Interview zu deutsch-französischen Städtepartnerschaften

„Für Frieden und Freiheit muss man aktiv immer wieder eintreten“

Julia Korbik17. November 2016
Marktplatz in Ludwigsburg.
Ludwigsburg, im Bild der Marktplatz, pflegt seit 1950 eine Städtepartnerschaft mit Montbéliard in Frankreich.
Die Partnerschaft zwischen Ludwigsburg und Montbéliard war die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft, sie besteht seit 1950. Wie es dazu kam, und was die Freundschaft heute noch auszeichnet, das erzählt Werner Spec, der amtierende Oberbürgermeister von Ludwigsburg im Interview.

Herr Spec, wie sieht Ihr persönlicher Bezug zu Frankreich aus?

Ich spreche nur ganz wenig Französisch, aber Frankreich ist für mich ein wunderbares Land. Hinzu kommt natürlich die Einsicht: Gerade jetzt, wo Europa in einen Schlingerkurs geraten ist, sind wir darauf angewiesen, dass Deutsche und Franzosen sich ihrer Verantwortung für das gemeinschaftliche Europa bewusst sind.

Die Partnerschaft zwischen Ludwigsburg und Montbéliard war die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft, sie besteht seit 1950. Wie kam es dazu?

Die Initiative ging vom damaligen Bürgermeister von Montbéliard aus: Lucien Tharradin, ein ehemaliger Widerstandskämpfer. Er gehörte zu denen, die in den schwärzesten Stunden ihres Lebens, im KZ, von einem freiheitlichen, friedlichen Europa träumten. Er hat das KZ überlebt, ist Bürgermeister von Montbéliard geworden und hat tatkräftig alles dafür getan, an dieser Vision mitzuarbeiten. In der Zeit nach dem Krieg gab es erste Bürgermeistertreffen zwischen französischen und deutschen Städten auf neutralem Boden, in der Schweiz. 1948 wurde das Deutsch-französische Institut (dfi) in Ludwigsburg gegründet. Tharradin ging auf das dfi zu und machte die Absicht deutlich, mit einer deutschen Stadt eine Städtepartnerschaft einzugehen. Und das dfi schlug Ludwigsburg vor.

Werner Spec
Werner Spec, Oberbürgermeister von Ludwigsburg via Wikimedia Commons, Stadt Ludwigsburg, CC BY-SA 3.0 DE

Warum?

Unter anderem deshalb, weil Montbéliard als Mömpelgard 600 Jahre lang zu einem württembergischen Landesteil gehörte.

Welche Gemeinsamkeiten haben die beiden Städte sonst noch?

Interessant ist, dass Mömpelgard auch vom evangelischen Glauben, vom Pietismus mitgeprägt war. Es hatte Bezüge zu der religiösen Vorstellung von Bildungsbewusstsein, Fleiß und Disziplin. Nicht zufällig entstand Peugeot in direkter Nachbarschaft von Montbéliard – und bei uns Daimler, Porsche… Uns verbindet also auch die Automobilindustrie.

Was zeichnet diese Partnerschaft heute aus?

Wir sind nicht nur die älteste deutsch-französische Städtepartnerschaft, sondern auch eine mit einem über die Jahrzehnte hinweg stets lebendigem Austausch. Natürlich, auch bei uns lernen die Schülerinnen und Schüler in beiden Städten als zweite Fremdsprache nach Englisch eher Spanisch als Französisch oder Deutsch. Insofern haben wir kein pulsierendes Interesse im Bereich der Schulen. Aber wir haben in Montbéliard und Ludwigsburg jeweils einen deutsch-französischen Kindergarten eingerichtet – mit Erfolg, die beiden Kindergärten sind sehr begehrt.

Der Austausch zwischen den beiden Städten läuft also weiterhin gut.

Er befindet sich auf einem mittleren Niveau, was die zivilgesellschaftliche Ebene betrifft. Am Anfang wurde der Austausch sehr stark vom Sport oder auch von der Harmonikagemeinschaft getragen. Sehr vital war und ist der ständige Austausch zwischen Kommunalpolitik und Stadtverwaltungen. Wir diskutieren europäische Themen wie Integration oder städtebauliche Transformation. Hier gab es nie eine schwächelnde Phase in der Städtepartnerschaft.

„Schwächeln“ ist ein gutes Stichwort: Die deutsch-französische Freundschaft, heißt es oft, stecke in der Krise. Wie sehen Sie das?

Ich persönlich habe vor etwa zehn Jahren beschlossen, ein Projekt in Afrika anzupacken, in Burkina Faso. Und weil die deutsch-französischen Städtepartnerschaften nicht mehr so eine starke Bedeutung haben, habe ich mich dazu entschlossen, die Franzosen aus Montbéliard mit ins Boot zu holen. Das ist gelungen: Das Projekt in Burkina Faso begann mit einer Schulerweiterung, ging weiter mit einem Bewässerungsprojekt. In der Zwischenzeit hat es weitere Dimensionen bekommen. Mir ging es darum zu zeigen, dass man durch trilaterale Partnerschaftsprojekte den Städtepartnerschaften durchaus neuen Sinn geben kann.

In Frankreich hat der Front National mittlerweile auch einige Rathäuser erobert. Eine Gefahr für die deutsch-französische Partnerschaft?

Ganz generell haben wir in Europa leider die Situation, dass die politischen Kräfte an den linken und rechten äußeren Rändern stärker werden. Unsere Demokratien funktionieren gut, aber sie können, wenn die Rahmenbedingungen schwierig sind, ins Wanken geraten. Wenn zum Beispiel unpopuläre Reformen notwendig sind. Es ist eine Herausforderung, in der Gesellschaft wieder für mehr demokratisches Verständnis zu werben, für die Verantwortung, die jeder einzelne Bürger hat. Denn wir spüren im Moment: Freiheit, Frieden hat einen Preis. Europa insgesamt muss an den grundlegenden demokratischen Grundlagen arbeiten. Und der Schlüssel dafür liegt nicht nur in den Parteien, sondern auch im Zusammenspiel von Gesellschaft, von Wählern und Parteien.

Werben für das demokratische Grundverständnis. Sind Städtepartnerschaften eine Möglichkeit, dies zu tun?

Absolut! Begegnungen von Menschen sind ja nicht nur touristische Ereignisse. Ich selber war immer wieder als Gast bei den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Frankreich, die dort eine sehr große Bedeutung haben. Diese Ereignisse machen immer wieder deutlich, wie wichtig es ist, dass man Frieden und Freiheit nicht als gottgegeben, als dauerhaftes Geschenk sieht – sondern dass das Güter sind, für die wir immer wieder neu aktiv eintreten müssen. Und dieses Prinzip werden wir in der Zukunft noch deutlicher machen müssen.

Was wünschen Sie sich für die gemeinsame Zukunft von Ludwigsburg und Montbéliard?

Dass es auch in Zukunft gelingt, auf Grundlage der Verantwortung der ersten deutsch-französischen Städtepartnerschaft den partnerschaftlichen Austausch mit Blick auf aktuelle Entwicklungen lebendig zu halten, die freundschaftlichen Bande weiter zu erhalten.