DVR-Beispiele

Sicherer, schöner, zweckdienlicher: Was gute Straßen ausmacht

Harald Lachmann21. November 2023
Die Osterstraße in Hamburg-Eimsbüttel wird vom DVR als „gute Straße” eingestuft.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat führt eine Beispielsammlung an „guten Straßen“ in Städten und Gemeinden. Durchdachte Umbauten können die Situation für alle Verkehrsteilnehmenden verbessern.

Die Bahnhofstraße in Cottbus ist nur 810 m lang. Doch binnen eines Tages wird sie von gut 16.000 Kfz durchrollt, von 1.100 Radfahrenden unter die Pneus genommen, von 370 Linienbussen und 360 Straßenbahnen frequentiert. Dementsprechend verfügte sie bis vor einigen Jahren über eine überdimensionierte Fahrbahn mit überwiegend vier Fahrstreifen und einen straßenbündigen Bahnkörper, nicht aber über Anlagen für den Radverkehr. Sie war nicht barrierefrei, punktete kaum mit Grün, machte schlichtweg wenig Lust, hier länger zu verweilen. Dann erfuhr sie einen 8,7 Millionen Euro teuren Umbau, und plötzlich bekam die Bahnhofstraße vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) das Etikett „gute Straße“ angeheftet.

Klare Struktur

Denn nun kennzeichnet sie eine dreistreifige Fahrbahnaufteilung, deren Mittelstreifen mit kleinformatigem Naturstein gepflastert und durch eine Rundborde eingefasst wurde – alles auf Fahrbahnniveau. Er dient als bauliche Mittelinsel, die sowohl Gliederungselement ist als auch eine lineare Überquerungshilfe. Die Bahnhofstraße weist nun eine klare Struktur sowie Kenntlichmachung der Flächen für die einzelnen Verkehrsarten auf, etwa durchgängige Plattenbeläge für Gehbahn und Radweg. An untergeordneten Einmündungen erfolgte eine Teilaufpflasterung von Radweg und Gehbahn, was Fußgänger*innen einen barrierefreien Übergang ermöglicht. Zu einer verbesserten Aufenthaltsqualität tragen unter anderem Bänke und Fahrradabstellbügel zwischen Parkraum und ÖPNV-Haltestellen bei, stellenweise auch Vorgärten, die nach historischen Bezügen neu ergrünten.

Ähnliche Umbaueffekte erlebte die Erfurter Johannesstraße. Knapp 12.000 Kfz, rund 400 Stadtbahnen und fast 2.000 Radler*innen durchfahren täglich die 360 m lange Hauptverkehrsstraße, deren Fahrbahn an einer Stadtbahnhaltestelle angehoben und mit Schutzstreifen für Radfahrende ausgestattet wurde. Nach den 2,5 Millionen Euro teuren Arbeiten war der Einstiegsbereich niederflurgerecht umgestaltet worden, im Seitenraum erfolgte eine dezente Differenzierung zwischen Geh- und Warteflächen durch unterschiedlich verlegtes Natursteinpflaster, und der transparente Unterstand gefällt nicht nur durch eine attraktives Gestaltung, sondern schafft auch mehr Sicherheit für die Wartenden. Drumherum erfolgte eine deutliche Kennzeichnung und Eingrenzung der verschiedenen Verkehrsflächen für Tram, Kfz, Fahrräder und Fußgänger durch Markierungen, Borde und einen unterschiedlichen Oberflächenbelag – in den Knotenpunkten zusätzlich unterstützt durch Fahrbahnteiler. Auch dafür vergab der DVR das Prädikat „gute Straße“.

Ein drittes „gutes“ Beispiel ist die Osterstraße in Hamburg-Eimsbüttel. Die 1.100 m lange Stadtteilgeschäftsstraße ist Heimstatt für 250 Fachgeschäfte, Gaststätten, Arztpraxen und anderen Dienstleister, mithin einer der belebtesten Stadträume Hamburgs. So war sie vor der Umgestaltung mit bis zu 12.000 Kfz am Tag relativ hoch belastet. Durch die Rekonstruktion bekam sie unter anderem Mittelinseln, Schutzstreifen für Radfahrende sowie komfortablere Fußwege samt Rabatten und Sitzgruppen. Die Hälfte der Parkbuchten blieb dennoch erhalten, die Zahl der Straßenbäume gar komplett. Auch dafür gab es das Prädikat „gut“.

