Trinkwasser-Geschäfte in Leipzig

Wie die Leipziger Wasserwerke sich verspekuliert haben

Harald Lachmann19. Juli 2016
Abwasseranlage
Eine Abwasseranlage der Leipziger Wasserwerke: Die Chefs haben sich verspekuliert.
Leipzig hat die Hoheit über das eigene Trinkwassernetz zeitweise aus der Hand gegeben und sich auf riskante Finanzgeschäfte eingelassen. Das ging schief. Nun streitet sich die Stadt mit der Großbank UBS und muss Verluste hinnehmen.

Es sah nach einem Sieg auf der ganzen Linie aus, als Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) Anfang November 2014 aus London zurückkehrte. Denn soeben hatte die sächsische Metropole die Schweizer Großbank UBS in einem spektakulären Verfahren besiegt. Es ging um Finanzgeschäfte, die die Spitze von Leipzigs Kommunalen Wasserwerken (KWL) zwischen den Jahren 2005 und 2007 mit den Züricher Bankern vereinbart hatten. KWL-Finanzchef Klaus Heininger und sein Partner Andreas ­Schirmer hatten seinerzeit gehofft, mit riskanten Finanzwetten ältere Risiken aus Cross-Border-Leasing (CBL)-Verträgen der Stadt besser abzusichern.

Kommunalbetrieb als Spekulant

Hintergrund: Leipzig hat im Jahr 2003 für das Trinkwassernetz CBL-Geschäfte abgeschlossen und das Netz an den US-Mobilfunkkonzern Verizon für 99 Jahre verleast. Gleich darauf haben die Leipziger es wieder zurückgemietet. Auch das Abwassernetz, Messehallen oder Schienen wurden Anfang der 2000er Jahre in CBL-Geschäfte eingebracht.

Damit nicht genug: Die Chefs der ­Wasserwerke haben zudem auch noch Kreditausfallversicherungen geschlossen. Der Kommunalbetrieb strich dafür eine ordentliche Prämie ein, musste aber im Gegenzug das Risiko schultern, falls ein Kreditnehmer gegenüber dem Geldinstitut nicht mehr flüssig war.

Die Bank verklagte die Stadt Leipzig

Auch weil dieser Deal quasi in einer rechtlichen Grauzone ausgehandelt worden war – nämlich am Leipziger Stadtrat vorbei – verweigerte die Kommune nunmehr die Zahlung weiterer Kreditgarantien gegenüber der UBS und wurde von dieser daraufhin vor dem Londoner High Court verklagt. Es ging um rund rund 350 Millionen Euro – eine Summe, die die Stadt in finanzielle Nöte gebracht hätte. Doch dann verkündete Richter Stephen Males im November 2014: „Die Klage der UBS wird abgewiesen.“ Males nannte das Ganze „eine Fallstudie, wie man das Investment-Banking in einer ehrlichen und fairen Weise nicht betreiben soll“. Denn für ihn hatten sich die Verantwortlichen des Züricher Geld­hauses ernsthaften Fehlverhaltens schuldig gemacht und den Leipzigern „hochkomplizierte und riskante“ Finanzprodukte angedreht.

Die Finanzwetten waren Anfang des Jahres 2010 zusammengebrochen und dadurch in Leipzig überhaupt erst bekannt geworden. Seither entbrannte ein Streit um die Frage, wer den Schaden bezahlen soll. KWL und UBS verklagten sich zunächst gegenseitig. Zugleich verfolgten auch andere öffentliche Trägerschaften in Deutschland mit Spannung diesen Prozess, hatten doch viele Kommunen in den Jahren vor der globalen Finanzkrise auf solche riskante Finanzwetten gesetzt.

Inzwischen ist der Ausgang wieder offen. Denn im vergangenen Oktober ließ das Londoner Appellationsgericht Court of Appeal eine von UPS beantragte Berufungsverhandlung zu. Auch wenn man sich beim Leipziger Stadtkonzern LVV nach wie vor zuversichtlich gibt, sich „wie schon in erster Instanz auch in der Berufung erfolgreich durchzusetzen“, ist im Rathaus Nachdenklichkeit zu spüren.

Das Trinkwassernetz hat Leipzig zurückgekauft – mit Verlust

Unter eine weitere große finanzielle Baustelle bei den Wasserwerken hat Leipzig einen Schlussstrich gezogen: Die Stadt erwarb für rund 90 Millionen Euro zu Jahresbeginn ihr Trinkwassernetz zurück und beendete das CBL mit Verlust. Auch hier war eine weitere komplizierte finanzielle Transaktion im Spiel: Leipzig hatte Anleihen des US-Finanzunternehmens MBIA gekauft, die sich im Wert steigern sollten. Mit dem Geld wollte die Stadt im Jahr 2033 den Rückkauf des Trinkwasser-Netzes finanzieren. Doch die Anleihen entwickelten sich nach der Finanzkrise viel schlechter als erwartet. Da entschloss sich OB Jung für den Exit.

Dafür muss die 570.000-Einwohner-Stadt tief in die Rathausschatulle greifen. Rückkauf- und Transaktionskosten stehen auf der einen Seite, Erlöse aus dem Verkauf der Anleihe auf der anderen: Es bleibt alles in allem ein Verlust von bis zu 60 Millionen Euro. Offenbar glaubte die Stadt nicht daran, dass sie realistische Aussichten zur gerichtlichen Anfechtung des CBL-Verrages gehabt hätte – und zog die Bremse.

Immerhin bringt der Ausstieg auch Gutes mit sich: Jetzt bestimmen nicht mehr Anwälte in New York, was Leipzig mit seiner Wasserinfrastruktur tun darf. So erfuhr man in Presseberichten Details, zum Beispiel dass die Leipziger für jede Veränderung am Netz eine Genehmigung aus New York gebraucht hätten. Für eine wachsende Stadt wie Leipzig ­eine unmögliche Situation.