Planen und Bauen

Schluss mit der Platzverschwendung

Carl-Friedrich Höck06. Juni 2018
Planung für einen Aldi-Markt in Berlin-Lichtenberg
Planung für einen Aldi-Markt in Berlin-Lichtenberg
Baugrund ist in Großstädten und Ballungsräumen knapp. Dabei ist noch reichlich Platz für neue Wohnungen: Über Supermärkten oder Parkplätzen zum Beispiel.

Es wirkt aberwitzig. In den Städten und Ballungsräumen fehlen hunderttausende Wohnungen. Politik und Wohnungsbauunternehmen suchen händeringend nach Baugrund, der in den dicht besiedelten Städten immer knapper und teurer wird. Und dennoch gibt es sie überall: Einstöckige Supermärkte, in Standardbauweise mitten in die Metropolen gesetzt, mit großzügigen Parkplätzen davor. Große Flächen, die kaum bebaut sind.

Aldi baut Wohnungen

Mit dieser Platzverschwendung könnte bald Schluss sein. In Berlin sorgte im Januar eine Pressemitteilung des Discounters Aldi für Aufsehen. Der Lebensmittelhändler will an mindestens 30 Standorten in der Hauptstadt gemischt genutzte Immobilien schaffen. Mehr als 2.000 Wohnungen sollen in Kombination mit Aldi-Märkten entstehen. Die ersten zwei Projekte würden bereits umgesetzt, in den Innenstadtbezirken Lichtenberg und Neukölln, teilt das Unternehmen mit. „Wir möchten aktiv bei der Nachverdichtung Berlins und beim ökologischen Stadtumbau unterstützen“, lässt sich Jörg Michalek, Geschäftsführer der Aldi-Immobilienverwaltung, in der Pressemitteilung zitieren.

Damit reagiert Aldi auf einen Trend, den die Politik rege befördert. Seit Jahren ist es erklärtes Ziel der Bundesregierung, die Potenziale der Innenentwicklung zu aktivieren. Hierzu startete das Bundesbauministerium Anfang 2017 mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung ein Forschungsprojekt, das unter anderem „Innenentwicklungsmanager für den Wohnungsbau“ erproben soll.

Das Land Berlin verfolgt ebenfalls eine Strategie der Innenentwicklung. „Dazu sind auch Einzelhandelsimmobilien in den Fokus zu nehmen, die im Verhältnis zu ihrer Umgebung baulich untergenutzt sind“, heißt es in einer 2016 erschienenen Broschüre der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Diese stellt eine bemerkenswerte Rechnung auf: „An rund 330 städtebaulich integrierten Standorten von eingeschossigen Lebensmittelmärkten könnten nach grober Potenzialabschätzung rechnerisch zwischen 14.000 und 36.000 Wohneinheiten realisiert werden.“ Für das ARD-Magazin Plusminus hat Architektur-Professor Karsten Tichelmann von der TU Darmstadt hochgerechnet, wie groß das Potenzial bundesweit ist. Allein in den Ballungsräumen sei über den Supermärkten noch Platz für eine Million Wohnungen, schätzt der Experte.

Die Politik sucht das Gespräch

Wie aber bringt man die Lebensmittelhändler dazu, von ihren bisherigen Konzepten abzurücken? Zum einen mit Gesprächen. Um die Lebensmittelbranche mit Stadtentwicklern und der Wohnungswirtschaft in den Dialog zu bringen, hat die Berliner Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) im vergangenen Juni zu einem „Supermarktgipfel“ geladen. In München hat Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) bereits Ende 2016 Vertreter großer Supermarktketten ins Rathaus eingeladen, um mit ihnen über die Flächenpotenziale ihrer Grundstücke zu sprechen. Laut der Pressestelle des Münchener Stadtplanungsreferats hätten die Unternehmen Kooperationsbereitschaft signalisiert. Eine bessere Ausnutzung der Grundstücke könne in beiderseitigem Interesse sein. Allerdings seien „in der überwiegenden Zahl der Fälle die Handelsbetreiber nicht Eigentümer der Grundstücke“, diese müsse man also als weitere Akteure miteinbeziehen.

