Stadtwerke

Was das Abwasser über die Corona-Pandemie verrät

Susanne Dohrn 04. März 2022
Mit hochmodernen digitalen Analysegeräten im Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt analysiert Dr. Natalie Kim Abwasserproben auf ihren Gehalt an Corona-Viren.
Europaweit forschen Wissenschaftler nach Corona-Viren im Abwasser. Dadurch wissen sie frühzeitig, welchen Verlauf die Pandemie nimmt. In Deutschland sind 20 Kommunen dabei, darunter Hamburg.

Das ist die Hoffnung: Endlich nicht mehr den Infektionszahlen hinterherlaufen. Endlich dem Virus dicht auf den Fersen sein, so dicht, dass rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden können oder auch schneller als bisher Entwarnung gegeben werden kann. Und das nicht nur bei Corona, sondern langfristig auch bei Erregern wie Polio, Grippe oder multiresistenten Keimen.

Der erste Schritt dazu ist getan. Deutschlandweit hat an 20 Standorten ein einjähriges Pilotprojekt gestartet, bei dem im Abwasser nach Corona-Viren geforscht wird. Finanziert wird das Projekt von der EU mit 20 Millionen Euro. Deutschland erhält aus diesem Topf 3,72 Millionen Euro. 119 Städte in Deutschland haben sich für das Pilotprojekt beworben, 20 wurden ausgewählt, darunter Hamburg. Das Projekt in der Hansestadt wird gemeinschaftlich von der Umweltbehörde, der Gesundheitsbehörde, Hamburg Wasser (dem Trinkwasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsunternehmen) sowie dem Institut für Hygiene und Umwelt durchgeführt.

Aufwendige Analyse im größten Klärwerk Deutschlands

In Hamburg hat in diesen Tagen die Probenentnahme begonnen. Zweimal in der Woche werden über einen Zeitraum von 24 Stunden vollautomatisch Abwasserproben entnommen, die dann im Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt analysiert werden. In der Hansestadt befindet sich das größte Klärwerk Deutschlands. Im Klärwerksverbund Köhlbrandhöft werden nahezu alle Abwässer der 1,8-Millionen-Metropole gesammelt – die aus den Haushalten, von Gewerbe, vielen unterschiedlichen Industrieanlagen und Regenwasser. Das alles kommt, je nach Wetterlage mehr oder weniger verdünnt, in Köhlbrandhöft an. „Wir haben in Hamburg eine sehr komplexe Zusammensetzung des Abwassers“, so Ingo Hannemann, technischer Geschäftsführer bei Hamburg Wasser.

Verglichen mit einem PCR-Test beim Menschen ist die Abwasseruntersuchung auf Corona-Viren ein aufwendiger Prozess. Bevor die eigentliche Analyse beginnt, werden die stark verdünnten und zum Beispiel mit Feststoffen belasteten Proben gereinigt und konzentriert. Danach wird die gesamte in den Proben enthaltene Erbinformation isoliert. „Wie hoch der Anteil an SARS-CoV-2 ist, wird mit einer digitalen PCR-Analyse bestimmt. Diese hochmoderne Methode ist grundsätzlich in der Lage, Viren auch in sehr geringen Mengen quantitativ nachzuweisen. Wir erwarten, auch bei niedrigen Inzidenzen den Verlauf der Pandemie anhand der Analysen überwachen zu können“, sagt Ansgar Ferner, Geschäftsführer beim Institut für Hygiene und Umwelt.

Auch Symptomlose werden erfasst

Bereits Tage bevor infizierte Menschen sich krank fühlen, scheiden sie SARS-CoV-2-Viren aus. Das gilt auch für Menschen, die keine Symptome haben und deren Infektion deshalb unentdeckt bleiben würde. Ein enges, regelmäßiges Abwasser-Monitoring ermöglicht es deshalb, einen Anstieg oder auch ein Sinken von Infektionszahlen deutlich früher zu erkennen, als mit herkömmlichen Testverfahren. Bei denen wird erst getestet, wenn konkrete Symptome auftreten. Zusätzlich vergehen ein bis zwei Tage, bis das Ergebnis da ist.

Die gesammelten und ausgewerteten Daten könnten zudem unabhängig von der Zahl der Testungen Auskunft über die Entwicklung der Infektionszahlen geben. „Dies kann helfen, neue Wellen einzudämmen beziehungsweise zu verhindern und stärkt somit die präventiven Handlungsoptionen in Pandemiezeiten“, so Michael Pollman, Staatsrat der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft in Hamburg.

Die beteiligten Städte

Die am Monitoring-Programm teilnehmenden Städte wurden durch den Bund im Einvernehmen mit den Ländern ausgewählt. Die Standorte unterscheiden sich in der Größe ihres Einzugsgebietes und der Zahl der Menschen, deren Abwässer untersucht werden, um eine möglichst große Bandbreite unterschiedlicher Gegebenheiten zu erfassen. Die 20 teilnehmenden Standorte sind: Die Berliner Wasserbetriebe, der Entsorgungsverband Saar (EVS), der Eigenbetrieb Stadtentsorgung Neustadt an der Weinstraße (ESN), Hamburg Wasser, Hansewasser (Bremen), Nordwasser (Rostock) sowie die Städte Altötting, Bonn, Bramsche, Büdingen, Dinslaken, Dresden, Grömitz, Hof, Jena, Köln, Potsdam, Rollsdorf, Stuttgart und Tübingen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung plant, weitere 20 Standorte zu fördern.