Interview

Regenerationstage: Damit Arbeit in Kitas und Pflege attraktiver wird

Vera Rosigkeit 06. Dezember 2022
Christine Behle ist Stellvertretende Vorsitzende von verdi.
Ob in der Pflege oder in der Kita: Die Arbeitsbelastung wird immer größer: Dagegen helfen sollen unter anderem zusätzliche freie Tage, denn diese Jobs müssen attraktiver werden, sagt ver.di-Vorstand Christine Behle im Interview.

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat im Mai mit den kommunalen Arbeitgeber*innen einen Tarifvertrag ausgehandelt, in dem es nicht nur um mehr Geld ging, sondern auch um Regenerationstage. Wie ist diese Idee entstanden?

Blaupause für die Regenerationstage waren Tarifverträge, die ver.di mit den Berliner Kliniken Charité und Vivantes abgeschlossen hat. Dabei gab es große Auseinandersetzungen um das Thema Entlastung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese Tarifverträge haben zum Ziel, dass Belastungen besonders bewertet und auch mit Freizeit ausgeglichen werden können. Wenn etwa Stellen nicht besetzt sind oder es ein höheres Aufkommen an Patient*innen gibt, sind das Sonderereignisse, die mit Hilfe eines sogenannten Konsequenzenmanagements bepunktet werden. Beschäftigte sollen dafür mit freier Zeit entlohnt werden. Ein solches Konsequenzenmanagement wollten wir auch in den Berufen der Sozialen Arbeit einführen, denn auch hier ist Entlastung ein großes Thema, weil die Arbeitsbelastung immer größer wird. Es gibt  einen enormen Druck. Herausgekommen bei den Verhandlungen sind die festen Regenerationstage.

Was genau ist mit diesen Regenerationstagen gemeint?

In unserem Kita-Tarifvertrag sind zwei freie Tage verpflichtend festgelegt, die den Beschäftigten als Freizeit zusätzlich zustehen. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer Vergütung, die entweder als Zulage genommen oder in zwei weitere freie Tage umgewandelt werden kann. Aus unserer Sicht kann das aber nur ein Einstieg in das Thema Entlastung sein, denn vier zusätzliche Tage im Jahr helfen noch nicht, die großen Probleme, die dauerhafte Belastungen mit sich bringen, auszugleichen. Die Qualität der Arbeit muss verbessert werden und gleichzeitig auch die Arbeitsbedingungen, denn immer mehr Beschäftigte verlassen diese Berufe.

Wie werden die Regenerationstage von den Kolleg*innen angenommen?

Zunächst einmal gab es große Probleme bei der Ausverhandlung der Tarifverträge. Die Folge ist, dass wir bis heute noch keine unterschriebenen Tarifverträge von der Arbeitgeberseite vorliegen haben, was einige Arbeitgeber dazu veranlasst, zu behaupten, dass die Regenerationstage noch nicht genommen werden dürften. Das ist äußerst unerfreulich und problematisch. Da werden Spielchen zulasten der Beschäftigten gespielt.

Gleichzeitig erleben wir auch Skepsis bei den Kolleg*innen, ob das der richtige Weg ist. Denn es gibt in dieser Branche einen enormen Personalmangel und viele fragen sich, ob man es sich wirklich leisten kann, unter diesen Umständen mehr freie Tage zu nehmen. Aber am Ende hilft es nicht. Denn wenn wir jetzt nichts an den Arbeitsbedingungen ändern, werden sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen der Sozialen Arbeit dahingehend entscheiden, ihren Beruf zu verlassen, um etwas anderes zu machen. Das ist ein Trend, den wir schon aus der Pflege kennen.

Lassen sich mit Hilfe der Regenerationstage soziale Berufe attraktiver machen?

Die Regenerationstage sind eine Maßnahme und sie wird unter den Kolleginnen und Kollegen auch gut angenommen. Es gibt niemanden, der/die darauf verzichten möchte. Das kann aber nur der Einstieg in das Thema Entlastung sein. Und nur so können wir den Beruf wieder attraktiver machen, weil klar ist, ich habe zwar Belastungen, aber bekomme auch einen Zeitausgleich dafür.

Wie lässt sich mehr freie Zeit in die Praxis umsetzen, ohne andere Beschäftigte weiter zu belasten?

Dieses Dilemma ist aktuell nur durch die verbindliche Vereinbarung zu lösen, Einrichtungen an bestimmten Tagen zu schließen. Im laufenden Betrieb würde es tatsächlich dazu führen, Belastungen bei anderen Mitarbeitenden weiter zu erhöhen. Feste Schließzeiten gibt es ja bereits. Nur so lässt sich gewährleisten, dass Beschäftigte auch wirklich entlastet werden und sie ihre freien Tage auch nehmen können. Konzepte dafür liegen bereits vor.

Wird das auch Thema der Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst im kommenden Jahr sein?

Nein, denn die Inflation verdrängt aktuell alle anderen Themen. Und wir haben gerade im kommunalen Bereich jede Menge Beschäftigte mit niedrigen Einkommen. Entlastung ist da wichtig, aber inzwischen geht es schon darum, ob man sich den Job überhaupt noch leisten kann. Deshalb steht im kommenden Jahr das Geld im Vordergrund. Arbeitszeit und Arbeitsbelastungen bleiben aber weiterhin wichtig, denken wir nur an die Folgen der Pandemie und an die Geflüchteten, die zu uns kommen oder die zusätzlichen Wohngeldberechtigten. Darum kümmern  sich die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und die sind an ihrer Leistungsgrenze. Deshalb werden die Arbeitsbedingungen für uns weiterhin ein ganz zentrales Thema sein.

Dieses Interview ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.

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