BBSR-Experte Vilim Brezina

Wann sich Open-Source-Software für Kommunen lohnt

Carl-Friedrich Höck14. März 2024
Ein Vorteil: Kommunen können Open-Source-Software speziell für ihre Bedürfnisse entwickeln lassen. (Symbolfoto)
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hat den Einsatz von Open-Source-Software in Kommunen untersucht. Vilim Brezina erklärt, welche Vorteile diese Software hat, wo ihre Grenzen liegen und auf was Kommunen achten sollten.

Dr. Vilim Brezina vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hat die Studie „Open-Source-Software in Kommunen – Einsatz und Schnittstellen in der kommunalen Planungspraxis” wissenschaftlich begleitet.

DEMO: Viele Menschen denken bei Open-Source-Software (OSS) an kostenlose Alternativen zu teuren Programmen: zum Beispiel Linux statt Windows oder Open Office statt Microsoft Office. Wie würden Sie den Begriff Open Source einem Technik-Laien erklären?

Vilim Brezina: Im Kern geht es um eine Lizenzfrage. Die Verwendung, Veränderung und Nachnutzung von Code bei Open Source ist in der Regel lizenzfrei. Das ist ein elementarer Unterschied zu proprietärer – also eigentumsgeschützter – Software, bei der in der Regel für die Nachnutzung eine finanzielle Kompensationen geleistet werden muss. Eine selbstständige Veränderung ist oftmals gar nicht erst möglich.

Welche Vorteile haben Open-Source-Lösungen für Städte und Gemeinden?

Für Kommunen ist der größte Vorteil, dass sie Open-Source-Software speziell für ihre Bedürfnisse entwickeln lassen können. Wenn zum Beispiel mehrere Kommunen ein Fachverfahren haben und dafür eine entsprechende technische Lösung benötigen: Dann können sie sich zusammentun und diese Softwarelösung in Auftrag geben. Und die steht den Behörden dann zur weiteren freien und kostenlosen Verwendung zur Verfügung.

Ein zweiter Punkt: Die digitale Souveränität wird erhöht. Das bedeutet, dass staatliche Behörden unabhängiger werden von Software-Herstellern. Dazu kommt das Thema Cybersicherheit: Wenn der Code der Software nicht offen ist, kann man auch nicht überprüfen, ob es Lücken gibt, die Cyberkriminelle attackieren könnten.

Wichtig ist auch die Interoperabilität. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass unterschiedliche Software miteinander interagieren kann, um den (automatisierten) Datenaustausch zu ermöglichen. Bei der Entwicklung von Open-Source-Software wird in der Regel auf bereits bestehende offene Schnittstellen zurückgegriffen, schon aus praktischen Gründen. Deshalb ist die Interoperabilität oft schon standardmäßig gewährleistet. Das ist bei proprietärer Software nicht immer so.

Wenn diese Vorteile bekannt sind, warum wird in den Verwaltungen nicht längst viel mehr Open-Source-Software eingesetzt?

Aus dem Beschaffungswesen heraus gedacht ist es viel einfacher, klassische Software-Lösungen anzuschaffen. Besonders dann, wenn die Software schnell gebraucht wird und man keine Expert*innen im Haus hat, die sich mit OSS auskennen. Das bewegt Kommunen dazu, lieber eine fertige Lösung einzukaufen. Bei Open Source muss erst überlegt werden, wie die Software ins eigene System integriert werden kann. Das ist zunächst aufwendiger. Was aber oft nicht mit bedacht wird: Bei proprietärer Software entstehen später weitere Kosten und Abhängigkeiten: Lizenzgebühren, Updatekosten, Schulungskosten, Herstellerbindung zum Beispiel. Zudem sind technische Anpassungen an neue Anforderungen nicht per se möglich.

In der Debatte um OSS wird oft argumentiert, Kommunen könnten mit Open-Source-Software Geld sparen. Stimmt das?

So einfach lässt sich das nicht beantworten. Es kommt auch darauf an, was in der Kostenberechnung alles berücksichtigt wird: Nur die Software selbst oder auch ihr Betrieb, die Infrastruktur, Updates und Upgrades, Schulungen für Mitarbeitende? Wenn es nur um die reinen Lizenzkosten geht, ist Open Source definitiv günstiger. Dafür können an anderer Stelle größere Kosten für IT-Dienstleistungen entstehen, wenn die Software angepasst werden muss oder mögliche Sicherheitslücken geschlossen werden sollen. Die Hersteller von proprietärer Software übernehmen das ein Stück weit, indem sie regelmäßige Updates anbieten. Nur weiß hier die Kommune oft gar nicht, was damit überhaupt nachjustiert oder gefixed wird.

