Planspiel Kommunalpolitik der fes in Waldheim

Die ersten Gehversuche in der Kommunalpolitik

Robert Kiesel23. März 2018
Im holzvertäfelten Saal des Rathauses Waldheim besuchen Neuntklässler eine Sitzung des Ausschusses für technische Angelegenheiten. Nicht nur ein passiver Besuch stehen auf dem Programm des Planspiels, sondern später wird noch eine aktive Stadtratsrunde folgen.
Politik selbst erleben: Neuntklässler der Oberschule Waldheim in Sachsen nehmen an mehreren Projekttagen am Planspiel der Friedrich-Ebert-Stiftung teil – unser Reporter hat sie begleitet. Die Schüler lernen die Welt der Kommunalpolitik kennen – und dass Politik immer ein Geben und Nehmen ist. Auf dem Programm steht auch der Besuch einer „echten“ Ratssitzung.

Am Ende der Antragsberatung deutet sich ein Kompromiss an: Wenn sich die Fraktion der ­Sozialen Jugendpartei ein Ja zum Antrag „Skatepark am Werder errichten“ abringen kann, sichern die Mitglieder der Fraktion Jugend-Freiheits-Kämpfer im Gegenzug ihre Zustimmung zu deren Antrag auf eine Sprayerwand zu. Den Ratschlag von Stadtrat Sandro Dierbeck „Politik ist immer ein Geben und Nehmen“, setzen die beiden (Schüler-)Frak­tionen damit eins zu eins in die kommunalpolitische Praxis um. Der Unterschied zwischen Dierbeck und den Jungpolitikern: Während der 42-Jährige tatsächlich seit neun Jahren im Stadtrat von Waldheim sitzt, unternehmen die Neuntklässler soeben ihren ersten kommunalpolitischen Gehversuch. Verhandelt wird in den Klassenräumen der Oberschule Waldheim, die Fraktionsnamen haben die Schüler sich in nur wenigen Minuten ausgedacht und auch ihre Anträge werden es nur mit viel Glück tatsächlich ins Rathaus der 8.000-Einwohner-Stadt (Landkreis Mittelsachsen) schaffen.

Pause vom Alltag des Frontalunterrichts

In der Runde diskutieren: Der Schlüssel zum Erfolg des Planspiels Kommunalpolitik ist eine gewisse Lockerheit. Stehend: Teamer Julian Gerlach. Foto: Robert Kiesel

Davon unbenommen ist rasch zu spüren, wie gut ihnen die Pause vom Alltag der klassischen Schüler-Lehrer-Beziehung – die Masse schweigend am Tisch sitzend, der Lehrer ununterbrochen redend – gefällt. „Normalerweise ist es doch so: Der Lehrer erzählt seinen Text, keiner hört hin, alle schreiben ab und man lernt oder eben nicht. Diesmal ist es ganz anders“, bringt es Dominik Morawetz auf den Punkt. Ermöglicht wird die willkommene Abwechslung durch das Planspiel Kommunalpolitik, konzipiert und organisiert von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Sieben sogenannte „Teamer“ hat die Stiftung für zwei Tage nach Waldheim entsandt, um den Schülern das „1x1 der Kommunalpolitik“ näherzubringen.

Der Schlüssel zum Erfolg: Lockerheit. Mit Stuhlkreis statt Tischreihen, Du statt Sie, Lachen statt Pauken hat das Team um Sarah Splettstößer und Julian Gerlach, die beide schon viele Planspiele für die FES geleitet haben, die Schüler rasch auf seiner Seite. Mit der Mischung aus Vermittlung und Entspannung – Grundsätzen politischer Bildungsarbeit unterbrochen von Spielen und Verschnaufpausen – sorgen sie für Spaß und Lern­erfolg gleichermaßen. Der Lohn ihrer Arbeit: Rückkopplungen wie „überraschend cool“, „mal was ganz anderes“, oder „war eine tolle Zeit“, getoppt durch den Satz „Ich habe heute so viel gelernt wie in allen Stunden Gemeinschaftskunde (GK) insgesamt“.

„Kinder finden Bestätigung und Anerkennung“

Silvia Eckardt und Thomas Sattler, beide Gemeinschaftkunde-Lehrer der Schule und aufmerksame Beobachter der beiden Planspieltage, nehmen das nicht persönlich – im Gegenteil. „Die Kinder gehen aus sich heraus, finden Bestätigung und Anerkennung. Sie merken, dass ihre Anliegen tatsächlich ernst genommen werden“, lobt Eckardt. Ihr Kollege ergänzt: „An diese beiden Tage werden sie sich noch Jahre später erinnern, das ist was zum Anfassen. Da kann ich in meinem Unterricht noch so viele Filme über die große Bundespolitik zeigen, da bleibt nichts hängen.“ Beide sind sich darin einig, dass das Planspiel viel besser als andere Formate das ­Interesse der Jugendlichen an der Politik wecken kann. Eben weil es die Schüler dort abholt, wo sie sind: am eigenen Ort, vor der eigenen Haustür, in der ­eigenen ­Lebenswelt.

