Interview mit Martin Schulz

„Die SPD ist die Anwältin der Kommunen”

Karin Nink20. September 2017
Martin Schulz im Gespräch
„Wenn ich Bundeskanzler werde, können die Kommunen sicher sein, dass ich niemals außer Acht lassen werde, wo vor Ort der Schuh drückt“ kündigt Kanzlerkandidat Martin Schulz an.
Die Zeit in der Kommunalpolitik hat sein politisches Denken und Handeln geprägt, sagt Kanzlerkandidat Martin Schulz. Im DEMO-Interview verspricht der Sozialdemokrat: Er will für verlässliche Finanzen vor Ort sorgen.

DEMO: Sie waren elf Jahre Bürgermeister in der Kleinstadt Würselen, haben dann in Europa Karriere gemacht und sind jetzt Spitzenpolitiker auf Bundesebene: Welche Rolle haben die Kommunen in dem politischen Gesamtspiel?

Schulz: Die Zeit in der Kommunalpolitik hat mein politisches Denken und Handeln geprägt. Als Bürgermeister einer Kleinstadt wirst du ständig angesprochen, jedes Problem landet am Ende im Rathaus. Ich wohne bis heute in Würselen und bleibe da auch. Die Kommunen sind das Herz unseres Gemeinwesens.
 
Die SPD kämpft unter dem Slogan „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ für einen Wahlsieg am 24. September. Wo und wie muss es auf kommunaler Ebene gerechter ­zugehen?

Die SPD ist die Anwältin der Kommunen. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die Kommunen finan­ziell handlungsfähig bleiben. Am Ende hängt‘s vor Ort nunmal meist am Geld. Und wir haben ja auch in den vergangenen Jahren bereits Entlastungen durchgesetzt. Da machen wir weiter. Die Bürgermeister und kommunalen Verantwortlichen, die brauchen verlässliche Finanzen – deshalb reformieren wir die Grundsteuer verfassungsfest und stabilisieren die Gewerbesteuer. Wir wollen die Investitionskraft der Kommunen stärken, sie von Sozialkosten entlasten und helfen, ihre Altschulden abzubauen.

Ganz konkret: Worauf können die Städte, Gemeinden und Landkreise mit einem Bundeskanzler Schulz setzen?

Wenn ich Bundeskanzler werde, können die Kommunen sicher sein, dass ich niemals außer Acht lassen werde, wo vor Ort der Schuh drückt. Ich bin nahe an den Problemen der Menschen dran. Mit mir zieht auch ein Stück Würselen – eine Kleinstadt mit 40.000 Einwohnern – ins Kanzleramt ein.

In Deutschland gibt es große Unterschiede zwischen den Regionen. Wie lässt sich das ändern?

Indem wir anpacken und da fördern, wo es nötig ist. Deutschland ist ein wohlhabendes Land, aber wir investieren viel zu wenig. Wir wollen 30 Milliarden zusätzlich investieren in Infrastruktur, in schnelles Internet auch auf dem Land und in Bildung. Gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen – das ist ein ur­sozialdemokratischer Auftrag. Das Kooperationsverbot muss weg – und wir sorgen mit einer nationalen ­Bildungsallianz dafür, dass der Bund bei der Sanierung, Modernisierung und digitalen Ausstattung der Schulen finanziell helfen kann, wo es nötig ist. Gute Bildung darf weder von der Postleitzahl noch vom Geld­beutel der Eltern abhängen.

Bei Ihrer Nominierung zum SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten war die Euphorie riesengroß. Danach gab es einige Rückschläge. Frustriert das?

Vorsitzender der SPD zu sein, ist ­eine außergewöhnliche Ehre. Das ist das Amt von Kurt Schumacher, Otto Wels oder Willy Brandt. Ich bin stolz da­rauf, Vorsitzender der deutschen Sozialdemokratie zu sein, und ich will mit dieser Partei das Kanzleramt zurückerobern. Dazu gehört auch, die Arbeit und die Herausforderungen anzunehmen, mit denen man täglich konfrontiert ist. Klar freue ich mich morgens auch nicht über jede Schlagzeile. Da hab ich manchmal den Kaffee schon auf, bevor ich ihn getrunken habe. Aber Umfragen entscheiden nicht die Wahl, sondern die Wählerinnen und Wähler. Wichtig ist, seine Prinzipien nicht der kurzfristigen Opportunität zu opfern. Ich gehe meinen Weg. Mich wirft so leicht nichts aus der Bahn.

In den vergangenen Monaten sind 23.000 Menschen neu in die SPD eingetreten. Wie haben sie die Partei verändert?

Diese 23.000 Menschen sind eine riesige Bereicherung für die SPD. Sie machen unsere Partei kampfstärker, denn es sind in großem Maße junge Menschen, die sich stark engagieren. Das ist auch die Rückmeldung aus den Ortsvereinen: Die wollen richtig mit anpacken. Diese Wahl wird auf der Straße gewonnen, nicht im Kanzlerflugzeug.

Was macht die SPD gerade für die Jungen attraktiv?

Wir erleben gerade eine Zeit der politischen Beliebigkeit, eine Zeit der schnellen Abfolge von Informationen. Ich glaube, gerade junge Leute spüren, dass ein „Weiter so“ nicht reicht, dass wir unsere Zukunft gestalten müssen. Dass man sich jetzt engagieren muss gegen Rechtspopulismus, gegen die Trumps dieser Welt. Und die SPD vertritt seit 154 Jahren ihre Werte, das ist gerade für junge Menschen attraktiv.

Was erwarten Sie im Endspurt von Ihrer Partei?

Ich bin jeden Tag stolz darauf, was die Genossinnen und Genossen vor Ort leisten: bei den Kundgebungen, von Tür zu Tür, an den Ständen usw. Ich habe seit meiner Nominierung am 29. Januar eine SPD erlebt, die geschlossen ist wie selten zuvor. Wir haben unser Wahlprogramm einstimmig verabschiedet – und zwar nicht, weil die Delegierten mussten, sondern weil sie es wollten. Diese Geschlossenheit macht unsere Partei stark und stimmt mich zuversichtlich für die Bundestagswahl. Die SPD erhält ja keine Großspenden von der Industrie wie andere Parteien. Was wir schaffen, müssen wir selber schaffen. Aber wenn die SPD mobilisiert ist, dann sind wir mit unseren Hunderttausenden Mitgliedern auf den Straßen eine echte Macht. Da müssen sich die anderen warm anziehen.

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