Studie

Sexueller Kindesmissbrauch: Wie Jugendämter richtig handeln

Carl-Friedrich Höck13. Dezember 2023
Symbolbild zum Thema Kindesmissbrauch: Jugendämter sollen die Kinder schützen, doch das gelingt nicht immer.
Jugendämter können sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beenden – wenn sie richtig vorgehen. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall, zeigt die Studie einer Aufarbeitungskommission. Welche Schlüsse sie daraus zieht.

Vor acht Jahren hat der Deutsche Bundestag eine unabhängige Kommission damit beauftragt, sexuellen Kindesmissbrauch in Deutschland aufzuarbeiten. Nun hat sich die Kommission mit der Rolle der Jugendämter auseinandergesetzt. Am Dienstag wurden die Ergebnisse einer Fallstudie vorgestellt.

Immer wieder hatten Betroffene und Angehörige der Kommission geschildert, wie sie das Handeln des Jugendamtes erlebt habe. Diese Berichte wurden jetzt wissenschaftlich ausgewertet. Die von der Kommission beauftragten Wissenschaftler*innen – das Forschungszentrum SOCLES und das Deutsche Jugendinstitut – sahen sich auch alte Akten der zuständigen Jugendämter an und interviewten Expert*innen aus der Fachpraxis.

Klare Defizite erkannt

Das Ergebnis: Die Forscher*innen stießen einerseits auf gute Beispiele, wie Kinder vom Jugendamt aus einer Gewaltsituation befreit wurden. Aber es wurden auch „klare Defizite deutlich, aus denen dringend gelernt werden muss“, berichtet Barbara Kavemann, die der Aufarbeitungskommission angehört.

Denn in einigen Fällen hätte die Behörde helfen können, tat es aber nicht. Die Kommission teilt mit: „Betroffene Kinder oder Jugendliche waren teilweise grundsätzlich bereit, sich einer Fachkraft des Jugendamtes anzuvertrauen. Es gelang aber nicht, das dafür notwendige Vertrauen aufzubauen: Dazu hätte es Einzelgespräche ohne die Eltern, einen geschützten Rahmen und mehr Zeit für Gespräche gebraucht.“

Für viele Betroffene ist das Jugendamt mit Angst verbunden, stellt die Kommission fest. Auch deshalb, weil die Täter*innen den Kindern bewusst damit drohen, dass sie aus ihren Familien gerissen würden, wenn sie mit dem Jugendamt sprechen. Ein weiteres Problem: Manchen Amtsmitarbeitenden fehlten die Fachkenntnisse, um Fälle sexualisierter Gewalt überhaupt zu erkennen. Ein Problem, das nach Einschätzung der Studien-Autor*innen immer noch besteht.

Betroffene brauchen Zeit und Aufmerksamkeit

Thomas Meysen, Co-Autor der Studie, betont: „Wenn sich Kinder und Jugendliche selbst an Jugendämter oder an andere Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe wenden, braucht es ein Bewusstsein, dass es in diesem Moment nichts Wichtigeres gibt, als sich ihnen anzunehmen und ihnen Angebote zu machen.“ Nur dann gelinge es vielen Betroffenen, sich dem Amt anzuvertrauen. Meysen rät auch dazu, die Kinder und Jugendlichen stärker einzubeziehen, wenn es darum geht, wie die Hilfe geleistet wird. Andernfalls könnten sie „einen erneuten Kontrollverlust erfahren“.

Damit beim Kinderschutz nichts schiefgeht, raten die Autor*innen dazu, die Fachkräfte in den Jugendämtern kontinuierlich zu weiterzubilden. Dabei könnten auch Erfahrungen von erwachsenen Betroffenen wertvoll sein. „Jugendämter sollten Betroffene bei der Wahrnehmung ihres Rechts auf Aufarbeitung unterstützen, ihnen Einsicht in ihre Jugendamtsakte gewähren und ihnen, wenn die Betroffenen dies wünschen, die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen sowie ihr damaliges Erleben zu schildern.“

Gegenüber der Kommission haben viele Betroffene deutlich gemacht, wie wichtig es für sie ist, später ihre Akten einsehen zu können. „Akten sollten daher nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen einem Archiv angeboten, die Betroffenen über die Akteneinsichtsrechte informiert und sie bei der Sichtung und Auswertung des Akteninhalts begleitet werden“, schlägt die Kommission vor.

Die Studie mit weiteren Empfehlungen für die Arbeit von Jugendämtern ist online veröffentlicht unter: aufarbeitungskommission.de

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