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Rathaus Speyer: Zum runden Geburtstag fein gemacht

24. November 2025 05:38:16

Das Speyerer Rathaus wird nächstes Jahr 300 Jahre alt. Ein Gemälde im Sitzungssaal erinnert Oberbürgermeisterin Stefanie Seiler immer wieder daran, wie schnell Demokratie zerbrechen kann.

Fassade Rathaus Speyer

Speyer macht sich schick: Die Fassade des historischen Rathausgebäudes soll zum Jubiläum wieder in altem Glanz erstrahlen.

„Wenn wir in ein modernes Gebäude am Stadtrand ziehen sollten, ich glaube, viele von uns würden nicht mitgehen wollen“, antwortet Stefanie Seiler auf die Frage, wie es sich anfühlt, in historischen Gebäuden zu arbeiten. Mit „wir“ meint die Speyerer Oberbürgermeisterin die Mitarbeitenden der Verwaltung, die ihre Büros teils im Stadthaus, teils im alten Rathaus haben. Beide Gebäude stehen an der Maximilianstraße, einer Hauptachse der Stadt, die auf den Speyerer Dom zuführt – ein beliebtes Ziel für Touristinnen und ­Touristen. Für die 2.000-Jahr-Feier der Stadt 1990 wurde die Straße umgestaltet: Statt grauem Asphalt, engen Bürgersteigen und Bordsteinen lädt eine hell gepflasterte Fläche mit breiten Fußgängerzonen zum Schlendern ein. 

Palatia begrüßt die Besucher*innen

Stefanie Seiler, Stadtchefin seit 2019, hat ihr Büro im Stadthaus, das 1903 bezugsfertig und zunächst Sitz der Versicherungsanstalt für die Pfalz war. Seit 1960 nutzt die Stadtverwaltung das neubarocke Gebäude. Als Nischenfigur steht hier Palatia über dem Eingang, eine adelige Römerin, die im 4. Jahrhundert von ihrer Sklavin Laurentia zum Christentum bekehrt und deshalb von Kaiser ­Diokletian verbannt wurde. 

Auch im Innern des Hauses sind Frauen dominant: Neben Oberbürgermeisterin ­Stefanie ­Seiler (SPD) bilden Bürgermeisterin ­Monika Kabs (CDU) und Beigeordnete Irmgard Münch-Weinmann (Bündnis 90/Die Grünen) den Stadtvorstand. Stefanie Seiler legt nicht viel Wert auf die Betonung ihrer Parteizugehörigkeit: „Die SPD ist meine politische Heimat, aber ich bin für alle Bürger und Bürgerinnen da. Wir sind dann gute OBs, wenn man nicht merkt, welcher Partei wir angehören.“

Rathaus-Renovierung kostet eine Million Euro

Aber nicht das Stadthaus mit ihrem Büro steht im Mittelpunkt touristischer Aufmerksamkeit, sondern das wenige Minuten entfernte historische Rathaus. Nächstes Jahr wird es 300 Jahre alt. Für den Geburtstag wird es zurzeit renoviert – für rund eine Million Euro. Ein Gerüst samt Schutzplane lässt die Fassadengliederung des rot-weißen Baus mit monumentalen Wandpfeilern nur erahnen, gibt aber den Blick frei auf den Dreiecksgiebel mit dem prunkvollen Portal und dem Balkon über der muschelartigen Konsole. 

Das Haus ist geöffnet: wegen der hier untergebrachten Ämter und Einrichtungen (Gleichstellungsstelle, Rechnungsprüfung, Dezernat Umwelt und Forsten, Schulungsraum, Trausaal), und weil man hindurchgehen kann zu dahinterliegenden Gebäuden. Viele sind hier schon gegangen, man sieht es an den abgelaufenen Sandsteinplatten im Eingangsbereich, von dem aus man auch in den historischen Ratskeller kommt, seit 1980 Restaurant und „gute Stube der Stadt“. 

Ein Ort für Ja-Sager

Im Innern des Hauses fällt das Licht durch historische Glasfenster in mehrere Treppenhäuser. An den Wänden Kunstwerke von Speyerer Künstlern. Verwinkelte Gänge, dazwischen immer wieder Stufen. Im Erdgeschoss zeigen Stefanie Seiler und ihre persönliche Referentin Sabrina Albers stolz den beeindruckenden Trausaal mit viel dunklem Holz und Stuck, in dem sich Brautpaare seit 1998 das Ja-Wort geben. Zwei Wendeltreppen mit kunstvoll geschnitztem Geländer führen zu einer umlaufenden Empore, die von hölzernen bemalten Säulen gestützt wird, mittig im Raum eine steinerne Säule. Früher wurden in den Wandschränken die Archivalien von Speyer gesammelt – bis es für den Raum zu viele wurden und das Stadtarchiv umzog.

Vor 1998 wurden Paare im ersten Obergeschoss getraut: im sogenannten kleinen Sitzungssaal, dessen eine Seite hin zum großen Sitzungssaal (bis 1990 Raum für Stadtratssitzungen) geöffnet werden kann. In den Räumen beeindrucken Kron- und Wandleuchter aus Messing, goldfarbene Textiltapeten, Stuckdekoration aus dem frühen Rokoko an den Decken, aber auch ausgewählte Gemälde und Möbel aus der Barock- und Biedermeierzeit. Ein Blickfang im Raum, der für Konzerte und größere Empfänge genutzt wird, ist die barocke Standuhr aus der Werkstatt der pfälzischen Uhrmacherdynastie Möllinger. „Nein, sie läuft nicht mehr“, erklärt Stefanie Seiler, „der laute Gong störte bei Konzerten“.

Pfalz-Gemälde überstand die NS-Zeit versteckt

Als das Rathaus vor rund 300 Jahren erbaut wurde, dachte man noch nicht an Rollstühle und Rollatoren. „Das Haus ist leider nicht barrierefrei“, bedauert die Oberbürgermeisterin. „Einen Aufzug gibt es hier nicht.“ Weil es aber mit Nebengebäuden verbunden ist, können im Ausnahmefall auch behinderte Menschen über Umwege zum Beispiel Konzerte im großen Saal besuchen. 

Besser erreichbar ist der heutige, ebenfalls historische Sitzungssaal im Anbau. Hier treffen sich die 44 Mitglieder des Stadtrates zu Sitzungen – im Angesicht des mehrere Meter großen Hans Purrmann-Gemäldes „Die Pfalz am Rhein“. Das 1932 von dem Speyerer Künstler extra für diesen Saal gemalte Werk überstand die Nazizeit, weil jemand eine riesige Hakenkreuzfahne drüber gehängt hatte. Stefanie Seiler gefällt das Bild: „Es erinnert uns daran, wie schnell Demokratie zerbrechen kann, wenn Hass und Ausgrenzung das Ruder übernehmen. Hier im Stadtrat setzen wir uns für ­Respekt, Vielfalt und offenen Dialog ein, denn nur gemeinsam können wir unsere Stadt stark und solidarisch halten.“

Dieser Text stammt aus der Reihe „Unser Rathaus” im vorwärts-kommunal.

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