Interview Charlotte Räuchle, BBSR

„Smart-City-Projekte fußen meistens auf der Eigeninitiative von Kommunen”

Carl-Friedrich Höck21. Dezember 2022
Smart City (Symbolfoto): Laut Räuchle ist Digitalisierung vor allem ein Mittel zum Zweck, die integrierte Stadtentwicklung voranzutreiben,
Wie lässt sich die digitale Stadt gestalten? Dazu hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) eine Handreichung für Kommunen erstellt. Daran mitgearbeitet hat Dr. Charlotte Räuchle, Expertin für Smart Cities und digitale Daseinsvorsorge. Die DEMO hat mit ihr gesprochen.

DEMO: Der Begriff „Smart City“ ist allgegenwärtig. Trotzdem ist nicht immer klar, was er genau meint. Was verstehen Sie darunter?

Dr. Charlotte Räuchle: Smart City steht als Synonym für eine Kommune, die digitale Ansätze nutzt, um Transformationsaufgaben in der Stadtentwicklung zu bewältigen. Das heißt beispielsweise den ökonomischen Strukturwandel zu unterstützen, die Folgen des Klimawandels zu bewältigen oder die nachhaltige Mobilität auszubauen. Digitalisierung ist also eher ein Mittel, um die Ziele einer integrierten Stadtentwicklung zu erreichen. Dabei ist die digitale Teilhabe der Bürger*innen wichtig. Kommunen, die sich auf den Weg zur Smart City machen, sollten die Stadtgesellschaft in ihre Planungen und die Gestaltung einbeziehen.

Dr. Charlotte Räuchle. Foto: privat/Daniel Kause

Viele Kommunen fragen sich zunächst, mit welchen Konzepten sie beispielweise mehr Nachhaltigkeit oder eine moderne Mobilität schaffen können. Und dann schauen sie, wie sie ihre Ziele mithilfe digitaler Daten und Dateninfrastrukturen, digitaler Tools und Datenverarbeitung erreichen können. Dabei können dann zum Beispiel über Bürger*innenapps vernetzte Mobilitätsdienste oder der Aufbau komplexer, verwaltungsübergreifender Datenplattformen wichtig sein.

Für das BBSR haben Sie eine Handreichung für Kommunen erstellt: „Die digitale Stadt gestalten“. Für wen ist sie gedacht?

Die Handreichung ist für alle Menschen in den Kommunen gedacht, die das Thema der Smart City voranbringen wollen. Das können Mandatsträger*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen sein, aber auch Interessierte aus der Zivilgesellschaft oder Mitarbeiter*innen der kommunalen Unternehmen. Den Fokus haben wir auf Kommunen gesetzt, die noch relativ am Anfang ihrer Digitalisierung stehen und erst jetzt beginnen, sich strategisch damit auseinanderzusetzen.

Sie sprechen auch gezielt kleine und mittelgroße Kommunen an. Haben Sie den Eindruck, dass kleine Kommunen sich bisher mit dem Thema schwerer tun?

In der Tendenz haben wir schon den Eindruck, dass sich kleinere und mittlere Kommunen weniger mit digitalen Ansätzen befassen. Rechtsvorschriften wie das Onlinezugangsgesetz (OZG) haben zwar Digitalisierungsprozesse in den Verwaltungen angestoßen. Aber Smart-City-Projekte, die die integrierte Stadtentwicklung unterstützen sollen, fußen meistens auf der Eigeninitiative von Kommunen. Für kleine und mittlere Kommunen ist es ohne externe Unterstützung eher herausfordernd, sich dem Thema strategisch anzunähern. Ihnen fehlen Ressourcen und Kapazitäten, um sich mit Dingen wie dem Aufbau einer internen Datenarchitektur zu beschäftigen. Aber natürlich gibt es auch in kleineren Gemeinden interessante Digitalstrategien und Digitalprojekte. Das Förderprogramm „Modellprojekte Smart Cities“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen richtet sich auch gezielt an kleinere und mittlere Kommunen.

Sie betonen, man müsse das Thema Smart City strategisch angehen. In ihrer Broschüre beschreiben sie mögliche Arbeitsschritte: Kommunen sollen eine Bestandsanalyse durchführen, einen Strategieprozess planen, Handlungsfelder bestimmen, dann Projekte auswählen und schließlich eine Evaluation durchführen. Das klingt nach sehr viel Aufwand. Wäre es nicht zeitsparender, die Akteur*innen in den Kommunen krempeln die Ärmel hoch und legen einfach mal los?

Beide Ansätze sind nötig. Es braucht Menschen, die etwas ausprobieren und neue Digitalprojekte initiieren. Es braucht aber auch gute Strategien, die einen Handlungsrahmen für eine systematische Vorgehensweise vorgeben. Wichtig ist zu wissen: Wohin will ich als Kommune, welches ist die Ausgangssituation und was für Ziele habe ich im Bereich Digitalisierung schon erreicht?

