Kritische Infrastruktur: Behrens will sich „auf den Ernstfall vorbereiten”
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) warnt vor Spionage, Sabotage und Cyberattacken. Im Gespräch erklärt sie, wie sich ihr Bundesland gemeinsam mit den Kommunen gegen diese Gefahren wappnet. Auch kleinere Gemeinden sollen in die Lage versetzt werden, sich auf die neue Sicherheitslage einzustellen.
MI Niedersachsen
Daniela Behrens ist seit 2023 Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport. In diesem Amt ist sie auch für Kommunen zuständig.
DEMO: Wie hat sich die Sicherheitslage mit Blick auf Deutschlands kritische Infrastrukturen in den vergangenen Jahren verändert?
Daniela Behrens: Leider hat sie sich verschärft. Nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, sondern bereits vorher. Wir registrieren gezielte Desinformationskampagnen, Spionage, Sabotage und Cyberattacken. Drohnen spielen hierbei eine zunehmende Rolle: In Niedersachsen haben wir schon Mitte August so viele Drohnensichtungen gemeldet bekommen wie im gesamten vergangenen Jahr. Sie sind leicht verfügbar, kostengünstig und können leicht für nachrichtendienstliche Zwecke und Spionage genutzt werden.
Niedersachsen ist Bundeswehrstandort Nummer 1. Rund um die Einrichtungen der Bundeswehr gibt es viele Aktivitäten. Wir nehmen aber auch vermehrt Cyberangriffe auf andere staatliche Akteure wie Kommunen wahr. Außerdem scheinen die Versorgungsbetriebe im Fokus zu stehen, also zum Beispiel die Wasser-, Strom- und Energieversorgung.
Wie eng tauschen Sie sich mit den Kommunen und Stadtwerken zu diesen Gefahren aus?
Wir pflegen einen engen Draht zu den Kommunen. Regelmäßig tauschen wir uns auf Ministerebene, Staatssekretärsebene und auch auf der Fachebene aus. In erster Linie ist der Schutz der kritischen Infrastruktur Aufgabe der jeweiligen Betreiber. Als Ministerium erinnern wir daran, dass die Kommunen ihr Informationssicherheitsmanagement und ihre Digitalisierungskompetenzen weiter ausbauen müssen. Mit der EU-Richtlinie zum Thema Cybersicherheit – kurz NIS2 – wird ein Rechtsrahmen vorgegeben, den auch viele Stadtwerke einhalten müssen. Wir unterstützen die Kommunen aber auch sehr konkret.
Wie?
Wir bieten über den Wirtschaftsschutz unseres Verfassungsschutzes regelmäßigen Informationsaustausch, Beratungen und Schulungen an. Die Polizeidirektionen in der Fläche tauschen sich mit den Staatsschutz-Experten aus und stehen im Fall der Fälle als Anlaufstelle zur Verfügung. Unser zentraler IT-Dienstleister in der Landesverwaltung betreibt ein Security Operations Center als technisch orientierte Organisationseinheit. Es nutzt Netz- und Endgeräte-Überwachungssysteme, damit wir Angriffe frühzeitig erkennen können. In diesem Bereich arbeiten wir zunehmend auch mit den kommunalen Rechenzentrumsbetreibern zusammen, um unser landesweites Lagebild zur Informations- und Cybersicherheit weiter anzureichern. Mein Ministerium schafft außerdem gerade 49 mobile Netzersatzanlagen an, um das Risiko möglicher Stromausfälle zu reduzieren.
Und wenn mal das Kind in den Brunnen gefallen ist, also eine Cyberattacke erfolgreich war, werten wir gemeinsam mit den Kommunen aus, was besser hätte laufen müssen. Es ist wichtig, Geschäftsprozesse für den Not- und Krisenfall aufzustellen – nicht erst dann, wenn etwas passiert ist. Dabei helfen wir als Ministerium. Um Cyberangriffe verhindern, schnell aufspüren und gut reagieren zu können, haben wir in Niedersachsen ein Computer Emergency Response Team (N-CERT) aufgebaut. Damit haben wir auch einen Warn- und Informationsdienst für die Kommunen geschaffen.
Hilft die Landesregierung den Kommunen auch finanziell, ihre kritische Infrastruktur noch besser zu schützen?
Mit dem Pakt für Kommunalinvestitionen haben sich die kommunalen Spitzenverbände und die Niedersächsische Landesregierung auf ein umfassendes Investitionspaket verständigt. Dabei werden den Kommunen unter anderem 600 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, die zweckungebunden für Investitionen und damit auch für die kritische Infrastruktur eingesetzt werden können.
Zum Schutz der kritischen Infrastruktur bedarf es auch einer laufenden Verbesserung im Bereich der Digitalisierung. Hier ist die Landesregierung gemeinsam mit den Kommunen in einem stetigen Austausch. Neben den finanziellen Herausforderungen ist hier aber eine der Kernfragen: Haben wir genügend Expertinnen und Experten für Cybersicherheit in den Kommunen? Das ist für alle Bereiche der Verwaltung und insbesondere für kleine Gemeinden mit 50 Beschäftigten eine echte Herausforderung.
Daniela Behrens
Mein Eindruck ist, dass wir in Niedersachsen noch Luft nach oben haben, was Cybersicherheit und den Schutz kritischer Infrastrukturen betrifft.
Wie können diese kleinen Kommunen gezielt unterstützt werden, um mit der neuen Bedrohungslage richtig umzugehen?
