Zukunft des Heizens

Wärme aus dem Erdeisspeicher

Susanne Dohrn 11. September 2023
Verlegung der Flächen-Erdkollektoren im Baugebiet Wichelkoppeln
Bei der Versorgung mit Heizenergie kommen neue Techniken zum Einsatz. Ein wichtiger Baustein ist kalte Nahwärme. Das klingt paradox, aber es funktioniert, wie Beispiele aus Schleswig-Holstein zeigen.

Kalte Nahwärme gilt sie als wichtiger Baustein bei der Wärmewende. Ein Beispiel ist Neubaugebiet „An den Wichelkoppeln“ in Schleswig. Dort soll ein vierlagiges Rohrsystem im Boden, auch Erdeisspeicher genannt, 60 Häuser klimafreundlich mit „kalter Nahwärme“ versorgen. „Das Projekt wird gleich von drei Universtäten begleitet – FH Westküste (Heide), TU Dresden und FAU Erlangen-Nürnberg. Die möglichen Vorteile des Erdeisspeichers gegenüber der bisherigen Geothermie sollen dabei erforscht werden. Gleichzeitig sollen die Verbraucher durch die Sichtbarmachung der Energieflüsse zu energiesparendem Verhalten angehalten werden. Ein hochinteressantes Projekt, das bundesweite Aufmerksamkeit findet“, erklärt Stephan Dose, SPD, seit 2020 Bürgermeister von Schleswig.

Im Gegensatz zur Fernwärme wird bei der kalten Nahwärme die Energie direkt aus dem umgebenden Erdreich gewonnen. Dabei kommt es zu fast keinen Wärmeverlusten. Das Prinzip funktioniert zudem etwas anders als bei klassischen Erdwärmekollektoren, bei denen Rohrschlangen 1,5 m tief im Erdreich dem Boden Wärme entziehen. Bei der kalten Nahwärme liegen mehrere Ebenen mit Wasser und Frostschutzmittel gefüllte Rohrschlangen übereinander. Auf diese Weise spart das Prinzip Fläche und lässt es sich auch in Kommunen anwenden, die dichter bebaut sind. „Hinterhöfe sind z.B. bestens geeignet, um Quellen zu erschließen“, sagt Thorsten Bock Bereichsleiter Technischer Vertrieb der Stadtwerke SH. Das Gemeinschaftsunternehmen der Stadtwerke Schleswig, Eckernförde und Rendsburg wurde 2019 aus der Taufe gehoben und ist als Dienstleister für die drei Stadtwerke tätig.

Taschenwärmer im Großformat

Erdeisspeicher funktionieren ähnlich wie Taschenwärmer: Während die Flüssigkeit in der Packung kristallisiert, gibt sie für einige Zeit Wärme ab. Physiker nennen das Prinzip „latente Wärme“. Um die Kristalle danach wieder zu verflüssigen, muss dem Taschenwärmer Energie zugeführt werden, zum Beispiel indem man ihn in warmes Wasser legt, um ihn aufs Neue nutzen zu können. In den Rohrschlangen der kalten Nahwärme befindet sich als Flüssigkeit Wasser mit Frostschutzmittel. Wenn Wasser zu Eis kristallisiert, setzt das wie beim Taschenwärmer Energie frei.

„Im Winter entzieht die Flüssigkeit dem Erdreich Schicht für Schicht Wärme, bis das Wasser im Boden gefriert. Die entzogene Wärme wird dann zum Heizen genutzt“, erklärt Thorsten Bock. Transportleitungen im Inneren des Speichers fangen diese Wärmeenergie auf und transportieren sie zu hocheffizienten Wärmepumpen, die sich in den Gebäuden befinden. Vorwiegend mit Ökostrom betriebene Wärmepumpen sorgen dann dafür, dass die für das Heizen und für die Warmwasserbereitung notwendigen Temperaturen erreicht werden. Der größte Eisspeicher nördlich der Elbe ging schon 2019 in Rendsburg in Betrieb.  

Passt in einen Hinterhof

Die Erdeisspeicher selbst liegen unter der Erde. Im Sommer wird überschüssige Wärme aus den Gebäuden oder Solarenergie in den Boden geleitet, das Eis schmilzt und der Erdeisspeicher lädt sich wieder auf. Im Vergleich zu Erwärme hat kalte Nahwärme einen klaren Vorteil, so Bock. „Sie ist im Grunde Erdwärme. Bei der kalten Nahwärme gibt es immer eine Quelle – Erdsonden oder Erdkollektoren – und ein Leitungsnetz mit unisolierten Rohren, das ebenfalls Wärme in das Solemedium abgibt. Jeder Meter Rohr gewinnt Erdwärme. Sogar die Hausanschlüsse.“ Für die Wärmewende misst er ihr deshalb eine große Bedeutung bei, sowohl im Neubau als auch im Bestand. Hinterhöfe z.B. seien bestens geeignet, um Wärmequellen zu erschließen.

Geeignet ist kalte Nahwärme sowohl für Neubauten, als auch für Bauten im Bestand, wenn die Vorlauftemperaturen der Heizungen nicht mehr als 50-55 Grad betragen. Die Flächen, unter denen sich die Erdeisspeicher befinden, sind weiter nutzbar: Als Spielplatz, als Parkplatz, als Spielwiese oder Regenrückhalte-Becken. Deutschlandweit wurden bisher etwa 80 kalte Nahwärmenetze errichtet, bzw. sind sie in der Umsetzung. Allein bei den Stadtwerken SH sind es in Kürze zehn. Bock: „Wir haben damit nur gute Erfahrungen gemacht. Unsere Städte, Gemeinden und Kunden mögen diese Art der Versorgung.”

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