In der Runde diskutieren: Der Schlüssel zum Erfolg des Planspiels Kommunalpolitik ist eine gewisse Lockerheit. Stehend: Teamer Julian Gerlach. Foto: Robert Kiesel

Zum Anfassen sind dann auch die Themen, denen sich die Mitglieder der selbst ernannten Sozialen Jugendpartei, Demokratischen Partei Waldheim oder Oberschüler Waldheim widmen. Mehr Parkplätze für Mopeds vor der Schule, eine bessere Busverbindung in den Nachbarort, schnelleres Internet oder Treffpunkte für die Jugendlichen in Waldheim sind Vorschläge, die im Rahmen der Antragsdiskussion aufkommen. Weitere wie der nach Überdachung der Bushaltestelle, Einrichtung eines Zebrastreifens oder der für den Bau einer Tennishalle folgen. Sie machen deutlich: Die Schüler haben Sorgen und Probleme, die im Alltag des vorrangig von Menschen jenseits der 50 besetzten Stadtrats nur selten eine Rolle spielen. „Die bringen Themen auf, von denen wir sonst gar nichts wüssten. Es ist teilweise richtig erschreckend, wie viele von ihnen beispielsweise von schlecht geplanten Busanbindungen betroffen sind, ohne dass wir überhaupt etwas davon mitbekommen“, sagt Gaby Zemmrich, parteilose Stadträtin der SPD-Fraktion. Sie war im Rahmen des Planspiels bereits häufig zu Gast in der Oberschule Waldheim, genau wie Sandro Dierbeck und Ricardo Baldauf, ebenfalls Mitglieder im Stadtrat und an diesem Tag in der Rolle des (Kommunal-)Politikers zum Anfassen. Zum mittlerweile 13. Mal gastiert das Projekt an der Schule.

Besuch einer Sitzung im Waldheimer Rathaus

Eine Premiere ist die Veranstaltung für Dominik Morawetz und Elias Röder, die beide die 9. Klasse an der Oberschule Waldheim besuchen. Eine gute Sache sei das Planspiel, darin sind sich beide einig. Selbst den eigenen Gang in die (echte) Kommunalpolitik schließen sie kurz vor Ende des zweiten Projekttages nicht aus. Was ihnen besonders gefallen hat? Endlich ernst genommen zu werden. „Es tut gut, zu sehen, dass wir unsere Meinung einbringen können. Unabhängig davon, ob die Vorschläge später umgesetzt werden oder nicht“, erklärt der 15-jährige Morawetz. Der 16-jährige Röder, dessen Vater selbst im Stadtrat sitzt, nickt zustimmend und ergänzt: „Der Gemeinschaftskunde-Unterricht ist durch diese beiden Tage deutlich attraktiver geworden.“

Bei aller Freude über die willkommene Abwechslung vom Schulalltag: Dass Kommunalpolitik nicht immer spannend ist und Projekte teils immer und immer wieder aufgerufen werden müssen, ehe sich endlich etwas bewegt, bleibt den Schülern nicht verborgen. Sie werden Zeuge dessen, als sie zum Abschluss des ersten Projekttages den holzvertäfelten Ratssaal des Waldheimer Rathauses betreten. Dort, unter aufwendig restaurierten Wandmalereien und hinter eindrucksvoll verzierten Fenstergläsern, hält der Ausschuss für technische Angelegenheiten seine turnusmäßige Sitzung ab. Auf der verhältnismäßig knappen Tagesordnung stehen Punkte wie jener zur „Änderung der Ausführung der Unterhangdecke in den Fluren der Grundschule Waldheim.“ Allgemeines Aufatmen ist zu vernehmen, als die Abstimmung des Ausschusses einstimmig und ohne große Diskussionen erfolgt. Mit Unterhang­decken und den verschiedenen baulichen Möglichkeiten der Ausführung kennt sich wohl niemand der gut 60 minderjährigen Zuhörer wirklich aus.

Details und Gepflogenheiten im Stadtrat kennenlernen

Und auch wenn die darauffolgenden Themen wie Beräumung von Wanderwegen oder Reinigung der städtischen Gullydeckel 16-Jährige nicht eben unter Adrenalin setzt, die Aufmerksamkeit bleibt hoch. Das mag auch daran liegen, dass sich die jugendlichen Zuhörer möglichst viele Details und Gepflogenheiten der Sitzung einprägen wollen, um sie später selbst einzuhalten. Schließlich ist nicht nur der passive Stadtratsbesuch, sondern auch die aktive Stadtratsrunde Teil des Planspiels. Einen eigenen Antrag plus Anfrage müssen die Schüler-Fraktionen erarbeiten, jeweils unterstützt von echten Stadträten wie Gaby Zemmrich und Sandro Dierbeck, die am zweiten Projekttag in die Schule kommen.

Am Ende dieser Erarbeitungsphase steht unter anderem die eingangs erwähnte Absprache zwischen Sozialer Jugendpartei und Jugend-Freiheits-Kämpfern. Schaffen es ihre Anträge auf Errichtung von Skaterpark und Sprayerwand tatsächlich in den Stadtrat und werden später sogar Realität, dürfte die Begeisterung der Schüler für die Kommunalpolitik auch nachhaltig geweckt sein.

INFO

Das Planspiel Kommunalpolitik der FES kann grundsätzlich an jeder Oberschule in Deutschland stattfinden. Finanziert wird es von den jeweiligen Länderbüros der FES.
Bedingung: Die Schülerinnen und Schüler müssen 15 Jahre oder älter sein, die Arbeitsräume für die Projekttage von der Schule gestellt werden. Die Organisation des Planspiels inklusive Kontaktaufnahme zu Stadt/Gemeinde/Bezirk übernimmt die FES. Kontakt: Yvonne Lehmann, yvonne.lehmann@fes.de