Studie

Wo es viele kinderreiche Familien gibt – und wo nicht

Carl-Friedrich Höck28. Juni 2019
Kinderreichtum
Kinderreichtum – also drei Kinder oder mehr – kommt in ostdeutschen Familien besonders selten vor.
Forscher haben untersucht, in welchen Landkreisen es besonders viele kinderreiche Frauen gibt. Offenbar nicht dort, wo es die meisten Kita-Plätze gibt. Das hat Gründe.

Kinderreichtum ist in Deutschland selten geworden. Lediglich 16 Prozent der Frauen, die zwischen 1965 und 1974 geboren worden sind, haben mehr als zwei Kinder. Das hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in einer neuen Studie festgestellt, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Die Zwei-Kind-Familie gelte als Norm, meinen die Autoren.

Kinderreiche Gegenden in Niedersachsen und Baden-Württemberg

Studie Kinderreichtum nach Landkreisen
Kinderreichtum nach Landkreisen. Quelle: BiB

Erstmals wurde auch untersucht, in welchen Landkreisen der Anteil kinderreicher Frauen besonders hoch ist. Spitzenwerte erzielen Gebiete im westlichen Niedersachsen (etwa Cloppenburg, Vechta, Emsland) und in Baden-Württemberg (Schwäbisch Hall, Ostablkreis). Dort haben 22 bis 25 Prozent der Frauen mehr als zwei Kinder. Betrachtet wurden die Jahrgänge 1970 bis 1972 – also Frauen, die heute Ende 40 sind und die Familienplanung mutmaßlich abgeschlossen haben.

Dagegen sind dritte Kinder im Osten besonders selten. In Brandenburg an der Havel, Cottbus und Dessau-Roßlau liegen die Werte nur bei etwa 7,5 Prozent – es bekommt also nicht einmal jede dreizehnte Frau ein drittes Kind. Dabei gilt die Kita-Infrastruktur im Osten als besonders gut ausgebaut. Die Zahl der Betreuungsplätze allein motiviert offenbar nicht zu großem Kinderreichtum.

Kita-Plätze sind wichtig, Wohnraum auch

Das bedeutet jedoch nicht, dass die kommunale Infrastruktur unwichtig wäre. „Die Kita-Plätze spielen auf jeden Fall eine wichtige Rolle bei Kinderwünschen“, sagt Martin Bujard, Forschungsdirektor beim BiB. Das sei besonders deutlich sichtbar, wenn es um die Entscheidung für ein erstes oder zweites Kind gehe. So gebe es heute weniger kinderlose Akademikerinnen als vor zehn Jahren. Beim dritten Kind seien aber andere Faktoren ausschlaggebend, vor allem kulturelle. „Für viele Familien ist die Familie mit zwei Kindern vollständig, egal wie die Kita-Situation ist.“

Ein zentraler regionaler Faktor sei der Wohnraum, meint Martin Bujard. „Und da geht es nicht nur um die Kosten für Wohnraum, sondern auch darum: Gibt es denn genug große Wohnungen, die drei oder vier Kinderzimmer ermöglichen?“

Kinderrreichtum geht oft mit traditioneller Rollenaufteilung einher

Die Studien-Autoren haben unter anderem festgestellt:

  • In katholisch geprägten Regionen ist Kinderreichtum stärker verbreitet. Viele Kinder haben statistisch gesehen auch Migranten, insbesondere aus muslimisch geprägten Ländern.
  • In ländlichen Regionen, denen es wirtschaftlich gut geht, bekommen Frauen ebenfalls überdurchschnittlich oft mehr als zwei Kinder.
  • Kinderreichtum ist in der Grenznähe zu den Niederlanden oder Frankreich weiter verbreitet – in diesen Ländern ist der Anteil kinderreicher Frauen höher als in Deutschland.

Nachweisbar ist: Mit jedem zusätzlichen Kind steigt auch der zeitliche Betreuungsaufwand. Kinderreichtum führe zu einer „Retraditionalisierung“, erklärt Bujard. Also zu einer klassischen Rollenaufteilung, bei der in den meisten Fällen die Frau zuhause bleibt um die Kinder zu hüten. Auch das sei ein Grund, weshalb in Ostdeutschland meistens nach dem zweiten Kind Schluss ist, meint BiB-Direktor Norbert Schneider. Denn dort hätten Frauen eine größere Erwerbsneigung.

Kinderreichtum betrifft alle Schichten

Vorstellung Studie Kinderreichtum BiB
Vorstellung der Studie in Berlin.

Falsch ist übrigens das Klischee, dass Kinderreichtum vor allem in bildungsfernen Familien vorkomme. Von den kinderreichen Frauen der Jahrgänge 1965 bis 1969 haben 54 Prozent einen mittleren und 19 Prozent einen hohen Bildungsabschluss. BiB-Direktor Norbert Schneider betont: „Kinderreichtum ist nicht allein ein Phänomen von Bildungsfernen oder Migranten, sondern betrifft Personen in allen Schichten.“

 

Mehr Informationen
Die Studie finden Sie auf der Website des BiB

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