Corona-Pandemie

Debatte um Öffnungs-Modellprojekte: sind Schnelltests unzuverlässig?

Carl-Friedrich Höck16. April 2021
Trügerische Sicherheit? Corona-Tests können falsche Ergebnisse liefern.
Corona-Infizierte könnten trotz negativem Schnelltest ansteckend sein – darauf weist der Virologe Christian Drosten hin. Und der Bund plant angesichts hoher Inzidenzwerte eine Corona-Notbremse. Was das für Öffnungs-Modellprojekte in den Kommunen bedeutet.

Mit einer Bemerkung zu Schnelltests hat der Virologe Christian Drosten Zweifel an testbasierten Öffnungskonzepten gesät. In seinem NDR-Podcast sagte er am Dienstag: Es sei gefährlich, sich bei Einlasskontrollen auf das Ergebnis eines Schnelltests zu verlassen, etwa beim Theater- oder Konzertbesuch oder im Restaurant. Zwischen 40 und 60 Prozent der Infektionen würden bei Schnelltests übersehen. Der Grund: „Die Schnelltests schlagen erst am Tag eins nach Symptom-Beginn an, da ist man aber schon drei Tage lang infektiös“.

Kritik am Tübinger Modell

Für Aufsehen sorgte diese Aussage auch deshalb, weil einige Kommunen genau das gerade tun: Sie öffnen Läden und Kulturbetriebe für alle Einwohner*innen, die einen negativen Schnelltest vorweisen können. Als Vorreiter gilt Tübingen mit seinem „Tübinger Modell“. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bestätigte auf Twitter: „Leider wahr. Schnelltests sind oft erst an dem Tag positiv, wo man schon 1-2 Tage ansteckend war.” Daher sei die Idee „wir testen uns statt Lockdown“ bei einer Inzidenz über 100 falsch. Das habe selbst Tübingen lernen müssen, daher sei die Außengastronomie dort mittlerweile wieder zu.

Die 7-Tage-Inzidenzwerte sind im Landkreis Tübingen seit Beginn des Modellprojektes Mitte März stark gestiegen, im Landkreis Tübingen von 41 auf 147 Infizierten pro 100.000 Einwohner*innen. Die Stadt selbst hatte damals eine Inzidenz von 20 und liegt jetzt knapp unter 100. Allerdings sind die Fallzahlen in ganz Deutschland in die Höhe geschossen, bundesweit liegt die Inzidenz aktuell bei 160.

Fehlerquote soll überprüft werden

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) weist die Aussagen von Drosten und Lauterbach zurück. Sie seien in der Praxis widerlegt. „Während unseres Modellversuchs haben wir deutlich mehr als hundert positive Schnelltests gehabt, die im PCR bestätigt wurden. Auch hier waren ausnahmslos alle vollständig symptomfrei und wollten eigentlich einkaufen oder ins Restaurant.“ Es sei also schlicht falsch, dass Schnelltests Infektionen erst am Tag eins nach Beginn von Symptomen erkennen.

Der Vorsitzende der SPD-Gemeinderatsfraktion Martin Sökler berichtet: Die Rate der Schnelltests mit positivem Ergebnis liege seit Beginn des Modellprojektes konstant bei 0,1 Prozent. Von diesen Ergebnissen seien 80 Prozent bei einem anschließenden PCR-Tests bestätigt worden. Die Zahl der falsch-positiven Tests sei also gering. Wieviele Tests falsch-negativ ausfallen, wolle man in den kommenden Wochen herausfinden, indem auch negative Schnelltestergebnisse stichprobenartig mit PCD-Tests nachkontrolliert werden. Das Land habe dafür Geld zur Verfügung gestellt.

Drosten selbst hat seine Aussage im Nachgang noch einmal eingeordnet. Das sogenannte „Passporting” beinhalte zwar ein Restrisiko, sei aber besser, als gar nicht zu testen.

Die örtliche SPD-Fraktion unterstützt das Tübinger Modell im Grundsatz. Maßgeblich sei, dass es „durch das Modell Lauterbach ergänzt wurde“, wie Sökler sagt. Gemeint ist, dass auch in Betrieben, Schulen und Kitas verbindlich getestet wird und nicht nur freiwillig vor der Shopping-Tour.

Neues Bundes-Gesetz könnte Modellprojekte ausbremsen

Geht es nach der Stadt, soll das Tübinger Modell auch fortgeführt werden. Allerdings könnte die sogenannte Bundes-Notbremse den Tübinger*innen ab kommenden Freitag einen Strich durch die Rechnung machen. Der Entwurf sieht vor, dass ab einer Inzidenz oberhalb von 100 die Geschäfte (außer für den täglichen Bedarf), Kultur- und Sporteinrichtungen schließen müssen.

Wegen der erwarteten Notbremse hat das Land Niedersachsen den Start von zwölf kommunalen Modellprojekten bereits verschoben. Losgehen sollte es eigentlich in dieser Woche, doch nun will die Landesregierung abwarten, was im neuen Infektionsschutzgesetz steht.

„Gefahr eines falschen Sicherheitsgefühls”

Auf Nachfrage äußert sich das niedersächsische Gesundheitsministerium auch auf die Aussagen von Drosten und Lauterbach: „Das Ministerium hat mehrfach auf die begrenzte Aussagekraft der Tests hingewiesen. Es besteht die Gefahr eines falschen Sicherheitsgefühls.“ Es sei bekannt, dass ein „Freitesten“ nicht möglich sei. Tests seien nur als ergänzende Maßnahme nützlich. „Sie ersetzen nicht andere nicht pharmazeutische Interventionen (Hygieneregeln (AHA+L), Kontaktbeschränkungen etc.)“

Weiter teilt das Gesundheitsministerium mit: Etwaige Modellprojekte und alle sonstigen möglichen Öffnungsschritte würden aufmerksam, kritisch und teils auch wissenschaftlich begleitet. Öffnungen in Hochinzidenzkommunen werde es nicht geben.

Auf der Kippe steht auch das „Saarland-Modell“. Dort hatte die Landesregierung ab dem 6. April Öffnungsschritte in den Bereichen Gastronomie, Sport und Kultur beschlossen, auch hier in Verbindung mit negativen Tests. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei 129 Fällen pro 100.000 Einwohner*innen, ist allerdings zuletzt sogar etwas gesunken. An diesem Freitag will der Ministerrat entscheiden, wie es weitergeht.