Familienfreundlichkeit

Stendals Landrat in Elternzeit

18. Juli 2022
Stendals Landrat Patrick Puhlmann
Landrat Patrick Puhlmann kann nun doch in Elternzeit gehen.
Patrick Puhlmann, Landrat des Kreises Stendal, geht in Elternzeit. Die konservative Mehrheit im Kreistag von CDU und AfD hatte es ihm verwehren wollen – und am Ende dem Ruf des Kreises geschadet.

Patrick Kuhlmann klingt sichtlich erleichtert. Der Landrat des Kreises Stendal mit SPD-Parteibuch kann nun doch in Elternzeit gehen. Dafür stimmte der Kreistag in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause. Was beim ersten Hingucken wie ein normaler Verwaltungsvorgang anmutet, ist die Rücknahme der eigenen Entscheidung. Vor einigen Wochen hatte der Stendaler Kreistag den Wunsch von Puhlmann mit den Stimmen von CDU und AfD abgelehnt. Elternzeit, nein, das gehe „in bestimmten Positionen“ nicht, hatte der AfD-Fraktionsvorsitzende Dietrich Gehlhaar die Entscheidung gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) begründet.

Was CDU und AfD indes nicht bedacht hatten: Auch ein Landrat in Sachsen-Anhalt hat Anspruch auf Elternzeit. Und zwar bis zu durchschnittlich 32 Wochenstunden monatlich. Puhlmann bleibt weit unter dieser Grenze. „Ich würde gerne zwei Monate lang 22 Stunden pro Woche arbeiten, um die wichtigsten Amtsgeschäfte zu erledigen und gleichzeitig mehr Zeit für meine Familie zu haben“, sagt er. Dieser Zeitraum entspricht einer vierwöchigen kompletten Abwesenheit.

Doch dies hat der Landrat überhaupt nicht vor, im Gegenteil: Puhlmann führt seine Amtsgeschäfte fort. Und sollte eine Notlage eintreten, „dann bin ich sofort da“, sagt er gegenüber DEMO ONLINE: „Aber Gott sei Dank ist nicht jeden Tag Notsituation.“ Im Übrigen seien sich er und seine Verwaltung darüber im Klaren, dass er sich gar nicht komplett aus den Amtsgeschäften zurückziehen könne, denn im Notfall dürfte der Landrat nicht einmal eine Unterschrift leisten. Deshalb sei das Modell einer verringerten Arbeitszeit die beste und ehrlichste Lösung.

CDU, AfD, FDP, Grüne und Bauern in einem Boot

Im Übrigen hat Puhlmann nach eigener Aussage bereits vor Monaten angekündigt, dass er in Elternzeit gehen möchte. Dies sei auch unstrittig gewesen. Niemand habe sich in den vergangenen Wochen dagegen ausgesprochen. Einwände aus der CDU und der AfD kamen erst am Ende der vorvergangenen Kreistagssitzung – und das auch erst ganz am Ende. Denn das Thema Elternzeit stand als letzter Punkt auf der Tagesordnung. Im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung stimmten nicht nur die AfD und die CDU gegen den Antrag. Der MDR berichtet, dass sich auch Mitglieder der Fraktion „FDP, Bündnis 90/Grüne und Landwirte der Region“ der Marschrichtung der beiden Parteien anschlossen. 16 zu 14 Stimmen dagegen, lautete das Ergebnis am Ende.

Für den Antrag stimmten die Fraktionen von SPD, Linken und der Wählergemeinschaft „Pro Altmark“. Die Vertreter*innen aller drei seien ob des Votums sichtlich irritiert gewesen, blickt Juliane Kleemann, SPD-Chefin im Kreistag und Landtagsabgeordnete, auf die Sitzung zurück. Aber unter dem Strich wundert sie sich über das Verhalten insbesondere der AfD und der CDU nicht wirklich. Beide Parteien versuchten seit der Wahl von Puhlmann, ihm Steine in den Weg zu legen. Mit konstruktiver kommunalpolitischer Arbeit habe dies nicht viel zu tun. Kleemann bezeichnet den Vorgang um die Elternzeit des Landrats denn auch als „Neuauflage eines Schmierentheaters“.

Das gab es allem Anschein nach auch bei der ebenfalls nicht-öffentlichen Kreistagssitzung am Montag. Die Kommunalpolitiker*innen waren nämlich genötigt, ihr Abstimmungsergebnis selbst wieder einzukassieren, weil sie gegen geltendes Recht verstoßen hatten. Die Konservativen im Kreistag schienen allerdings eher widerwillig für den Antrag zu stimmen – dies lässt sich aus einer Äußerung aus ihren Reihen schließen: „Der Russe dreht das Gas ab und der Landrat geht weg!“

SPD-Fraktionschefin wirft den Konservativen "Fortsetzung eines Schmierentheaters" vor.

Viel Zuspruch aus der Bevölkerung

Landrat Puhlmann selbst mag das Thema inzwischen nicht mehr so hoch hängen. Er ist nach eigenem Bekunden froh, dass er von Mitte August bis in den Oktober in Elternzeit gehen kann, um mehr Zeit für sein ein Jahr altes Kind zu haben. Froh ist Puhlmann auch über den breiten Zuspruch für sein Anliegen aus der Bevölkerung. „Die Menschen ticken anders als die Kreistagsmehrheit beim ersten Beschluss“, sagt er.

Und doch ist das Thema nicht beendet – für den Landrat und die Fraktionschefin Kleemann geht es ums Grundsätzliche: Was ist, wenn eine Frau als Landrätin kandidiert und ein Kind erwartet. Sie hätte wie jede andere werdende Mama gesetzlichen Anspruch auf Mutterschutz zwei Wochen vor sowie sechs Wochen nach der Geburt. In diesem Fall wäre eine Landrätin mit acht Wochen sehr viel länger aus den Amtsgeschäften raus als Puhlmann beabsichtigt.

Kleemann bezeichnet das von den Stendaler Konservativen gesetzte Zeichen als „fatal für die Kommunalpolitik“ – insbesondere vor dem Hintergrund der Gleichberechtigung der Geschlechter. Wer sich nicht sicher sein könne, Familien- und Berufsleben beziehungsweise die eigene öffentliche Position unter einen Hut zu bekommen, gehe niemals in die Kommunalpolitik, findet Kleemann. Zudem hätten die Konservativen dem Ansehen des Landkreises geschadet.

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