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Mieten, Lärm und Hamster: Mein erstes Jahr im Erfurter Stadtrat

5. November 2025 16:28:50

Melissa Butt wurde 2024 in den Stadtrat von Erfurt gewählt. Wie sie das erste Jahr im Kommunalparlament erlebt hat und welche Dinge sie überrascht haben, erzählt sie für unsere Serie.

Melissa Butt

Melissa Butt ist für das Studium aus Sachsen in die Landeshauptstadt von Thüringen gezogen. Nun engagiert sie sich im Erfurter Stadtrat.

Ich war Thüringer Juso-Vorsitzende und Mitglied im SPD-Landesvorstand, also schon länger in politischen Gremien unterwegs. Kommunalpolitik erschien mir immer weit weg, auch wenn sie einen großen Einfluss auf das Leben der Menschen hat. Es ist eine sehr detailverliebte Art der Politik. Irgendwann hat es mich aber genervt, Anträge und Forderungen nur in der Hoffnung aufzuschreiben, dass jemand anderes sie umsetzt. Ich wollte selbst ­etwas verändern. Und als junger Mensch bekommt man häufig zu hören: ­Beweise erst mal, dass du wirklich etwas bewirken kannst. Vor der Kommunalwahl dachte ich mir dann: Du versuchst es jetzt einfach mal. Natürlich habe ich mich sehr gefreut, dass ich direkt in den Rat gewählt wurde.

Konfliktträchtiges Nachtleben

In der Erfurter Innenstadt gibt es nachts viele Konflikte. Es ist einerseits eine Studentenstadt und viele junge Menschen wünschen sich ein lebendiges Nachtleben. Andererseits gibt es diejenigen, die ab zehn Uhr schlafen wollen, auf die Nachtruhe bestehen und für mehr Polizeipräsenz plädieren. Ich wünsche mir hier Lösungen, die beiden Bedürfnissen gerecht werden. Und ich bin großer Fan der Idee eines Nachtbürgermeisters, der vermittelt und das Thema auch im Rathaus verankert. Außerdem ärgert mich, dass wir in Erfurt immer noch kein richtiges Schülerticket für den ÖPNV und keinen qualifizierten Mietspiegel haben. Dafür kämpfe ich!

In die neue Rolle als Ratsmitglied musste ich mich erst hineinfinden. Ich studiere und gehe, um das zu finanzieren, noch 20 Stunden pro Woche arbeiten. Die ehrenamtliche Arbeit im SPD-Landesvorstand und bei den Jusos mache ich weiter. Nun ist noch die Arbeit im Rat dazugekommen. Ich schätze, dafür kommen pro Woche zwischen zehn und 15 Stunden zusammen. Dass die Rats-, Fraktions- und Ausschusssitzungen viel Zeit in Anspruch nehmen, damit hatte ich gerechnet. Was mir im Vorfeld weniger klar war: Wie ­viele andere Termine dazukommen, von Vereinsfesten und Gedenkfeiern über Theatervorstellungen bis zur Ausstellungseröffnung. Da werden alle Ratsmitglieder eingeladen. Für mich ist es eine Frage der Wertschätzung, dass der Stadtrat dann auch dort vertreten sein sollte.

Die Jusos unterstützen

Auch fachlich musste ich mich in viele Dinge erst einmal einarbeiten. Zum Beispiel gehöre ich jetzt dem Stadt­entwicklungsausschuss an. Mit Bauplänen habe ich mich vorher wenig beschäftigt. Langsam komme ich an den Punkt, wo ich doch ein bisschen was davon verstehe. Zum Glück erhalte ich auch viel Unterstützung von den Jusos. Sie sind froh, dass ich sie im Stadtrat vertrete, und helfen mir im Gegenzug, sodass ich mich nicht in jedes Thema von Grund auf selbst einarbeiten muss.

Für die Fraktion war die Stadtratswahl 2024 ein Stück weit mit einem Generationenwechsel verbunden. Viele sind zum ersten Mal dabei. Die SPD hat ­eine gemeinsame Fraktion mit den Piraten gebildet, später hat sich uns auch noch eine FDP-Stadträtin angeschlossen. Selbst innerhalb der Fraktion streiten wir schon mal über politische Grundsatz­themen. Mit der Zeit habe ich gelernt: Es ist einerseits gut, sich mit der eigenen Fraktion zu verstehen. Andererseits kann man politisch auch viel gestalten, wenn man sich für ein Thema Verbündete in anderen Ratsfraktionen sucht. Im Erfurter Stadtrat gibt es eine linke Mehrheit, aber keine feste Koalition. Das macht die Mehrheitsfindung spannend, und die Mehrheiten können bei jedem Thema ganz unterschiedlich ausfallen.

Nicht alles läuft nach Plan

Diese Dynamik führt manchmal auch zu unschönen Überraschungen. Ich habe versucht, ein Bündnis zu schmieden für ein günstigeres Schülerticket – zusammen mit den Linken, den Grünen und der Fraktion „Mehrwertstadt ­Erfurt“. Bei den Haushaltsverhandlungen ging es dann um die Frage, ob wir das im nächsten Haushalt implementieren können. Die Linke hat dann kurzfristig entschieden, sich bei der entscheidenden Abstimmung zu enthalten, weil sie eigentlich einen komplett kostenfreien Schülerverkehr fordert. Die Folge: Plötzlich hatten CDU und AfD eine Mehrheit und haben das günstige Schülerticket abgelehnt. Die Linken haben sich hinterher entschuldigt, sie hatten sich einfach verkalkuliert.

Was mich außerdem überrascht hat: Wie viel Zeit ich mich mit Hamstern beschäftigt habe. Der Hamster-Masterplan zur Umsiedlung der Tiere ist in Erfurt ein wirklich großes Thema. Denn das beeinflusst den Bau von Schulen und Straßen.

Die Arbeit im Stadtrat verändert das eigene Leben extrem. Man ist immer die erste Ansprechperson, wenn in Erfurt irgendetwas schiefläuft und sich jemand beschweren will. Mein kompletter Freundes- und Bekanntenkreis fragt mich aus, sobald sie etwas Neues in der Regionalzeitung gelesen haben. Das Mandat ist mit viel Arbeitsaufwand verbunden, aber das lohnt sich. Es ist schön, gestalten zu können – zum Beispiel wird der qualifizierte Mietspiegel für Erfurt kommen. Allerdings erst in einigen Jahren. Auch das habe ich gelernt: In der Kommunalpolitik dauert vieles lange. Manche Erfolge werden erst nach dieser Wahlperiode sichtbar werden.

 

Protokolliert von Carl-Friedrich Höck. Dieser Text ist ursprünglich in der DEMO-Ausgabe 1/2025 als Teil der Serie „Mein erstes Jahr im Rat” erschienen. Mittlerweile ist Melissa Butt nicht mehr Juso-Vorsitzende in Thüringen, die Thüringer Jusos haben im Oktober 2025 eine neue Spitze gewählt.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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