Die Handreichung bildet dabei einen idealtypischen Prozess ab. Die Kommunen können Arbeitsschritte überspringen, wenn das für sie passt. Wir wollen sie aber dazu anregen, dies für sich selbst zu definieren: Wo können wir am besten beginnen und wo haben wir noch Defizite? Wir haben durchaus die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll sein kann, parallel zur Strategieentwicklung einzelne Digitalprojekte zu starten. Damit lässt sich aufzeigen, was Digitalisierung bei konkreten Vorhaben leisten kann – das motiviert potenzielle Projektpartner*innen.

Welche konkreten Beispiele für digitale Projekte haben Sie besonders beeindruckt?

Cover der Publikation „Die digitale Stadt gestalten”

Eines vorweg: Jede Kommune muss ihre eigenen Wege finden. Was für eine Kommune als Digitalprojekt innovativ und passend ist, lässt sich nur vor dem Hintergrund der jeweiligen Ziele, Ressourcen und spezifischen Rahmenbedingungen sagen. Was in einer Gemeinde ein sinnvolles Projekt ist, kann in einer anderen am tatsächlichen Bedarf vorbeigehen. Drei Beispiele von Kommunen möchte ich beispielhaft nennen, die eigene Wege gewählt haben:

Sehr anschaulich sind zunächst die smarten Mülleimer, die es zum Beispiel in Herrenberg in Baden-Württemberg gibt. Dort sind öffentliche Mülleimer mit Sensoren ausgestattet, die den Füllstand an eine Entsorgungszentrale melden. Sie werden nur noch bei Bedarf entleert. So kann die Müllabfuhr überflüssige Fahrten vermeiden.

Die Kleinstadt Zwönitz im Erzgebirge nimmt sich der lokalen Struktur- und Wirtschaftsförderung an. Über die Digitalisierung will sie einen regionalökonomischen Strukturwandel gestalten, digitale Infrastrukturen gezielt weiterentwickeln und digital qualifizierte Fachkräfte in der Region binden. Ein zentrales Projekt ist der Aus- und Umbau eines industriegeschichtlich bedeutsamen Speichergebäudes zu einem Gründer- und Technologiezentrum. Auch das finde ich spannend.

Ein weiteres schönes Beispiel ist die niedersächsische Stadt Oldenburg. Sie will die Bürger*innen noch stärker an der Stadtentwicklung beteiligen. Dazu hat sie neue digitale Teilhabeformate entwickelt, zum Beispiel einen sogenannten digitalen Zwilling. Das ist ein 3D-Modell einer Stadt, mit dem sich zeigen lässt, wie ein geplanter Bau aussehen kann und wie er sich auf Verkehr, Frischluftschneisen, Schattenwurf, Treibhausgasemissionen auswirkt. Die Bürger*innen können sich damit viel besser vorstellen, ob der neue Bau ins Stadtbild passt oder nicht. Gleichzeitig fördert die Stadt die digitalen Kompetenzen der Bürger*innen. Dabei arbeitet sie mit bestehenden Netzwerken und Lernorten zusammen, etwa der Volkshochschule und Bibliotheken. Es gibt zum Beispiel die Veranstaltungsreihe „digitaler Kaffeeplausch“ für ältere Bürger*innen. Sie bekommen Unterstützung in technischen Fragen, können sich digital ein Museum ansehen und vieles mehr.

Wenn Sie eine Prognose abgeben: Wie wird die Digitalisierung unsere Kommunen und unseren Alltag in zehn Jahren verändert haben?

Unser Alltag wird zwar zunehmend digitaler werden, aber ich sehe nicht, dass die Veränderungen für die Bürger*innen eine völlige Umwälzung bedeuten. Beispielweise werden Kommunen mehr eigene oder in Kooperation aufgesetzte Datenplattformen haben. Die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger*innen wird stärker über digitale Apps verlaufen. In der Stadtplanung werden digitale Zwillinge, wie eben beschrieben, normal werden. Die Digitalisierung wird auch den Schutz vor Starkregen, Hochwasser oder auch Hitze verbessern können. Es wird also viele kleine Veränderungen geben. Ob aber die Digitalisierung dazu beitragen wird, die oben geschilderten Herausforderungen der nachhaltigen Stadtentwicklung zu bewältigen, ist eine Frage, die letztlich politisch-gesellschaftlich beantwortet wird.  

Mehr Informationen:
Die Handreichung „Die digitale Stadt gestalten“ kann unter diesem Link als PDF heruntergeladen oder kostenlos bestellt werden: bbsr.bund.de

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