Das Ziel: Unfälle vermeiden

Doch was macht eine Straße „gut“? Und was meint „gut“? Eine Antwort darauf liefert bereits der Vereinszweck dieses Interessenverbandes: Er fördert Maßnahmen, die die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden latent verbessern. Seit 2007 leitet dabei die Vision Zero das Handeln des Verkehrssicherheitsrates, also das Ringen um möglichst wenige Unfälle, Verletzte, gar Verkehrstote. Und da der Mensch nicht fehlerfrei ist, der überwiegende Teil aller Verkehrsunfälle jedoch auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sei – so eine Grundthese des DVR –, müsse das Verkehrssystem entsprechend (um)gestaltet werden: Nämlich so, dass neben notwendigen Gesetzen und Verordnungen zunehmend auch technische und bauliche Korrekturen an der aktuellen Verkehrsinfrastruktur helfen, dieses Ziel zu erreichen. Ein verstärktes Augenmerk liegt hierbei auf konfliktarm gestalteten Ortsdurchfahrten von Bundes- und Landesstraßen in Kleinstädten und Dörfern.

Dabei gibt es schon lange Richtlinien für die Gestaltung von Stadtstraßen wie auch Landstraßen, erarbeitet etwa seit 1924 durch die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) in Berlin. Sie basieren vor allem auf „harten“ Vorgaben: Wie breit und ausgeformt sollen Straßen sein? Wo sind Ampeln nötig? Besteht ein „besonderer Überquerungsbedarf“, zum Beispiel innerhalb bebauter Areale? Viele Länder veröffentlichten zudem eigene Leitfäden für Straßen, die ebenso funktional wie möglichst sicher und zugleich auch ansehnlich gestaltet sein sollten.

Auch im Kontext der Verkehrs- und Straßenplanung nistet sich damit zunehmend ein Begriff ein, den man zuvor eher aus dem Kultusbereich kannte: Inklusion. Sämtliche Verkehrsteilnehmer*innen haben Anspruch auf angemessene und vor allem sichere Teilhabe am Geschehen – auch bei komplexer werdenden Verkehrssystemen und unterschiedlichen Anforderungen der Verkehrsteilnehmden an Straßen und Verkehrsanlagen.

„Gut” heißt nicht perfekt

All das erzwingt aus Sicht des DVR bei der kommunalen Entwurfsplanung notwendigerweise auch Abwägungen, Anpassungen, Kompromisse. Beispiele wie die genannten, aber auch ein gutes Dutzend weitere Lösungen in Städten und Gemeinden, die der Verband in einer exemplarischen Liste „Gute Straßen“ zusammengestellt hat, sieht man hierbei jedoch nicht zwingend als „Best Practise“. Eher dienen sie als Belege dafür, dass „ein ernsthaftes Bemühen um Funktion, Gestaltung und Sicherheit vielleicht nicht zu optimalen, das heißt ,besten’, aber doch zu ,guten’, ausgewogenen Ergebnissen führen“ könne, heißt es im Vorwort.

Doch bedeutet „gut“ auch „sicher“? Da jede Straße anderen oft einschränkenden Rahmenbedingungen unterliege, lasse sich das so pauschal nicht beantworten, heißt es in der Studie. Bestimmte Flächen müssten etwa gemeinsam genutzt werden, und für einzelne Verkehrsanlagen ließen sich nur regelkonforme Mindestmaße realisieren, nicht aber wünschenswerter Komfortmaße, etwa für Radfahrer. Die „eindeutig beste Lösung“ lasse sich daher „kaum finden“. Und nicht zuletzt bleibe auch nach dem Umbau der menschliche Faktor maßgeblich: Wie diszipliniert, aufmerksam, verständnisvoll verhalten sich die verschiedenen Verkehrsteilnehmenden?

Nachweislich weniger Unfälle

Dennoch belegten laut DVR „die dokumentierten Beispiele, dass mit der Umgestaltung vor allem das Unfallgeschehen an Einmündungen, Kreuzungen und Grundstückszufahrten sowie beim Überqueren der Fahrbahn reduziert werden konnte“. Auch Unfallschwere und Verletztenzahl wären durchweg zurückgegangen, wie mehrjährige Vorher-Nachher-Betrachtungen belegten. Das rühre nicht zuletzt aus einer veränderten verkehrlichen Nutzung der umgestalteten Straßen und damit auch einer veränderten Charakteristik des Unfallgeschehens, so ein Fazit.

Und im Übrigen, so ein Resümee der DVR-Forscher, würden gut gestaltete Straßen oft auch als „schöne“ Straßen wahrgenommen. Man halte sich gern hier auf, Kinder nutzten sie für den Schulweg, auch Einkäufe würden hier gern zu Fuß oder per Fahrrad besorgt. Ältere könnten hier ihre Wege unterbrechen, um etwa zu rasten, und Jüngere fänden Verweilmöglichkeiten ohne Konsumzwang. Überdies belebten häufig auch schattenspendende Bäume, Kunstwerke, Spielgeräte oder Wasserelemente den Aufenthalt in „guten Straßen“.

 

Mehr Informationen:
Beispielsammlung Gute Straßen in Stadt und Dorf: dvr.de

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