Jeder dritte Betrieb nutzt Kurzarbeit
Michaela Weichelt ist richtig gut gelaunt. Wie Tausende anderer Einzelhändler darf die Inhaberin eines kleinen Blumengeschäfts in Bremen endlich wieder öffnen. Vier Wochen kein Ladenverkauf wegen des von Bund und Ländern verordneten sogenannten Lockdowns, das merkt Weichelt in ihrer Kasse. Besonders der Umsatzbringer Ostergeschäft fiel in diesem Jahr weg. „Im März hatte ich die Hälfte“, sagt Weichelt, „aber es ist ja nicht so, dass ich nicht gearbeitet habe.“ Schon kurz nach ihrer Zwangsschließung zauberte Weichelt ihren Lieferservice hervor. „Meine Kunden haben sich so gefreut, dass ich persönlich geliefert habe“, meint sie. Zudem denkt die Bremerin über weitere Neuausrichtungen ihres Geschäfts nach. Weichelts Fazit nach vier Wochen Lockdown: „Corona hat mir auch etwas Gutes gebracht.“
Tiefgreifende Folgen
Gleichwohl hat der Lockdown weitreichende Folgen quer durch alle Gesellschaftsschichten. Auch wirtschaftlich sind die Folgen tiefgreifend. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) sind alle Branchen betroffen. Vor allem das Hotel- und Gaststättengewerbe kämpft schon jetzt. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) rechnet bis Ende April mit Umsatzverlusten von rund zehn Milliarden Euro. Von den 230.000 zumeist inhabergeführten Betrieben drohe etwa 70.000 ohne staatliche Hilfen die Insolvenz.
Wie tiefgreifend die Folgen der Pandemie sind, belegen die Anträge auf Kurzarbeitergeld. Laut Arbeitsagentur sind diesen Schritt bis zum 20. April rund 718.000 Betriebe gegangen. Damit habe nahezu jeder dritte Betrieb in Deutschland, in dem mindestens ein Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, Kurzarbeit angezeigt. Eine Sonderauswertung ergab, dass allein im März 470.000 Betriebe Hilfe in Nürnberg gesucht haben. Im Februar hatte die Zahl noch bei 1.900 gelegen, und im vorigen Jahr hatten durchschnittlich rund 1.300 Betriebe pro Monat Kurzarbeit beantragt.
„Historischer Kraftakt”
Der Bund will den Unternehmen mit dem Kurzarbeitergeld helfen, ihre Beschäftigten zu halten und deren Arbeitsplätze zu sichern. Alleine ein Viertel der Anträge auf Kurzarbeitergeld entfallen auf Handel und Gastgewerbe, gefolgt vom Gesundheitswesen, dem Baugewerbe sowie dem „Erbringen von sonstigen persönlichen Leistungen“.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnet die Situation als „historischen Kraftakt“. Genau das ist die Corona-Krise auch für die Verwaltung. Bei der Bundesagentur für Arbeit bearbeiten derzeit 8.500 Beschäftigte Kurzarbeitsanzeigen und rechnen Kurzarbeit ab. Das sind laut BA vierzehn Mal so viele wie in normalen Zeiten. Mehr Arbeit muss auch in den Jobcentern bewältigt werden. Wie der Hessische Rundfunk berichtet, sind beispielsweise beim Jobcenter Frankfurt seit Ende März mehr als 4.000 Anträge auf Grundsicherung eingegangen – fünf Mal so viele wie in den Zeiten vor der Corona-Krise. In Wiesbaden und Gießen habe sich die Zahl verdreifacht. Aus Gesundheitsschutzgründen gibt es keine persönlichen Termine vor Ort, der Kontakt mit den Kunden erfolgt per Post, E-Mail oder Telefon. Um die Arbeitsfähigkeit der Jobcenter zu unterstützen, hat der Bundestag Ende März beschlossen, die Leistungen der Grundsicherung in einem vereinfachten Verfahren schnell und unbürokratisch zugänglich zu machen. So wurde die Vermögensprüfung bis Ende Juni ausgesetzt, ebenso wie die Obergrenzen für die Unterkunftskosten. Diese werden nun in tatsächlicher Höhe anerkannt, sofern sie nicht unangemessen hoch sind, damit Arbeitsuchende nicht mitten in der Krise umziehen müssen. Damit steigen allerdings auch die Sozialkosten der Kommunen.
Die nun beschlossenen Lockerungsmaßnahmen könnten die Wirtschaftskrise etwas entschärfen. Der Deutsche Landkreistag begrüßt sie grundsätzlich. „Richtschnur sollte hierbei das Infektionsgeschehen sein“, sagt Sprecher Markus Mempel. Er könne sich überdies vorstellen, „dass auch größere Geschäfte auf dem Land mit geringer Bevölkerungsdichte und damit geringerem Infektionsrisiko und leichter einzuhaltenden Abstandsregelungen bald wieder aufmachen könnten“. Der Landkreistag-Sprecher stellt im Übrigen wie Einzelhändlerin Weichelt positive Effekte fest. Derzeit sei ein gehöriges Maß an gesellschaftlichem Zusammenhalt spürbar: „Insofern ist die Krise – ohne zynisch zu klingen – gesellschaftspolitisch durchaus mit positiven Effekten verbunden. Jedenfalls zeigt die Politik derzeit auf allen Ebenen, dass sie sehr entscheidungs- und handlungsfähig ist. Das tut einer Demokratie gut. Daran hatten ja einige Teile der Bevölkerung gezweifelt.“