Das klingt, als müssten Kommunen, die auf Open Source setzen, viel IT-Kompetenz aufbauen und entsprechende Expert*innen beschäftigten. Können die Städte und Gemeinden das überhaupt flächendeckend leisten?

Nein. Eine Kommune mit 3.000 oder auch 50.000 Einwohnenden wird das wahrscheinlich nicht können. Ich halte es auch nicht für erstrebenswert, dass jede Kommune eigene Softwareprogrammierer*innen beschäftigt. Besser wären interkommunale Entwicklungsgemeinschaften. Dort können sich die Städte und Gemeinden zusammenschließen, ihre Kompetenzen bündeln und Synergien nutzen. Manche Kommunen haben sich da schon auf den Weg gemacht und konnten so große Expertise aufbauen. Ein Schlüsselfaktor sind die unabhängigen IT-Dienstleister, die Kommunen beraten. Einige von ihnen konzentrieren sich schon sehr stark auf Open Source. Wenn es beispielsweise darum geht, eine neue Software zu implementieren und das Personal zu schulen, können die Dienstleister den Kommunen viel Arbeit abnehmen.

Die Stadt München hat sich schon vor vielen Jahren entschieden, auf das Open-Source-Betriebssystem Linux umzusteigen. Teilweise hat die Stadt dann wieder eine Kehrtwende vollzogen. Was lässt sich aus solchen Erfahrungen lernen?

Vilim Brezina ist Referent am BBSR. Foto: privat

Den Münchener Fall kenne ich leider nur oberflächlich, er war nicht Teil unserer Studie. Aber meine persönliche Einschätzung ist, dass Open-Source-Software nicht per se der Heilsbringer ist. Ihr Potenzial lässt sich besonders gut bei kommunalen Fachverfahren ausschöpfen: In diesen Bereichen muss die Software nicht besonders toll aussehen oder sehr dynamisch sein. Sie muss aber technisch stabil und funktional sein. Hier kann Open Source punkten. Es gibt mittlerweile auch webbasierte Lösungen, für die nicht einmal eine Software auf dem PC installiert werden muss. Verwaltungsmitarbeitende können also ortsunabhängig von überall darauf zugreifen. Insbesondere bei neuen Anforderungen, die sich zum Beispiel aus gesetzlichen Änderungen ergeben, können handelsübliche Produkte nicht immer schnell angepasst und in das digitale Ökosystem der Kommunalverwaltung integriert werden. Je kleinteiliger die technischen Anforderungen werden, desto geringer ist das wirtschaftliche Potenzial für Marktteilnehmer, ausgeprägte Speziallösungen zu entwickeln. Hier kann es sinnvoll sein, auf Open Source zu setzen.

In München wurde auch Desktop-Software auf Open Source umgestellt. Also die Bereiche, die weitgehend von Microsoft dominiert werden. Zwar lassen sich Programme wie Outlook, Word, Excel und Co. durch Open-Source-Software ersetzen. In der Praxis hat das aber meistens Grenzen.

Für Ihre Studie haben Sie sich angesehen, wie Open-Source-Software in Kommunen eingesetzt wird, und Sie haben Handlungsempfehlungen entwickelt. Was sind ihre wichtigsten Vorschläge?

Ein zentraler Punkt ist der Ausschreibungsprozess und die Zusammenarbeit mit IT-Dienstleistern. Bevor Kommunen sich auf den Weg machen, sollten sie erst das Gespräch mit den IT-Dienstleistern suchen und sich erkundigen: Hat der Dienstleister selbst schon OSS-Lösungen entwickelt? Wie kompetent ist er in dem Bereich? Das ist die Basis, um dann schrittweise in das Thema reinzugehen und Bereiche zu identifizieren, wo man auf Open Source setzen kann.

Es ist wie gesagt nicht praktikabel, von heute auf morgen alles auf OSS umzustellen. Man sollte also schauen: An welchen Stellen der Verwaltung gibt es für die Software individuelle Anpassungsbedarfe? Wo gibt es regelmäßig kleiner Änderungen im Fachverfahren? Ich denke da zum Beispiel an das Bürgergeld, an Projektmanagement-Software oder digitale Lösungen für den Einsatz in der Stadtplanung.

Und dann rate ich dazu, zu schauen, welche Open-Source-Lösungen andere Kommunen bereits einsetzen. Denn es ist natürlich wirtschaftlich sinnvoll, sich da mit dranzuhängen und existierende Lösungen nach zu nutzen. Dafür wiederum ist entscheidend, dass der IT-Dienstleister sich in der Materie auskennt, auch mit anderen Kommunen zusammenarbeitet und dazu Orientierung geben kann.

 

Mehr Informationen:
Die BBSR-Studie steht hier zum kostenfreien Download zur Verfügung.

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