DGB-Konferenz

Stress im öffentlichen Dienst: Kühnert fordert von Politik mehr Selbstdisziplin

Carl-Friedrich Höck15. September 2023
Kevin Kühnert bei einer Rede im Bundestag. Der SPD-Generalsekretär ermahnt sich und andere Politiker*innen, bei neuen Aufgaben zu priorisieren, um den öffentlichen Dienst nicht zu überlasten.
Zunehmender Stress, Beleidigungen, Übergriffe: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, bekommt viel ab. Was SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vorschlägt, um die Situation zu verbessern.

Der öffentliche Dienst hat Nachwuchsprobleme. Hunderttausende Stellen sind unbesetzt und ein großer Teil der aktuellen Mitarbeiter*innen geht in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Deshalb sieht SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert die Politik in der Pflicht, die Beschäftigten nicht mit immer neuen Aufgaben zu belasten.

Die demografischen Probleme könne keine Partei „mit einem Zauberspruch erledigen“, sagte Kühnert am Donnerstagabend auf einer Konferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Was die Politik kurzfristig tun könne, sei, „den Aufgabenkatalog einzudampfen, den man den Bediensteten auferlegt, den sie mit zu wenig Leuten in der gleichen zur Verfügung stehenden Zeit erledigen müssen.“

Kühnert: „auf gut gemeinte Sachen verzichten”

In Deutschland rede man gerade über Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung, um zum Beispiel die Energiewende voranzutreiben und die Wohnungsbauziele zu erreichen. „Gut gemacht sind das gleichzeitig auch Maßnahmen, die dafür sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Planungs- und Genehmigungsbehörden weniger auf dem Schreibtisch haben, und dass ihre Arbeitskraft an anderer Stelle effektiver eingesetzt werden kann“, sagte Kühnert. Das erfordere aber von der Politik eine schwierige Selbstdisziplin: „auf gut gemeinte Sachen auch zu verzichten und zu sagen: Das können die Kapazitäten einfach nicht darstellen.“

Kühnert verwies auf seine eigenen Erfahrungen als Kommunalpolitiker im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Dort würden seit Jahren viele neue Parkraumbewirtschaftungsgebiete ausgewiesen. Die Personalausstattung in den Ordnungsämtern sei aber schlecht und für neue Stellen gebe es nicht genügend Bewerber*innen. „Wenn in der Situation das Aufgabenportfolio erweitert wird, ist es frustrierend für die, die es machen sollen, und Bürgerinnen und Bürger erleben die öffentlichen Services am Ende als dysfunktional.“ Es werde die Illusion einer öffentlichen Dienstleistung geschaffen. Man könne sich melden und sagen, hier parkt einer falsch, es komme aber keiner, der sich darum kümmert. „Da müssen wir uns zurücknehmen, indem wir priorisieren“, appellierte Kühnert an seine Berufsgruppe.

Stress und Übergriffe nehmen zu

Auf der DGB-Konferenz sprechen Vertreter*innen von SPD, CDU, Linke und Grünen mit DGB-Vizin Elke Hannack

Die DGB-Konferenz befasste sich mit Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen und privatisierten Sektor. Vielfach wurde auf der Veranstaltung beklagt, dass der Umgang miteinander verrohe.

Kühnert sieht hier einen Zusammenhang mit Überlastung: „Wir sind eine gestresste, eine überstresste Gesellschaft.“ Aufgabe der Politik sei es, Stressauslöser aus dem Alltag herauszunehmen. So gebe es im Jobcenter viele Stresspunkte: etwa Unsicherheiten oder Sorgen vor Sanktionen. Die Bürgergeld-Debatte habe sich viel um die Frage gedreht, ob sich Arbeit noch lohne. Es sei beim Bürgergeld aber auch darum gegangen: „Wie schaffe ich eine Atmosphäre in einer Beratungssituation, in der ruhig auf beiden Seiten des Tisches miteinander über die eigentliche Sache – nämlich Arbeitsmarktintegration, Qualifizierungsmaßnahmen usw. – gesprochen werden kann.“ Gleichzeitig stellte Kühnert klar, dass verbale und körperliche Übergriffe „in jedem Fall zu verurteilen sind“.

DGB will kommunale Führungskräfte sensibilisieren

Nach eigenen Erhebungen des DGB sind 67 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen oder privatisierten Sektor in den letzten zwei Jahren Opfer verbaler oder körperlicher Gewalt geworden. Viele Betroffene geben an, nach der Gewalterfahrung keine ausreichende Unterstützung erfahren zu haben. Zudem bleibt vieles im Dunkeln, denn 70 Prozent melden die Vorfälle gar nicht.

Das liege oft an der fehlenden Unterstützung durch Vorgesetze, erklärte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. „Wir hören auch, dass Dienstherren sagen: Stell dich nicht so an.“ Mittlerweile gebe es allerdings mehr Kommunen und mehr Führungskräfte, die sich mit dem Thema befassen. Als Maßnahme forderte Hannack unter anderem, dass Führungskräfte verpflichtend an Schulungen zum Thema teilnehmen sollen. Kommunen müssten eine Null-Toleranz-Strategie gegen Gewalt entwickeln. Und es müssten Zahlen erhoben werden. „Es gibt unglaublich viele Gewalttaten gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, aber keiner macht sich die Mühe, die erstmal zu erfassen“, so Hannack.

Die Beamtengewerkschaft DBB klagt ebenfalls über eine hohe Zahl an Anfeindungen und Übergriffen gegen Beschäftigte. Sie zahlten die Zeche für den Ansehensverlust des Staates, sagte DBB-Chef Ulrich Silberbach im August anlässlich der Vorstellung der DBB-Bürgerbefragung. Laut den Ergebnissen ist das Ansehen des deutschen Staates auf einen Tiefstwert gesunken. Nur 27 Prozent der Bürger*innen sehen ihn in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen.

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