Interview mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales

Andrea Nahles: „Niemand verliert wegen der Flüchtlinge seinen Job“

Karin Billanitsch09. Dezember 2015
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, will Flüchtlinge bei der Integration unterstützen – auch in den Arbeitsmarkt.
Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, will massiv in Sprachkurse investieren und berufsbezogene Sprachkurs-Plätze auf 100.000 vervierfachen. 2016 werden für Deutsch- und Integrationskurse insgesamt 300 Millionen Euro bereitgestellt. Gleichzeitig dämpft die Ministerin zu hohe Erwartungen.

Frau Nahles, viele Zuwanderer bringen bereits Qualifikationen wie eine Berufsausbildung mit. Aber die Kenntnisse liegen oft monatelang brach. Zwar ist das Arbeitsverbot für Flüchtlinge bereits 2014 auf drei Monate verkürzt worden. Doch die Wenigsten finden dann schnell in den Arbeitsmarkt. Was müsste jetzt passieren, damit Flüchtlinge schneller in Arbeit kommen?

Ganz entscheidend sind jetzt zwei Dinge: Das eine sind die Sprachkenntnisse. Wir investieren massiv in Sprachkurse und suchen Kontakt zu den Betrieben, um das Erlernen der Sprache und den ersten Kontakt zur deutschen Arbeitswelt zusammenzubringen. Als Kollege lernt es sich einfach besser. Aber es fehlt noch an Kapazitäten. Die Zahl der berufsbezogenen Sprachkurs-Plätze innerhalb von wenigen Monaten von 25 000 auf 100 000 und mehr zu erhöhen, ist eine Herkulesaufgabe. Der Zeitdruck ist erheblich. Das zweite wichtige Element sind die Qualifikationen. Wir müssen feststellen, welche Qualifikationen und Kompetenzen der einzelne Flüchtling mitbringt und dann passgenau unterstützen, um hierauf gegebenenfalls mit ergänzender Qualifizierung aufzubauen. Bei beiden Hebeln arbeiten wir gerade mit Hochdruck an der Umsetzung.

Es wird einige Zeit dauern, bis die Flüchtlinge so gut Deutsch sprechen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben. Sind ausreichend Mittel bereitgestellt, um in den Kommunen genügend (berufsbezogene) Deutschkurse anzubieten?

Wir haben für dieses Jahr nachjustiert und massiv mehr Mittel für Sprachförderung eingesetzt. Außerdem haben wir die Bundesagentur für Arbeit ermächtigt, für Personen mit guter Bleibeperspektive weitere Sprachkurse noch 2015 zu vermitteln. 2016 bauen wir die Investitionen in Deutschkurse deutlich aus: Für die berufsbezogene Sprachförderung und zusammen mit den Integrationskursen im Etat des Bundesinnenministeriums stellen wir mit knapp 300 Millionen dafür 2016 fast viermal so viel bereit wie ursprünglich geplant. Mittelfristig wollen wir die Integrationskurse und die berufsbezogenen Sprachkurse im Rahmen eines neuen „Gesamtprogramms Sprache“ zu einem modularisierten System weiterentwickeln. Diese Strukturen werden wir jetzt so schnell wie möglich hochfahren und dann laufend überprüfen und gegebenfalls nachjustieren, um sicherzustellen, dass wir den notwendigen Bedarf decken.

Wie viel Geld veranschlagen Sie für die Integration von Flüchtlingen für das nächste und die kommenden Jahre? Wofür sollen diese Finanzen verwendet werden?

Jetzt ist es entscheidend, mit dem Haushalt 2016 die nötigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration zu schaffen. Konkret stellen wir für das Jahr 2016 in der Grundsicherung für die Jobcenter zusätzliche Bundesmittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik und für Eingliederungsmaßnahmen in Höhe von 575 Millionen Euro bereit. Ergänzend investieren wir zu den schon genannten Mitteln für die Sprachförderung weitere Mittel für die berufliche Integration und Anerkennungsberatung im Netzwerk Integration durch Qualifizierung (IQ) – hier alleine 19 Millionen Euro. Außerdem brauchen wir mehr gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern. Allein in den gemeinsamen Einrichtungen von Bundesagentur für Arbeit und Kommunen schaffen wir für das Jahr 2016 daher insgesamt zusätzlich 2800 Beschäftigungsmöglichkeiten, davon die meisten als Dauerstellen.

Und schließlich benötigen wir auch mehr Mittel für die Leistungen zum Lebensunterhalt – für das Jahr 2016 insgesamt über 1,1 Milliarden Euro. Mit diesen Investitionen schaffen wir die staatlichen Voraussetzungen für die Integration in Arbeit. Klar ist aber auch, sie gelingt nur Hand in Hand mit der Wirtschaft. Daher bin ich auch im engen Dialog mit Arbeitgebern, wie wir die staatlichen Angebote besser mit unternehmerischen Möglichkeiten verzahnen können.

Für viele Unternehmen sind Flüchtlinge die Nachwuchskräfte von morgen. Verringern sich dadurch die Chancen von zumeist älteren Langzeit-Arbeitslosen, eine Stelle zu finden?

Nein. Niemand wird wegen der Flüchtlinge den Job verlieren. Im Gegenteil, es entstehen auch viele neue Jobs rund um die Flüchtlingshilfe, zum Beispiel im Wohnungsbau, im Catering, in der Betreuung und vielem mehr. Bei den „einheimischen“ Menschen werden wir daher weiter einen Rückgang der ­Erwerbslosigkeit erleben.

Zudem achten wir bei allem, was wir für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt tun, streng darauf, dass die zusätzlichen Anstrengungen nicht zu Lasten der Menschen gehen, die bereits hier leben und die auch auf unsere Unterstützung angewiesen sind. Wir wollen den Flüchtlingen die Chance für einen Neustart in Deutschland geben. Und gleichzeitig werden wir auch Menschen, die schon lange in Deutschland arbeitslos sind, bei einem Neustart helfen.

In Deutschland sind die Arbeitslosenzahlen rekordverdächtig niedrig. Wird der Arbeitsmarkt die Integration der Flüchtlinge schaffen, oder werden die Arbeitslosenzahlen wegen der Zuwanderung steigen?

Die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist langfristig eine große Chance für Deutschland in Anbetracht von demographischem Wandel und Fachkräfteengpässen. Die Integration gelingt aber nicht von heute auf morgen, sie braucht Zeit. Man stelle sich mal umgekehrt vor, wir würden in Syrien neu anfangen, ohne die Sprache zu beherrschen. Das heißt, kurzfristig werden die Arbeitslosenzahlen deutlich ansteigen, wenn die Flüchtlinge ein Bleiberecht erhalten und sich arbeitsuchend melden. Und langfristig werden wir die Menschen gut in den Arbeitsmarkt integrieren können, wenn wir jetzt rechtzeitig in sie investieren – daran arbeiten wir mit vereinten Kräften.