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Start-ups statt Muckefuck: Ludwigsburg belebt altes Fabrikgelände

Ludwigsburg möchte eine leere Fabrik mit neuem Leben füllen. Weil ein Investor fehlt, wird die Stadt selbst aktiv.

von Uwe Roth · 4. Juni 2025
Frau steht auf einem Fabrikgelände

Andrea Schwarz (SPD) ist die Baubürgermeisterin von Ludwigsburg und kümmert sich um das Areal.

Lost Places (verlassene Plätze) sind Wallfahrtsorte für Hobby-Fotografen. Sie haben auch die alte Franck-Fabrik in Ludwigsburg für sich entdeckt. Die ältesten Produktionshallen stammen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wer in Ludwigsburg aus dem Zug steigt, dem fällt zuerst dieses historische Gebäude auf. Seit 2018 passiert dort allerdings nichts mehr. Einige wuchtige Maschinen stehen verloren herum. Sie werden in Zukunft zu nichts mehr zu gebrauchen sein.

Die letzte Betriebsleitung ließ typische Anordnungen zur Arbeitssicherheit hängen. Der Wegweiser „Nächste Ganzkörperdusche ist im Säure- und Laugeraum“ erinnert daran, dass die Herstellung des berühmten Caro-Kaffees nicht ganz ungefährlich war. Auch unter ­Muckefuck kannte man das Pulver-Getränk vor ­allem in ärmeren Haushalten.

Stadt hat aus Fehlern gelernt

Der Eigentümer des nach dem Gründer benannten Franck-Areals, der Schweizer Nestlé-Konzern, hat vor sieben Jahren Ludwigsburg verlassen, ohne sich um eine Nachnutzung zu kümmern. Die Stadt kaufte alle Hinterlassenschaften, um möglichen Bausünden eines rein renditeorientierten Investors einen Riegel vorzuschieben. Ein früherer Lost Place in der Stadt, eine berühmte Orgel-Fabrik, verrottete, bis nur noch der Abriss des imposanten Gebäudes übrig blieb. Heute stehen auf dem Grundstück Apartments. Das Kulturgut war verloren. 

Der Gemeinderat hat den Erhalt der einstigen Kaffeefabrik beschlossen und die Baubürgermeisterin Andrea Schwarz (SPD) beauftragt, aus dem verwinkelten Gebäudekomplex direkt am Bahnhof etwas Sinnvolles zu entwickeln, das der Stadt finanziell nicht auf der Tasche liegt. Die Stadt fühlt sich dem Firmengründer Heinrich Franck und dessen Söhnen verpflichtet. Sie haben der Stadt einige gemeinnützige und kulturelle Einrichtungen hinterlassen – darunter eine Musikhalle von 1890. Die Stadt rettete das zum Lost Place heruntergekommene Gebäude 80 Jahre später vor dem Abriss. Der Veranstaltungsort schreibt rote Zahlen, die die Stadt ausgleichen muss. Von Jahr zu Jahr wird das schwieriger, weil das Loch im kommunalen Haushalt immer tiefer wird. 

Andrea Schwarz hat im Rathaus ein junges Team aus verschiedenen Fachbereichen aufgestellt, das frische Ideen einbringen soll. Der Ursprungsgedanke der Verwaltung war, über einen Wettbewerb einen Investor zu finden, der das gesamte Areal übernimmt und Pläne entwickelt, die den Vorstellungen der Stadt entsprechen. Sie wäre mit einem Schlag sämtliche Probleme losgewesen. Doch ein solcher Investor blieb aus, die potenziellen Käuferinnen und Käufer hatten andere Überlegungen für das Areal. „Sie haben nicht den Zielen der Stadt entsprochen“, bedauert die SPD-Politikerin.

Fabrik bietet Platz für viele kleine Aktivitäten

Die neue Strategie lautet, das Ziel einer Nachnutzung in vielen kleinen Schritten zu erreichen. „Wir bieten Interessenten aus der Vielzahl der Räumlichkeiten passgenau das an, was sie brauchen“, sagt Schwarz. Wer eine Halle sucht, bekommt sie. Wer Büroflächen möchte, kann einziehen. Im Laborgebäude aus den 1970er Jahren haben sich Start-ups angesiedelt. Jüngere Menschen schätzen den Retro-Charme und stören sich weniger am Stilbruch zu der viel älteren Architektur. Manche Zwischenmieter werden voraussichtlich zu Dauermietern. Auf dem Betriebshof gastieren im Sommer Food-Trucks. 

Die Baubürgermeisterin freut sich besonders über Interessentinnen und Interessenten aus dem Gastro- und kulturellen Bereich. Einen Veranstaltungsort speziell für junge Leute könnte die Stadt gut gebrauchen. Nachbarn, die sich am Lärm stören könnten, gibt es nicht. „Aber es müssen Angebote werden, die nicht öffentlich gefördert werden müssen“, betont sie. Kulturschaffende, die ohne Geld aus der Stadtkasse nicht überleben können, gibt es einige. Neue sollen angesichts der prekären Finanz­lage nicht ­hinzukommen.

Ludwigsburg hat Schweizer Vorbild

„Wir haben zum Glück einen Zwilling, an dem wir uns bei der Entwicklung orientieren können.“ Schwarz meint damit, das beinahe baugleiche Firmengelände der Familie Franck in Basel. Die 1884 entstandene Fabrik ereilte 2019 das gleiche Nestlé-Schicksal: ... und weg war der Konzern. Die ­KULTQuartier ­Immobilien AG ist nun Eigentümerin des Areals. Inzwischen befinden sich dort Wohnungen, ein Zentrum für Tanz sowie ein Kompetenzzentrum für Kreislaufwirtschaft in der Region Basel. Bau­bürgermeisterin Andrea Schwarz ist ­angesichts der vergleichbaren Ausgangslage der Schweizer Projektentwickler zuversichtlich, Ähnliches zu erreichen. Vom Gemeinderat hat sie signalisiert bekommen, dass er die nötige Geduld auf­bringen werde.

 

Weiterführender Link:
meinlb.de/franck-areal

Dieser Bericht stammt aus der DEMO-Heftausgabe 2/2025. Hier können Sie das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik abonnieren.

Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist. Er ist Mitglied im Verein Deutsches Institut für Normung und dort im Redaktionskreis für eine DIN Einfache Sprache. Webseite: leichtgesagt.eu

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