Konferenz in Leipzig

Deutsch-ukrainische Kommunalpartnerschaften: ohne Stadt kein Staat

Carl-Friedrich Höck15. November 2023
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko
In Leipzig treffen deutsche und ukrainische Bürgermeister*innen zusammen. Eine Diskussionsrunde verdeutlichte, wie wichtig kommunale Partnerschaften für das angegriffene Land sind. Dort geht die Angst um, mit Russland alleingelassen zu werden.

184 Partnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Kommunen gibt es aktuell. Das sind mehr als doppelt so viele wie vor Putins Angriff auf die Ukraine im Februar 2022. Am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche trafen sich Vertreter*innen beider Länder in Leipzig.

Die Kernbotschaft, die von der deutsch-ukrainischen kommunalen Partnerschaftskonferenz ausgehen sollte: Ukrainische Kommunen sollen entscheidende Träger beim Wiederaufbau ihres Landes werden, und die deutschen Städte und Gemeinden wollen sie dabei unterstützen.

Klitschko will Geflüchte zurückbekommen

„Wir wollen einen Frieden haben, wir kämpfen dafür“, sagte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Dass fast neun Millionen Menschen aus der Ukraine flüchten mussten, sei eine große Tragödie. Viele von ihnen seien Frauen und Kinder. „Unsere Aufgabe ist es, sie in die Ukraine zurückzubekommen.“ Klitschko ist auch Vorsitzender des ukrainischen Kommunalverbandes „Association of Ukrainian Cities“.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) betonte: „Wir stehen an Ihrer Seite.“ Die Souveränität der Staaten sei nicht verhandelbar. Er sei der deutschen kommunalen Familie dankbar für ihre gelebte Solidarität, etwa indem sie Autos bereitgestellt, Hilfspakete geschickt oder bei den ukrainischen Kolleg*innen angerufen hätten. Deutschland könne aber auch von der Ukraine lernen. „In Sachen Digitalisierung haben sie uns einiges voraus.“ Es kämen unglaublich schlaue und wissbegierige Menschen nach Deutschland.

Der Bund fördert die kommunale Zusammenarbeit

Im Oktober 2022 haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi die Schirmherrschaft über ein kommunales Partnerschaftsnetzwerk übernommen. Das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) unterstützt die Zusammenarbeit über die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) und die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). In die Netzwerke sind oft auch weitere Städte aus Polen oder Frankreich involviert.

Nach Angaben des BMZ haben deutsche Kommunen Geld- und Sachleistungen im Wert von mehr als 40 Millionen Euro an die ukrainischen Partner gespendet. Das Ministerium selbst hat für die Zusammenarbeit bisher 26 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld fließt beispielsweise in Generatoren oder in Spezialgeräte für ukrainische Wasserwerke. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hat nun eine Unterstützung von weiteren 15 Millionen Euro zugesagt. Das Geld soll vor allem für Partnerschaften zwischen kommunalen Kliniken verwendet werden, zum Beispiel für medizinische Geräte.

Wert der Partnerschaften geht weit über Spenden hinaus

Wie wichtig diese Partnerschaften für die Ukraine sind, wurde in Leipzig bei einem „Runden Tisch für deutsche und ukrainische (Ober-)Bürgermeister*innen und Landrät*innen“ deutlich, der von den kommunalen Spitzenverbänden beider Länder organisiert wurde.

Borys Filatow, Bürgermeister von Dnipro, erklärte: „Unsere größten Befürchtungen liegen darin, dass wir in diesem schrecklichen Krieg mit unserem Feind alleine bleiben.“ Was die Partnerschaften hier leisten, machte er an einem Beispiel deutlich. In seiner Stadt seien durch einen Raketenangriff 100 Busse zerstört worden. Ersatz kam unter anderem aus Köln. „Wenn die Leute auf den Straßen Busse aus Köln sehen, dann sehen sie, dass man uns nicht alleine gelassen hat.“ Aus der Domstadt seien auch Generatoren geliefert worden und Notebooks. Letztere nutzen die Schüler*innen für den Online-Unterricht, da sie nicht in ihre Schulen gehen können.

„Aus dem partnerschaftlichen Verhältnis ist eine große Familie geworden“, berichtete Claudia Sommer, parteilose Bürgermeisterin der Samtgemeinde Wathlingen. Diese pflegt Verbindungen ins westukrainische Truskawez. Obwohl Wathlingen nur 16.000-Einwohner*innen hat, wurden auch von hier fünf Mannschaftstransportwagen und mehrere Vierzigtonner voller Spenden in die Ukraine transportiert. Sie bewundere ihren ukrainischen Amtskollegen für seine Kraft, kommentierte Sommer.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) erinnerte daran, dass in ihrer Stadt am Rosenmontag 2022 eine Viertelmillion Menschen gegen den Krieg in der Ukraine protestierten. Die Stadt habe einen jährlichen Ukraine-Tag ins Leben gerufen.

Ukraine will für Werte kämpfen

Oleksandr Kodola, Bürgermeister der Stadt Nischyn, sprach über die deutsche Angst, dass die militärische Unterstützung zu einer Eskalation führen könne. Das sei eine Herausforderung, und die Aufgabe der Ukrainer*innen sei es, die Deutschen zu überzeugen. „Wir kämpfen jetzt für unsere Familien, für unsere Häuser, für unser Land.“ Gekämpft werde aber auch für die Werte Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.

Klitschko (mitte) mit Leipzigs OB Burkhard Jung (l.) und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (r.). Foto: Nicky Hellfritzsch / Engagement Global

In der Vergangenheit sorgte die ukrainische Demokratie nicht nur für gute Schlagzeilen. Vor allem die grassierende Korruption machte dem Land immer wieder zu schaffen. Vitali Klitschko denkt dieses Problem mit, wenn er über den Wiederaufbau der Ukraine und Pläne für einen „Marshall-Plan“ spricht. Es gehe nicht nur darum, Brücken oder Schulen wieder aufzubauen, betonte er in Leipzig. Es müssten auch Reformen angepackt werden, um die europäischen Werte zu verankern.

Nötig seien Antikorruptionsreformen bei der Staatsanwaltschaft, Polizeistrukturen und eine Reform der Selbstverwaltung. Hierbei seien die Erfahrungen deutscher Partnergemeinden sehr wichtig.

„Nie heiligt der Zweck die Mittel”

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) plädierte ebenfalls dafür, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken. Diese müsse man ernstnehmen und von unten heraus demokratische Strukturen aufbauen. „Ohne Stadt ist kein Staat zu machen“, brachte er es auf den Punkt. Und: „Nie heiligt der Zweck die Mittel.“ Wenn man jetzt demokratische Prinzipien und Strukturen vernachlässige, könne man „nicht an dem Ziel weiterarbeiten, um das es eigentlich geht.“

An der Konferenz in Leipzig nahmen 600 Vertreter*innen aus Kommunen beider Länder teil. Im Juni 2024 wird Deutschland Gastgeber einer internationalen Wiederaufbaukonferenz sein. Auch dort solle die Rolle der Kommunen besonders berücksichtigt werden, teilt das BMZ mit.

 

Mehr Informationen:
Die SKEW hat eine Online-Landkarte der deutsch-ukrainischen Partnerschaften veröffentlicht.

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