Konferenz in Darmstadt

Wie Stadtnatur in wachsenden Städten erhalten werden kann

Susanne Dohrn 04. Oktober 2022
Orangerie in Darmstadt: Stadtnatur besteht nicht nur aus gepflegten Gärten, für die Artenvielfalt noch wichtiger sind Flächen für Wildwuchs.
Wie lässt sich der Konflikt zwischen Wohnungsbau und Lebensqualität lösen? Die Konferenz „Natur in der Stadt“ in der Orangerie in Darmstadt versuchte den Spagat. Das Schlagwort lautet „doppelte Innenentwicklung“.

„Grün ist bei den Bürgerinnen und Bürgern immer Thema Nr. 1.“ „Der Raum in der Stadt ist umkämpft.“ Sätze wie diese beschreiben die Situation in nahezu jeder größeren Stadt Deutschlands. Einerseits wird dringend neuer Wohnraum benötigt. Doch wenn unsere Städte lebenswert bleiben sollen, darf das nicht zu Lasten von Stadtgrün, Freiräumen, biologischer Vielfalt, von Kaltluftschneisen bei Sommerhitze und Schutz vor Überflutungen bei Starkregen gehen. Was klingt wie die Quadratur des Kreises nennt sich bei Stadtplanern doppelte Innenentwicklung. Dazu werden Flächen im Bestand baulich sinnvoll genutzt. Parallel wird städtisches Grün vernetzt und aufgewertet. Am Beispiel von drei Städten zeigte die Konferenz „Natur in der Stadt“* Möglichkeiten auf.

Leipzig: Definieren, wo nicht gebaut werden soll

„Bauen und Umwelt gehören zusammen“, so brachte es Rüdiger Dittmar vom Amt für Stadtgrün und Gewässer in Leipzig auf den Punkt. Die Lösung nennt sich „Masterplan Grün“. Der Plan definiert unter anderem, welche Flächen zukünftig überhaupt noch bebaut werden können und welche auf jeden Fall davon ausgenommen werden sollten. Geleitet wurde die Flächenauswahl von den „Big Five“ der Stadtentwicklung.

  1. Klimaanpassung, denn Starkregenereignisse und extreme Hitze nehmen zu.
  2. Biodiversität, denn auch Städte beherbergen wertvolle Lebensräume, z.B. in Flussauen.
  3. Gesundheit, denn Stadtbewohnerinnen und -bewohner leiden besonders unter Lärm, Hitze und Luftverschmutzung.
  4. Umweltgerechtigkeit, denn ärmere Bevölkerungsschichten haben meist schlechteren Zugang zu Erholungsflächen.
  5. Aktive Mobilität, denn Rad- und Fußverkehr entlasten die Umwelt und fördern die Gesundheit.

In Leipzig soll ein „Netzwerk aus naturnahen und gestalteten Flächen und Elementen“ die Lebensqualität der Stadt weiterentwickeln. Dazu gehören beispielsweise kurze Wege zu Grün- und Freiflächen sowie „grüne Finger”, die vom Umland bis weit in die Stadt hineinreichen. In einer „Flächenwertanalyse“ hat die Stadt sogenannte „Schutzräume“ definiert, die von Bebauung freigehalten werden sollen.

Nürnberg: 20 Quadratmeter öffentliches Grün pro Kopf

Wie Leipzig verzeichnet auch Nürnberg nach wie vor ein kräftiges Bevölkerungswachstum. Die Stadt gehört zu denjenigen in Deutschland, die am dichtesten besiedelten sind. 2015 hat die Stadt den „Masterplan Freiraum“ verabschiedet. Leitbild ist ein „Kompaktes Grünes Nürnberg 2030“. „Es bedarf eines attraktiven Wohnumfeldes, einer guten Versorgung mit gestalteten und naturnahen Freiräumen, schadstoffarmer Luft sowie unbelasteter Böden und Gewässer. Die vielfältigen Freiräume müssen gut erreichbar sein und sowohl soziale als auch ökologische Ansprüche und Funktionen integrieren“, so der damalige Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly. Hinzu kam 2017 ein Baulandbeschluss. Er sieht beispielsweise bei mehrgeschossigen Wohnungen 20 Quadratmeter öffentliches Grün pro Person vor, referierte Daniel Baunach vom Umweltamt Nürnberg. „Grüne“ Wege aus Stadtquartieren mit wenig Freiräumen sollen in die großen Parks und die stadtnahen Kulturlandschaften führen.

Freiburg: Artenvielfalt in der Stadt

Stadtnatur in Darmstadt

Wo leben in Städten noch Vögel und Insekten? Wo wachsen Wildblumen? Was trägt die Biodiversität zur Lebensqualität und Klimaanpassung bei? Städte können eine sehr hohe Artenvielfalt aufweisen, so Ulrike Hammes vom Stadtplanungsamt in Freiburg. Freiburg hat als eine der ersten Städte in Deutschland die gesamte besiedelte Fläche im Hinblick auf lokale Artenvielfalt untersuchen lassen. Ergebnis: Mit Abstand die höchste Bedeutung für die Artenvielfalt haben ungenutzte spontan besiedelte Flächen, der sogenannte „Wildwuchs“, gefolgt von blüten- und samenreichen Wiesen und voll besonnte Magerrasen. In alten Bäumen mit Höhlen leben rare Holzkäferarten und Fledermäuse. Nischen und Spalten an Gebäuden, z.B. Giebel, oder im Fassadenbewuchs bieten Nistmöglichkeiten für Vögel. Ulrike Hammes warb dafür, bei der Bauleitplanung die Artenvielfalt zu berücksichtigen.

Zusammenarbeit zählt

In allen drei Stadtverwaltungen arbeiten Politik und Ämter eng zusammen. Dazu gehören u.a. Bau-, Straßen- und Umweltamt, die Betriebs- oder Bauhöfe sowie die für Zuständigen für die Feuerwehr, damit im Notfall Gebäude mit Löschfahrzeugen erreichbar sind. In allen Städten wird die Öffentlichkeit beteiligt. Leipzig gibt jährlich einen Kalender Stadtgrün heraus und informiert seit Sommer 2022 auch über geplante Baumfällungen. Das Amt für Stadtgrün und Gewässer bietet unter www.leipzig.de/stadtbaum eine entsprechende digitale Karte, auf der alle Fällungen von Straßenbäumen und Bäumen in öffentlichen Grün- und Parkanlagen angekündigt und begründet werden. Außerdem sollen jährlich tausend neue Bäume gepflanzt werden, sodass ehemals kahle Straßen wieder grün und schattig werden. Das läuft nicht immer konfliktfrei ab, wenn beispielsweise Parkplätze weichen müssen. Meist sind es mit etwa zehn Prozent jedoch viel weniger als die Bürgerinnen und Bürger befürchten.

*Veranstaltet hat die Fachtagung der Bundesverband beruflicher Naturschutz, das Bundesamt für Naturschutz, das Bündnis Kommunen für biologische Vielfalt, die Deutsche Gartenamtsleiterkonferenz sowie Magistrat und Grünflächenamt der Wissenschaftsstadt Darmstadt. 

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