Produkt der Stadtwerke entscheiden mussten. Am Ende wurden es deutlich mehr. Die jüngste „Nachverdichtungs-Aktion“ im vergangenen Herbst habe noch einmal rund 80 neue Verträge gebracht, sagt Amtsvorsteher Bernd Reimers. Damit sei die Gesamtzahl der Verträge auf 863 gestiegen.

Die Stadtwerke Neumünster haben das Netz für 25 Jahre vom Amt gepachtet. Zu den rund 3,2 Millionen Euro Baukosten für das Amt kommt noch einmal rund eine halbe Million Euro, die die Stadtwerke Neumünster in die Technik investierten. Vom Land gab es Fördergelder in Höhe von knapp 125.000 Euro. Innerhalb eines Jahres wurden 40 Kilometer Glasfaserkabel im Amtsgebiet verbaut. Nach Aussage des Leitenden Verwaltungsbeamten Sven Werner hält sich das finanzielle Risiko in Grenzen. „Wir bekommen Pacht von den Stadtwerken, abgerechnet wird pro Vertrag“, erklärt er. Das ganze Projekt sei „so seriös geplant worden“, dass es sich nach 25 Jahren amortisiert haben soll.

Region Stuttgart

Ein DSL-Anschluss mit 50 MBit/s ist im Schwäbischen Wald eine Rarität. Die meisten Haushalte dort müssen sich mit 16 MBit/s begnügen und dem Traum von einem schnellen Internetanschluss. Im 40 Kilometer entfernten Stuttgart und den umliegenden Städten träumt man dagegen bereits vom autonomen Fahren und dem dafür notwendigen 5G-Standard. Damit die Region nicht abgehängt wird, soll nun auch in der Region um Stuttgart das Breitbandnetz ausgebaut werden.

Die Landeshauptstadt und die fünf umliegenden Landkreise – neben dem Rems-Murr-Kreis sind das Böblingen, Esslingen, Göppingen und Ludwigsburg – haben den „Verband Region Stuttgart“ (VRS) mit den Breitband-­Planungen beauftragt. Politische Entscheidungen trifft die Regionalversammlung mit ­ihren ­direkt gewählten Mitgliedern. Diese ­haben beschlossen, den Ausbau des Backbone-Netzes nicht allein den auf Rendite ausgerichteten privaten Anbietern zu überlassen, sondern selbst voranzutreiben. Ein sogenanntes Backbone-Netz ist der verbindende Kernbereich eines Telekommunikationsnetzes. Ziel ist es, dass alle 179 Städte und Gemeinden des Verbandes einen Anschluss ans schnelle Internet erhalten, sofern sie ihn nicht bereits haben. Auf ihrer Gemarkung allerdings müssen die Kommunen selbst für den Ausbau sorgen.

„Es gibt kein flächendeckendes, allgemein zugängliches und geschlossenes Backbone-Netz in der Region“, begründet Regionaldirektorin Nicola Schelling den Schritt zur Eigeninitiative und erläutert die aktuelle Situation: „Es gibt zahlreiche Glasfaserleitungen, unklar ist jedoch, wo diese liegen, wer der Eigentümer oder Betreiber ist und vor allem, ob und wie lange diese Leitungen auch andere nutzen dürfen.“

Um über den Ausbau selbst Regie führen zu können, ist angedacht, eine Anstalt des öffentlichen Rechts zu gründen. Vom Land erhoffen sich der VRS und die Landkreise Zuschüsse. 400.000 Euro Förderung sind vom Land bereits geflossen. Die noch zu gründende Gesellschaft wäre für den Bau, Besitz und die Instandhaltung des Netzes verantwortlich. Sie verpachtet das Netz aus rechtlichen Gründen an einen Betreiber. Für den Bau der Ortsnetze wären wiederum die Kommunen zuständig. Für die Bereitstellung ihres Netzes erhielten sie eine Pacht zur Refinanzierung.

Martin Kaufmann (SPD) ist Bürgermeister der Gemeinde Rudersberg am Rand der Region. Er begrüßt die Initiative, sagt aber auch, dass ein Backbone-Anschluss für ihn nur die halbe Miete sei. „Das Gewerbe und die Haushalte ans schnelle Netz zu bringen, bleibt eine riesige, weil auch kostspielige Herausforderung.“ Zumal, wenn Kilometer entfernte Teilorte zu versorgen seien.

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