Direkte Demokratie: Bericht über Bürgerbegehren in den Kommunen
Wie direkte Demokratie funktioniert, lässt sich an der Zahl der Bürgerbegehren gut ablesen. Der Verein „Mehr Demokratie!“ hat die neuen Zahlen für das Jahr 2024 ausgewertet. In den letzten Jahren häuften sich Bürgerentscheide zu Flüchtlings-Unterkünften – und endeten oft flüchtlingsfreundlich.
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Blick auf eine Flüchtlingsunterkunft. In den vergangenen Jahren gab es mehr Bürgerbegehren zu diesem Thema.
Direkte Demokratie ist lebendig in Deutschlands Kommunen: Statistisch gesehen finden in Städten, Gemeinden und Kreisen an jedem Wochenende drei Bürgerentscheide statt. Das ist ein Ergebnis des Berichts Bürgerbegehren 2025, den der Verein Mehr Demokratie am Mittwoch in Berlin vorgelegt hat.
Fast 9.500 Bürgerbegehren seit 1956
Insgesamt gab es im Jahr 2024 genau 229 Verfahren auf kommunaler Ebene, etwas weniger als im Jahr zuvor (264). „Von den Bürgerinnen und Bürgern, also von unten, wurden 179 angestoßen. 50 Verfahren waren so genannte Ratsreferenden, also vom Gemeinderat initiiert“, erläuterte Ralf Uwe Beck von mehr Demokratie e.V bei der Vorstellung des Berichts. In 81 Fällen seien die Verfahren in einen Bürgerentscheid gemündet, sagte Beck.
Bürgerbegehren gibt es in Deutschland seit 1956, zuerst aber nur in Baden-Württemberg. Seit Mitte der 1990er-Jahre sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Gemeinden, Städten und Landkreisen zunehmend verbreitet. Inzwischen wurden insgesamt 9.453 Verfahren beobachtet, von denen 4.768 in einen Bürgerentscheid mündeten, stellen die Autor*innen des Berichts fest.
Bürgerbegehren: Bayern und Baden-Württemberg an der Spitze
Etwa die Hälfte aller Verfahren seit 1956 bis 2024 konzentriert sich laut Mehr Demokratie e.V. auf zwei Bundesländer: Bayern mit 3.695 Verfahren (39,1 Prozent) und Baden-Württemberg mit 1.162 Verfahren (12,3 Prozent). Die Position Bayerns erklären die Autor*innen sich durch die „sehr anwendungsfreundlichen“ Regelungen. Wenige Themen würden ausgeschlossen, die gesamte Bauleitplanung zugelassen, und die notwendigen Unterschriften, also Quoren, seien moderat.
Schlusslichter sind demnach Berlin (50 Verfahren), Bremen (17 Verfahren) und das Saarland mit elf. Allerdings gibt es in Berlin Bürgerbegehren erst seit 2005. Entsprechend ergibt sich ein anderes Bild, wenn man Anzahl der Jahre seit Einführung der Regelungen mitbetrachtet: Dann stehen Hamburg, Berlin und Bremen auf den Spitzenplätzen. In der Hansestadt Hamburg findet laut der Auswertung durchschnittlich ein neues Bürgerbegehren oder Ratsreferendum pro Jahr statt.
Schwerpunkt auf Thema Flüchtlings-Unterkünfte
Die meisten Verfahren betrafen Wirtschaftsprojekte (20,5 Prozent), öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen (19,6 Prozent) und Verkehrsprojekte (15,8 Prozent), hieß es. Die Häufigkeit der Themen variiert von Bundesland zu Bundesland: Als einen wichtigen Grund nennen die Autoren die kommunale Bauleitplanung: In mehreren Ländern sei sie als Thema nicht oder nur eingeschränkt zulässig. Sie betreffe aber viele Themenbereiche.
Für das Jahr 2024 haben die Wissenschaftler*innen Bürgerbegehren zu Flüchtlingsunterkünften vertieft ausgewertet: Zu Flüchtlingsunterkünften gab es in den Jahren 2015 bis 2024 insgesamt 94 Verfahren. Dabei stellte sich heraus, dass von den 90 bereits abgeschlossenen Verfahren 27 zum Bürgerentscheid führten. 43 der 90 Verfahren, also knapp die Hälfte, waren laut dem Bericht unzulässig. Die restlichen 20 abgeschlossenen Verfahren erübrigten sich durch einen neuen Gemeinderatsbeschluss, durch einen Kompromiss oder sie wurden letztendlich nicht eingereicht. Die meisten Verfahren gab es in den bevölkerungsreichen Bundesländern Nordrhein-Westfalen (26 Verfahren), Bayern (19) und Baden-Württemberg (19).
Viele votieren für „flüchtlingsfreundliche“ Ziele
Wie Ralf Uwe Beck betonte, seien nicht alle Verfahren von migrationskritischen Initiativen angestoßen worden. „Schaut man sich die einzelnen Verfahren genauer an, lässt sich feststellen, dass sich zahlreiche davon für eine bessere und zentralere Unterbringung aussprachen und damit erfolgreich waren“, so Beck. Von den 27 Bürgerentscheiden zu Flüchtlingsunterkünften hatten 16 ein „flüchtlingsfreundliches“ Ergebnis – sei es, dass die Mehrheit für eine Unterkunft stimmte oder für einen besseren Standort votierte. In 10 Fällen (37 Prozent) wurde die Unterkunft laut dem Bericht abgelehnt, ein Verfahren sei neutral verlaufen.
Befürchtungen, Rechtsextreme könnten mit einer Flut von Bürgerbegehren die Flüchtlingsentscheidungen der Kommunen beeinflussen, haben sich nach diesen Ergebnissen nicht erhärtet. „Die Ankündigung der AfD, direkte Demokratie nutzen zu wollen unter dem Stichtwort Asylantenstop ist nicht gelungen“, sagte Beck. Die Bevölkerung habe sich nicht instrumentalisieren lassen. Insofern sei die rechte Mobilisierung als Rohrkrepierer geendet, betonte Beck.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.