Die Vorteile für die Unternehmen liegen auf der Hand: Indem sie ihre Supermärkte mit Wohnungen bebauen, können sie zusätzliche Einnahmen generieren. Außerdem gewinnen sie neue Kunden, die ihre Einkäufe bequem mit dem Fahrstuhl in die Wohnung bringen können.

Städte erzwingen ein Umdenken

Zu diesen Argumenten kommt der Druck der Kommunen. „In den neuen Siedlungsgebieten weist die Stadt ohnehin nur noch Baurecht für solche in die Bebauung integrierten Konzepte aus“, heißt es aus dem Münchener Baureferat. Bei bestehenden Märkten kann das Baurecht ebenfalls eine Rolle spielen. Etwa, wenn – wie derzeit an zwei Lidl-Standorten in Frankfurt am Main – die Verkaufsfläche vergrößert werden soll. Zusätzliche Wohnungen oder Gewerbeflächen können dann überzeugende Argumenten sein, wenn die Lebensmittelhändler mit der Bauverwaltung verhandeln.

Der Discounter Lidl „baut schon seit vielen Jahren gemischt genutzte Immobilien“, teilt die Pressestelle auf Nachfrage mit. Aktuell seien Projekte unter anderem in Frankfurt, Hamburg, München und Berlin in der Vorbereitung. Dafür setze das Unternehmen „auf flexible Filialkonzepte: Variabel in Größe und Architektur, individuell auf den jeweiligen Standort abgestimmt.“ Neben anderen Bautypen kann künftig auch ein neues Standard-Baukonzept zur Anwendung kommen: Die Lidl-Metropolfiliale. Sie verfügt im Erdgeschoss über Einkaufsflächen und PKW-Stellplätze, darüber können nach Bedarf Wohnungen oder Büros entstehen.

Dantebad: München baut Holzmodule über den Parkplatz

Das Dantebad-Projekt in München
Das Dantebad-Projekt in München. Foto: Roland Weegen/Gewofag

Bereits genutzte Flächen zu überbauen funktioniert nicht nur auf Supermärkten. Auch Parkplätze können sich dafür eignen, wie ein Beispiel aus München zeigt. Über den Stellflächen am Dantebad sind im Jahr 2016 100 Wohnungen entstanden, überwiegend Einzimmerappartements. Auftraggeber war die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewofag. Es handelt sich um ein Pilotprojekt der der Stadt im Rahmen eines Wohnungsbau-Sofortprogrammes. Das Besondere: Der komplette Bau berührt den Grund nur mit den beiden Kopfbauten und zwei Treppenhäusern. Die Außen- und Innenwände sowie Decken bestehen überwiegend aus Holzelementen. Dank einer Modulbauweise war der Bau in sechs Monaten fertiggestellt. Die Bäder wurden sogar komplett vorgefertigt und mussten nur noch mit dem Kran ins Gebäude hineingehoben werden.

Das Projekt „stellt einen wichtigen Baustein zur Schaffung zusätzlicher günstiger Wohnungen vor allem für Familien mit geringem Einkommen, für Auszubildende und junge Berufstätige sowie für anerkannte Flüchtlinge dar“, sagt ein Sprecher des Stadtplanungsreferates. Aber fühlen sich die Bewohner auch wohl? Jedenfalls gebe es bisher keine Beschwerden über hellhörige Wohnungen oder Konflikte zwischen Parkplatz- und Wohnnutzung, teilt die Gewofag mit. Das Unternehmen habe mittlerweile auch schon zwei weitere Projekte in Holzhybridbauweise errichtet, bei denen auf die Erfahrungen des Dantebad-Projektes zurückgegriffen werden konnte.

 

Mehr Informationen:
Informationen zum Modellvorhaben „Aktivierung von Innenentwicklungspotenzialen in wachsenden Kommunen“: bbsr.bund.de
Dantebad-Projekt: gewofag.de
Plusminus-Beitrag zur Bebauung von Supermärkten: daserste.de