Niedersachsen ist ein großes Flächenland mit teils sehr kleinteiligen Städten und Gemeinden. Umso wichtiger ist es, dass die kommunalen IT-Dienstleister die Kommunen kompetent und umfassend bei Sicherheitsthemen begleiten und sie beraten. Eine Herausforderung besteht darin, dass wir in Niedersachsen sieben verschiedene IT-Dienstleister haben. In anderen Bundesländern sind es oft nur ein oder zwei. Mit unseren IT-Dienstleistern und den kommunalen Spitzenverbänden sind wir gerade in Gesprächen, wie wir unsere Strukturen verbessern können. Mein Eindruck ist, dass wir in Niedersachsen noch Luft nach oben haben, was Cybersicherheit und den Schutz kritischer Infrastrukturen betrifft. Aktuell arbeiten wir daran, ein großes Cyber-Abwehrnetz über die Landesverwaltung zu spannen. Die Kommunen können dort mit drunterschlüpfen.
Wenn doch mal etwas passiert – wie jüngst bei einem Cyberangriff auf die S-Bahn Hannover – welche Mechanismen greifen dann?
Erst einmal ist es wichtig, dass dieses Problem gemeldet wird. Wir haben für genau solche Vorfälle zum Beispiel eine Ansprechstelle beim Landeskriminalamt. Die versuchen zu ermitteln, wer hinter dem Angriff steckt und mit welcher Motivation. Leider sind die Täter oft nicht greifbar, da sie in Ländern sitzen, die nicht gut kooperieren. Im Idealfall wird auch Kontakt zu den IT-Fachleuten in meinem Ministerium aufgenommen. Sie können helfen auszuwerten, wie es zu dem Vorfall kommen konnte und wie sich ähnliche Szenarien in Zukunft verhindern lassen. Hier liegt es allerdings ein Stück weit in der Eigenverantwortung der jeweiligen Betreiber, wie stark sie sich auf diesen Prozess einlassen und sich beraten lassen wollen. Denn das liegt im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung.
Sie sind als Ministerin auch für den Brand- und Katastrophenschutz zuständig. Spüren Sie in Niedersachsen bereits die Folgen der Klimakrise?
Ja, natürlich. Wir haben vermehrte Fälle von Vegetationsbränden. Die Waldbrandgefahr ist gestiegen und Weihnachten 2023 hatten wir ein schlimmes Hochwasser, weil es über Wochen geregnet hat. Wir gehen davon aus, dass es so etwas in Zukunft öfter geben wird.
Wie stellen Sie sich gemeinsam mit den Kommunen darauf ein?
Das Weihnachts-Hochwasser haben wir intensiv mit allen unseren Katastrophenschutzbehörden aufgearbeitet: Was ist gut gelaufen, was weniger? Als Resultat haben wir viel in die Ausstattung investiert. Zum Beispiel haben wir mobile Hochwasserschutzsysteme angeschafft. Oder Hochleistungsförderpumpen, die über das Land verteilt in vielen Kommunen stationiert sind und dort von der Feuerwehr eingesetzt werden. Damit lässt sich Wasser je nach Bedarf pumpen, um einen Brand zu löschen, oder abpumpen, wenn es zu einer Überschwemmung gekommen ist. Für die Vegetationsbrandbekämpfung haben wir eigene Einheiten aufgestellt, mit Spezialfahrzeugen ausgerüstet und ausgebildet. Abrollcontainer mit spezieller Vegetationsbrandausrüstung wurden beschafft und in mehreren Landkreisen stationiert.
Wir haben im vorigen Jahr alle unsere Katastrophenschutzbehörden auf Kosten des Landes mit einer einheitlichen Stabssoftware ausgestattet. Hierdurch sind wir in der Lage, alle unsere Informationen schnell den unteren Katastrophenschutzbehörden zur Kenntnis zu geben.
Als erstes Land hat Niedersachsen ein Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz aufgebaut. Damit haben wir uns strategisch besser aufgestellt, weil die behördlichen Aufgaben und die Aus- und Weiterbildung in einem Amt gemeinsam wahrgenommen werden. Zum Beispiel haben wir die Aus- und Weiterbildung von ehrenamtlichen Feuerwehrleuten gemeinsam mit den Landkreisen und kreisfreien Städten neu konzipiert.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat gesagt, Deutschland müsse kriegstüchtig werden. Wie gut wäre Niedersachsen im Ernstfall vorbereitet?
Wir haben einen gut aufgestellten Brand- und Katastrophenschutz, wir haben eingeübte Strukturen für den Ernstfall – mit einem Krisenstab – und wir arbeiten gut mit der Bundeswehr zusammen. In Niedersachsen startet jetzt ein Sicherheitsdialog am Tisch des Ministerpräsidenten, um alle Akteure zusammenzubringen. Dort wollen wir unsere Strukturen überprüfen, um uns – soweit es geht – auch auf den besonders dramatischen Ernstfall vorzubereiten.
Was den Zivilschutz betrifft: Da warten wir noch auf Informationen vom Bund, der ein Schutzkonzept vorgeben muss. Zivilschutz ist Bundessache, aber im Idealfall sollten der Zivil-, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz gut zusammenpassen. Denn in der Praxis sind es immer dieselben Leute, die dort agieren. Wir brauchen gute und abgestimmte Informationsflüsse über alle Zuständigkeitsebenen hinweg. Im Ernstfall müssen wir also wissen, was die Bundeswehr weiß, welche Informationen im Bundesinnenministerium vorliegen und wie die Lagebilder in den Ländern aussehen.
Den Bund sehe ich gefordert, ein Konzept für Schutzräume vorzulegen und das Thema Warnmeldungen noch einmal in den Mittelpunkt zu stellen. In Niedersachsen haben wir als Land die Sirenen-Infrastruktur ausgebaut, obwohl das eigentlich eine Bundesangelegenheit ist. Da erwarten wir jetzt aber auch vom Bund, dass er klarstellt, wie es in diesem Bereich weitergehen soll.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.