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Jürgen Coße: „Kommunen sollten die Tagesordnung mitbestimmen”

Jürgen Coße ist kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Im Interview stellt er sich vor und fordert ein „Frühwarnsystem für kommunale Perspektiven”, wenn im Bund neue Gesetze erarbeitet werden.

von Carl-Friedrich Höck · 15. Juli 2025
Jürgen Coße steht an einem Geländer

Jürgen Coße, kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages.

Jürgen Coße, Sie sind der neue kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Welche kommunalpolitischen Erfahrungen bringen Sie selbst mit?

Ich mache seit mehr als 30 Jahren Kommunalpolitik. Das fing an, als ich noch ein Juso war. Wir hatten in meinem Heimatort kein Jugendzentrum. Das wollten wir unbedingt ändern. Der Einsatz hat sich bezahlt gemacht, das Jugendzentrum gibt es bis heute. Damals habe ich gelernt, dass Kommunalpolitik ein gutes Rüstzeug für Politik insgesamt ist.

Inwiefern?

Die Strukturen ähneln denen im Bundestag, es gibt vergleichbare Sitzungsrhythmen. Und es hat damals fünf Jahre gedauert, bis das Jugendzentrum kam. Das hat mir gezeigt: Politik funktioniert nicht wie der Fernseher zuhause, wo man einen Knopf drückt und dann läuft das Programm meiner Wahl. Sondern man muss beharrlich sein, mit Leidenschaft und Augenmaß nach Mehrheiten suchen. Es gehört auch dazu, Kompromisse einzugehen und vielleicht nur 80 Prozent seiner ursprünglichen Idee umzusetzen. Dann erreicht man etwas.

Ich habe zehn Jahre lang dem Gemeinderat von Neunkirchen angehört. Dann wurde ich in den Kreistag Steinfurt gewählt, war stellvertretender Landrat und später SPD-Fraktionsvorsitzender. Diese Zeit hat mich sehr geprägt.

Was meinen Sie damit?

Es ist etwas anderes, ob man auf der theoretischen Ebene die Welt erklärt oder ob man konkret vor Ort Verantwortung übernimmt, sich jeden Tag mit den Bürger*innen auseinandersetzt und weiß, wie hoch die Bordsteine sind. In der Kommunalpolitik packst du die Themen ganz pragmatisch an. In der SPD sind rund 20.000 Kommunalpolitiker*innen aktiv. Das halte ich für eine große Stärke unserer Partei, denn das sind praktische, vernünftige und verantwortungsbewusste Leute – ein großer Schatz auch für unsere Demokratie. Und die meisten machen das ehrenamtlich.

Jürgen Coße

Alle Entscheidungen, die im Bundestag getroffen werden, haben direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Kommunen.

In der SPD-Bundestagsfraktion gehört es nun zu Ihren Aufgabe, sich für die Anliegen der Kommunen einzusetzen. Welche Themen stehen auf Ihrer Agenda ganz oben?

Ich will erreichen, dass die kommunale Familie nicht erst eingebunden wird, wenn wir über einen konkreten Gesetzentwurf sprechen. Wir brauchen schon vorher ein Frühwarnsystem für kommunale Perspektiven. Ich weiß, dass ich da mit Bauministerin Verena Huberts oder den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Bärbel Bas starke Verbündete habe.

Alle Entscheidungen, die im Bundestag getroffen werden, haben direkte oder indirekte Auswirkungen auf die Kommunen. Wenn Sie über Verkehrspolitik sprechen, müssen sie berücksichtigen, dass die meisten Brücken auf kommunalen Grundstücken stehen. Gesundheitspolitik heißt auch, über die medizinische Versorgung im ländlichen Raum nachzudenken. Die Flüchtlings- und Migrationspolitik des Bundes betrifft unmittelbar die Städte und Gemeinden.

Wie wollen Sie es organisieren, dass Kommunalpolitiker*innen frühzeitiger einbezogen werden?

Mein Ansatz kommt auch aus der Kommunalpolitik: Die Kommunen sollten nicht nur zu Wort kommen, wenn wir im Bund unsere Tagesordnung abarbeiten. Sondern sie sollten bereits mitbestimmen, was auf der Tagesordnung steht. Das bedeutet, wir müssen noch engeren Kontakt pflegen zu den Leuten, die uns sagen können, was vor Ort geregelt werden muss.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Nehmen Sie die Bezahlkarte für Geflüchtete. Es ist eine Sache zu sagen: Wir führen sie ein und der Bund stellt dafür soundso viel Geld bereit. Das andere ist die Frage: Welche Ressourcen bindet das vor Ort? Gibt es genügend Personal?

Bei anderen Themen kommt es immer wieder vor, dass Kommunen gar nicht an die Mittel herankommen, die der Bund bereitstellt. Weil sie zum Beispiel Eigenanteile aufbringen müssen, die sich gar nicht leisten können, oder weil der bürokratische Aufwand zu hoch ist. Solche Prozesse müssen wir verändern und modernisieren.

Die Arbeitsgruppe Kommunalpolitik der SPD-Bundestagsfraktion ist sehr von Ihrem Vorgänger Bernhard Daldrup geprägt worden. Was ändert sich jetzt, nachdem er dem Bundestag nicht mehr angehört? Wird es neue Ansätze geben?

Die Fußstapfen von Bernhard Daldrup sind sehr groß. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass die Kommunen in der Bundespolitik einen höheren Stellenwert bekommen haben. Als SPD-Fraktion ist es nun unsere Aufgabe, das, was Bernhard angefangen hat, weiterzuentwickeln und die Kommunikation zwischen Bund, Ländern und Kommunen noch weiter zu verbessern. Sein Erbe fortzuführen ist für mich eine Selbstverpflichtung und ich werde mir auch bei vielen Dingen seinen Rat holen.

Die SPD ist DIE kommunalpolitische Partei hier im Deutschen Bundestag. Wir stellen 20.000 Kommunalpolitiker*innen und 337 Bürgermeister*innen in den Städten über 10.000 Einwohner. Von den 100 größten Städten haben 49 einen Oberbürgermeister oder eine Oberbürgermeisterin mit SPD-Parteibuch.

Man sieht Sie meistens mit einer Schiebermütze auf dem Kopf. Wie sind Sie zu Ihrem Markenzeichen gekommen?

Das war keine PR-Idee, sondern hat einen ernsten Hintergrund. Ich hatte weißen Hautkrebs und wurde 2020 operiert. Danach haben mir die Ärzte dazu geraten, immer eine Mütze zu tragen. Also im Winter, im Sommer und wenn es geht auch in Gebäuden, wo durch Fenster die Sonne hereinscheint. Für mich ist die Mütze eine Art Lebensversicherung, dass der Krebs nicht wiederkommt. Seitdem trage ich sie fast immer. So vergesse ich garantiert nicht, sie aufzusetzen, wenn ich aus dem Haus gehe.

Autor*in
Porträtfoto Mann mit Brille und dunkelblonden Haaren
Carl-Friedrich Höck

ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.

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