Interview mit Ricarda Petzold

Hat der Staat mehr Wohnungen, kann er die Mieten mitgestalten

Vera Rosigkeit 10. Mai 2019
Steigende Mieten: der Wohnungsmarkt gilt derzeit als Anlagemodell mit dem größten Rediteversprechen.
Es gibt keine Sofortlösung gegen steigende Mieten, sagt Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik. Aber nur neu bauen löst das Problem nicht. Die Mieten müssen bezahlbar bleiben.

Frau Pätzold, alle reden vom Wohnungsmangel. Müssen wir mehr bauen?

Was zurzeit auf den Nägeln brennt, sind die steigenden Mieten. Und mit steigenden Mieten hat der Neubau erstmal nicht so viel zu tun. Um Mietpreissteigerungen durch Neubauten zu begegnen, müsste ein Überhang von vielleicht drei bis fünf Prozent – dann leerstehender – Wohnungen geschaffen werden. Das wäre ein Signal in den Markt, dass es nicht genug Mieter gibt und die Preise reduziert werden müssen. Allerdings würde dieser Prozess sehr lange dauern. Auch ist es nahezu unmöglich, so zu bauen, dass ich auf sechs Euro Miete pro Quadratmeter im Neubau komme. Es ist also auch zu fragen, ob es eine gute Idee ist, einerseits zuzulassen, dass die Bestandsmieten in unerschwingliche Höhen enteilen und gleichzeitig zu versuchen, das teuerste Segment des Wohnungsmarktes, nämlich den Neubau, runter zu subventionieren auf eine bezahlbare Größe.

Ist es denn überhaupt richtig, von einer Unterversorgung von Wohnraum in den Ballungsgebieten zu sprechen?

Die Unterversorgung in den Großstädten hat weniger mit der Anzahl an Wohnungen zu tun, sondern damit, dass viele Mieten für die meisten Bevölkerungsgruppen unerschwinglich sind. Es ist ein Bezahlbarkeitsproblem. Jemand, der viel Geld hat, hat auch kein Wohnungsproblem.

Außerdem gilt der Wohnungsmarkt derzeit als das Anlagemodell mit dem größten Rediteversprechen. Wenn ich also mein Geld in einer privaten Rentenversicherung anlege, die in Immobilien investiert, zahle ich unter Umständen doppelt für meine Rente – direkt und über die Steigerung der Miete. Das ist absurd. Ich weiß nicht, ob es schon mal eine Zeit gab, in der so viel Geld im Wohnungsmarkt auf Rendite hoffte? Wenn die öffentliche Hand versucht, dagegen an zu finanzieren, finanziert sie eigentlich schon wieder die Renditen. Das macht es momentan so schwierig.

Wenn nicht neu bauen, was ist dann gegen steigende Mieten zu tun?

Eine Sofortlösung ist illusorisch. Da man lange Zeit das Thema Wohnungsnot weitestgehend für erledigt hielt, hat man ja viele Instrumente wie beispielsweise kommunale Wohnungsunternehmen vernachlässigt. Gebe es einen einigermaßen großen Bestand an kommunalen Wohnungen, gebe es auch ein Regulativ. Ein solches ist notwendig, denn derzeit werden jährlich knapp sieben Mrd. Euro für die Kosten der Unterkunft im Bereich Hartz-IV gezahlt. Wenn Preissteigerungen überhaupt nicht zu gestalten sind, sind die öffentlichen Kassen den stetig steigenden Kosten ausgeliefert. Eine nachhaltige Finanzierung würde bedeuten, dass die öffentliche Hand über eigene Wohnungen den Preisen nicht ausgeliefert ist, sondern sie mitgestalten kann.

Die SPD will europaweit Bauprojekte, die mindestens 30 Prozent Sozialwohnungen planen, mit Mitteln aus EU-Fonds fördern. Was halten Sie von dieser Idee?

Warum nicht? Wenn jetzt auf europäischer Ebene der Bau von bezahlbarem Wohnraum gefordert wird, sollte man sich auch mal die jeweiligen Regelungen in den Ländern anschauen. Österreich zum Beispiel erhebt eine Steuer, um Mittel für den öffentlichen Wohnungsbau zu generieren. Das ist gut. In Frankreich gibt es die Auflage, dass jede Gemeinde ab einer bestimmten Einwohnerzahl 25 Prozent sozialen Wohnungsbau haben muss. Auch wenn da nicht immer alles gut gemacht ist, wie beispielsweise in den Banlieues, ist doch der Ansatz der richtige. Diese verschiedenen Wege sollte man sich anschauen. Die Grundfrage lautet doch, wie stelle ich mir das baulich-soziale Zusammenleben in der Gesellschaft vor. Aus der Antwort müssen dann die Schritte der Umsetzung abgeleitet werden. 

Das Interview ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.