Bundesdrogenbeauftragter Blienert

„Bei Suchtprävention nehmen Kommunen eine Schlüsselposition ein”

Burkhard Blienert23. März 2022
Burkhard Blienert ist Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen.
Kommunen müssen in die Lage versetzt werden, Sucht- und Drogenprävention als dauerhaften Bestandteil der Daseinsvorsorge zu etablieren. Ein Gastbeitrag von Burkhard Blienert, dem Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung.

Wir wollen eine Gesellschaft, die für einander einsteht, in der die Menschen für einander da sind, in welcher man sich mit Respekt und Toleranz begegnet und das „Gemeinsame“ nicht nur ein wohlklingendes Wort bedeutet.

Faktoren für ein gesundes Leben

Landkreise, Städte, Gemeinden sind das Fundament unserer Gesellschaft und bilden auch den Ausgangspunkt einer guten Gesundheitsversorgung: Angefangen bei der Apotheke im Ort, über einen guten Allgemeinmediziner bis hin zu speziellen therapeutischen Angeboten. Doch eine gute medizinische und ärztliche Versorgung vor Ort ist nicht alles.

Wir wissen seit Jahrzehnten, dass weitere Faktoren für ein gesundes Leben eine große Rolle spielen. Angefangen bei einem stabilen Elternhaus, genügend Bildungs- und Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche bis hin zu einem sicheren Arbeitsplatz. Auch in der Sucht- und Drogenprävention nehmen Kommunen und Gemeinden eine Schlüsselposition ein. Auf die Akteure vor Ort kommt es insbesondere dann an, wenn es einmal kritisch wird, wenn Probleme auftreten.

Wir müssen an einem Strang ziehen

Elementar wichtig ist eine gute Vernetzung der Akteure untereinander, ein koordiniertes Vorgehen mit allen Akteuren vor Ort.

Die abgestimmte Zusammenarbeit mit dem Bildungs- Sozial- und Gesundheitswesen ist aufgrund der aktuellen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie oder die Ukraine-Krise wohl wichtiger denn je. Wir müssen „gemeinsam an einem Strang ziehen“ – diese Redewendung traf selten so zu, war selten so wichtig wie jetzt, in dieser für so viele Menschen herausfordernden Zeit. Das müssen wir wieder stärken! Ich bin davon überzeugt, es wird uns nur gemeinsam gelingen, all diese großen Aufgaben zu meistern. Zusammen mit den Trägern der sozialen Dienste bekommt der öffentliche Gesundheitsdienst eine große Rolle.

Appelle reichen nicht

Als Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung bin ich dankbar über die Chance, die ich erhalten habe, um diese Zusammenarbeit zu unterstützen und das „Gemeinsame“ wo immer ich kann, zu fördern und mitzugestalten.

Die Forderung nach dem „Gemeinsamen“ ist keine Einbahnstraße: Wenn wir die Suchthilfe stärken, die Behandlung suchtkranker Menschen sicherstellen und Prävention frühzeitiger und besser umsetzen möchten, dann müssen alle Akteure ihr Bestes geben. Auch die vermeintlich „große Politik“. Appelle an die Kommunen allein werden nicht reichen. Denn die Herausforderungen werden wachsen, nicht schrumpfen.

Schluss mit Zeitverträgen im Sozialwesen und Gesundheitssystem

Das bedeutet auch, den Einrichtungen vor Ort endlich zu ermöglichen, sich von Zeit- oder Projektverträgen im Sozialwesen und im Gesundheitssystem zu verabschieden. Menschen in Einrichtungen oder Beratungsstellen leisten eine Arbeit, die unabdingbar für die Kommunen ist. Diese Arbeit muss sich auch dauerhaft bezahlt machen, sie muss sich lohnen, sie braucht Respekt.

Denn nur dann, wenn qualifizierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Therapeutinnen und Therapeuten, Menschen, die sich um suchtkranke Männer und Frauen und – ganz wichtig! – deren Kinder kümmern, Respekt und Wertschätzung für ihre Arbeit erhalten, ihre Arbeit und ihr Engagement dauerhaft abgesichert sind, nur dann werden wir langfristig die gesundheitliche Versorgung in Deutschland stärken können. Und zwar auf dem Land wie auch in der Stadt.

Prävention ist Daseinsvorsorge

Dazu gehört schichtweg, die Kommunen und Gemeinden in die Lage zu versetzen, Sucht- und Drogenprävention als dauerhaften Bestandteil der Daseinsvorsorge zu etablieren. Von der Hand in den Mund zu agieren, das reicht schon lange nicht mehr!

Was wir fördern müssen, ist echte Chancengleichheit. Länder und Kommunen müssen erkennen, dass durch eine langfristige Finanzierung von Suchthilfe und Suchtberatung viele gesundheitlichen, aber auch volkswirtschaftlichen Kosten vermieden werden können. Um hier sehr konkret zu werden: Das aktuelle Jahrbuch Sucht beziffert die volkswirtschaftlichen Kosten allein beim Thema Alkohol auf 57 Milliarden Euro. Dagegen wirken die Steuereinnahmen mit knapp 2,2 Milliarden Euro nahezu minimalistisch.

Suchtprävention muss von neuer Cannabis-Politik profitieren

Also, was ist zu tun? Wir brauchen in den Ländern eine Diskussion darüber, welche Aufgaben freiwillig und welche verpflichtend sind. Wir brauchen eine Finanzausstattung, die den Aufgaben der Kommunen gerecht wird. Und wir brauchen eine Bundespolitik, die die Herausforderungen der Kommunen mitdenkt. Ein ganz aktuelles Beispiel: Wenn wir über die kontrollierte Abgabe von Cannabis und neue Steuereinnahmen reden, dann muss es auch darum gehen, wie die Suchtprävention und Suchthilfe vor Ort davon profitieren können.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Am Ende zahlt sich nicht nur das „Gemeinsame“, sondern auch das „Dauerhafte“ aus. Und das sowohl für die Kommunen, als auch in allererster Linie für die von Suchterkrankungen betroffenen Menschen, ihre Familien und Freunde. Denn am Ende des Tages sind es die Betroffenen, die von unseren Aktivitäten profitieren. Und wir alle, denn nur so werden unsere Städte und Dörfer lebenswert und erhalten ihre Attraktivität für ihre Bewohnerinnen und Bewohner.

 

Burkhard Blienert ist seit dem 12.1.2022 Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Blienert beschäftigt sich nach eigenen Angaben seit etwa zehn Jahren intensiv mit Fragen der Drogen- und Suchtpolitik. In der 18. Wahlperiode (2013-2017) war er Mitglied des Bundestages und Mitglied im Gesundheitsausschuss. Während dieser Zeit war er Berichterstatter der SPD-Fraktion für Drogen- und Suchtfragen.