Was für Frauenabteile im ÖPNV spricht und was dagegen
Können reine Frauen-Abteile die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr erhöhen? Eine Berliner Grünen-Politikerin hat mit dieser Idee für Aufsehen gesorgt. Doch sie erfährt auch viel Widerspruch.
Florian Gaertner/Photothek
Eine Frau betritt eine Berliner U-Bahn
Viele Frauen haben bereits die Erfahrung gemacht, im öffentlichen Raum sexuell belästigt oder bedrängt zu werden. Manche meiden deshalb öffentliche Verkehrsmittel wie Busse oder Bahnen. Einen möglichen Lösungsansatz haben die Berliner Grünen Ende 2024 ins Spiel gebracht und damit bundesweit eine kontroverse Debatte ausgelöst: In U-Bahnen könnten eigene Abteile nur für Frauen eingerichtet werden. Genauer gesagt: für FLINTA-Personen – die Abkürzung steht für Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-Binäre*, Trans* und Agender*.
Andere Länder dienen als Vorbild. In Mexiko, Japan, Indien oder Brasilien gibt es Frauenwaggons bereits. Doch die Situation in Berlin sei mit Neu Dehli oder Mexiko Stadt schwer vergleichbar, findet Alexander Möller, Geschäftsführer für den Bereich ÖPNV beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Auf einer ÖPNV-Sicherheitskonferenz in der Bundeshauptstadt diskutierte er das Thema mit der grünen Verkehrspolitikerin Antje Kapek.
Frauenabteile keine Ideallösung
„Es ist nicht meine ideale Vision“, sagte Kapek über die Idee der FLINTA-Abteile. Sie wünsche sich eine Welt, in der sich alle Menschen frei bewegen können, ohne Gewalt zu erfahren oder diskriminiert zu werden. Insofern wären die Schutzabteile erst mal ein Rückschritt, meint sie. Doch es gehe darum, denjenigen ein Angebot zu machen, die sich sonst gar nicht mehr in die U-Bahn trauen würden. „Das ist ein Thema, auf das mich alle ansprechen und das einen Nerv trifft“, berichtete Kapek. Gewalt gegenüber Frauen nehme zu, bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) haben es 2024 einen 10-Jahres-Höchststand gegeben. Mit ihrer eigenen elfjährigen Tochter spreche sie vor U-Bahn-Fahrten über Fragen wie: Was ziehst du an? Was tust du, wenn du angesprochen wirst?
Auch Möller hat mit seiner Familie über Frauenwaggons gesprochen und zitierte die Reaktion seiner 20-jährigen Tochter: „Warum soll ich in ein bestimmtes Abteil, weil es Männer gibt, die Arschlöcher sind?“ Sexueller Missbrauch finde zwar zu einem erheblichen Anteil im öffentlichen Raum statt, aber laut Statistik passiere weniger als ein Prozent der Vorfälle im öffentlichen Nahverkehr. Den Vorschlag der Berliner Grünen hält der VDV-Vertreter für populistisch. Er vernachlässige auch die Maßnahmen, die es schon gebe: Notruftasten, Sicherheitsteams, die Möglichkeit nach vorne zum Fahrer oder zur Fahrerin zu gehen.
Personalnot ist Teil des Problems
Den Populismus-Vorwurf wollte Kapek so nicht stehen lassen. Sie setze sich mit den Argumenten Pro und Contra intensiv auseinander, betonte sie. Ihr sei auch bewusst, dass die Debatte über Gefahren im ÖPNV dazu führen könne, dass sich Fahrgäste noch unsicherer fühlen. Sie könne aber auch dafür sensibilisieren, dass die Menschen mehr aufeinander achten und nicht nur aufs Handy schauen, wenn ein Kind oder eine ältere Frau bedrohlich angesprochen würden.
Noch besser als getrennte Abteile wäre mehr Personal, sagte Kapek. „Aber wir wissen alle, wie die Situation ist“, fügte sie mit Blick auf die begrenzten Ressourcen hinzu. Ein Zugabteil farblich abzuheben, etwa mit pinken Aufklebern wie in Tokyo, sei da billiger.
Dies wiederum hielt Möller für einen Widerspruch. „Für die Zuwegung zu FLINTA-Abteilen brauche ich doch auch mehr Personal“, argumentierte er. Der VDV-Vertreter hält es für möglich, dass sich mit solchen Abteilen die Übergriffe ins Umfeld verlagern könnten, also verstärkt auf und vor Bahnhöfen stattfinden. Zudem tue er sich schwer damit, zu definieren, wer in die Abteile darf und wer nicht. Auch homosexuelle Männer oder jüdische Mitbürger mit Davidstern und Kippa müssten geschützt werden. Abgetrennte Waggons wären in der Berliner U-Bahn auch baulich eine Herausforderung, merkte Möller an. Die Züge seien nämlich durchgängig offen.
Modellversuch zu Frauen-Abteilen?
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, welchen Schutz Frauenabteile tatsächlich bieten. Kapek zeigte sich optimistisch, dass sich in solchen Waggons Menschen versammeln würden, die einem potenziellen Täter signalisieren: Geh weiter, sonst drücken wir den Notknopf! Das Gegenargument, solche Abteile könnten „den ekligen Männern“ die Suche nach potenziellen Opfern sogar noch erleichtern, habe es auch bei der Einführung von Frauenparkplätzen gegeben. „Nichts davon hat sich bewahrheitet“, so Kapek.
Sie plädierte dafür, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. „Irgendeine Stadt in Deutschland wird demnächst mit einem Modellversuch dazu starten.“ Möller wettete dagegen.
In Berlin stieß der Vorschlag, Frauenwaggons einzurichten, bei den Regierungsparteien CDU und SPD auf viel Skepsis. „Wenngleich ich den Gedankengang nachvollziehen kann, greift die Idee aus meiner Sicht zu kurz“, erklärte der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Tino Schopf laut Tagesspiegel. Für reine Frauen-Waggons in der U-Bahn brauche es gesondertes Personal, „welches diese spezielle Regelung überwacht und umsetzt“.
Täter-Opfer-Umkehr befürchtet
Widerspruch kam auch aus anderen Bundesländern. „Exra-Waggons für Frauen signalisieren, dass Frauen selbst für ihren Schutz zu sorgen haben“, kritisierte zum Beispiel Etta Hallenga, Mitarbeiterin der Frauenberatung Düsseldorf, gegenüber dem WDR.
Derweil läuft die Debatte weiter. Eine Petition mit dem Ziel, in Berlin FLINTA-Waggons einzurichten, hat bisher rund 23.000 Unterstützer*innen gefunden.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.