Interview mit Stefanie Hubig

Schulöffnungen: „Der Unterricht wird nicht derselbe sein wie der vor Corona.“

Kai Doering28. April 2020
Wie geht es weiter in Deutschlands Schulen während der Corona-Krise?
Die Kultusminister*innen der Länder beraten über weitere Schulöffnungen in der Corona-Pandemie. „Der Infektions- und Gesundheitsschutz steht an oberster Stelle all unserer Überlegungen“, sagt die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Stefanie Hubig.

Seit sechs Wochen werden die Schüler*innen in Deutschland wegen der Corona-Pandemie zuhause unterrichtet. Sind Sie mit dem sogenannten Homeschooling bisher zufrieden?

Die Situation seit dem 12. und 13. März hat uns vor so große Herausforderungen im Bildungsbereich gestellt, wie wir sie bisher noch nie hatten. Gemessen daran ist es in allen Bundesländern sehr gut gelungen, mehr oder weniger von einem Tag zum anderen von hundert auf null runterzufahren und den Unterricht zuhause fortzusetzen. Auf eine solche Situation war schließlich niemand vorbereitet.

Am 4. Mai soll nun deutschlandweit der Regelschulbetrieb wieder aufgenommen werden – zunächst mit den Abschlussklassen und Schüler*innen, die im kommenden Jahr vor Prüfungen stehen sowie den obersten Grundschulklassen. Warum hat man sich gerade für diese Gruppen entschieden?

Schon ab 27. April werden in einigen Ländern – dazu gehört auch Rheinland-Pfalz – Abiturientinnen und Abiturienten sowie Abgänger der berufsbildenden Schulen in ihre Schulen zurückkehren und dort ihre Prüfungen ablegen. Sie sollen jetzt ihre Abschlüsse machen, um danach ohne Nachteile in den nächsten Bildungsabschnitt, sei es Ausbildung oder Studium, starten zu können. Am 4. Mai beginnen dann in den meisten anderen Ländern diejenigen, die im kommenden Jahr ihren Abschluss machen wollen. Sie sollen Zeit haben, Dinge nachzuholen und ein gutes Fundament zu legen für das letzte Schuljahr. Ähnliches gilt für die Viertklässler, die vor dem Übergang in die weiterführenden Schulen stehen und deshalb in einer vergleichbaren Situation sind. Zu dieser pädagogischen Überlegung kommt eine gesundheitliche: Ältere Schülerinnen und Schüler können sich besser an Hygienevorschriften und Abstandsregelungen halten die jüngeren. Bei all dem, was jetzt passiert, ist aber auch klar, dass der Unterricht, der nun schrittweise wieder beginnt, nicht derselbe sein wird, wie der vor Corona. Und es kann natürlich auch passieren, dass Schulen aufgrund des Infektionsgeschehens wieder geschlossen werden müssen.

Stefanie Hubig

Bis Ende April soll die Kultusminister*innenkonferenz ein Konzept für Hygienemaßnahmen, Pausenzeiten und Gruppenaufteilungen erarbeiten. Worauf kommt es dabei an?

Der Infektions- und Gesundheitsschutz steht an oberster Stelle all unserer Überlegungen. In Rheinland-Pfalz haben wir einen Hygieneplan erarbeitet und sorgen jetzt mit den Kommunen dafür, dass er in den Schulen gut umgesetzt wird. Das bedeutet etwa, dass Desinfektionsmittel, Seife und Einmalhandtücher zur Verfügung stehen und Abstandsregeln eingehalten werden. Das betrifft die Schulen wie die Kitas. All das kann nicht von heute auf morgen gelingen. Wir wissen, dass es für Eltern gerade extrem schwierig ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Deshalb ist es auch wichtig, dass es eine funktionierende Notbetreuung gibt. Das ist allemal auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Sind Sie in alle diesen Maßnahmen mit ihren Kultusministerkolleg*innen einig?

Ja, allerdings ist die Situation regional vollkommen unterschiedlich. Die Infektionszahlen in Bayern etwa liegen deutlich über denen Mecklenburg-Vorpommerns. Dieser Situation müssen die Kolleginnen und Kollegen unterschiedlich Rechnung tragen. Trotzdem haben wir es in der Kultusministerkonferenz bisher gut geschafft, viele gemeinsame Entscheidungen zu treffen – etwa bei der schrittweisen Wiederöffnung der Schulen. Wir arbeiten sehr eng und konstruktiv zusammen. Das begrüße ich als Präsidentin der KMK natürlich sehr und ich werde mich dafür einsetzen, dass wir weiterhin zu möglichst einheitlichen Regelungen kommen.

Rheinland-Pfalz schenkt allen Schüler*innen zum Wiedereinstieg einen Mundschutz. Was ist die Idee dahinter?

Jede Schülerin und jeder Schüler, der am 4. Mai wieder in die Schule startet, erhält am ersten Tag vom Land eine waschbare Alltagsmaske. Unser Hauptanliegen ist, dass in der Schule und auf dem Weg dorthin die Abstandsregeln eingehalten werden, denn sie sind der beste Schutz vor dem Corona-Virus. Die Maske soll eine Ergänzung sein auch für die Momente, in denen es schwierig ist, Abstand zu halten, etwa im Schulbus. Auch wenn es schwerfällt: Wir alle müssen trotz Maske weiter Abstand halten – um uns und andere zu schützen.

Rheinland-Pfalz hat wegen Corona für dieses Schuljahr das Sitzenbleiben abgeschafft. Sollten die anderen Bundesländer nachziehen?

Wir wollen, dass keiner Schülerin und keinem Schüler Nachteile durch diese besondere Situation entstehen. In Einzelfällen können Gespräche zwischen Eltern und Lehrern sinnvoll sein, damit die Kinder die Klasse freiwillig wiederholen. Ob andere Länder das ähnlich handhaben wollen, müssen sie selbst entscheiden. Einige haben ja bereits angekündigt, das Sitzenbleiben ebenfalls auszusetzen. Für eine bundesweite Regelung sind die Situationen aber zu unterschiedlich.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat vorgeschlagen, die Sommerferien zu verkürzen, um ausgefallenen Unterricht nachzuholen. Was halten Sie davon?

Eine Verkürzung der Sommerferien steht für die Kultusministerkonferenz nicht zur Debatte. Wichtiger ist, nach den Sommerferien wieder zu einem regulären Rhythmus zu kommen. Man darf auch nicht vergessen, dass diese Wochen für Schüler, Lehrer und Eltern eine sehr anstrengende Zeit sind. Da brauchen sie die Zeit im Sommer zur Erholung mehr denn je. Das bedeutet nicht, dass wir nicht Angebote machen werden, damit Schülerinnen und Schüler in den Sommerferien auch Stoff nachholen können. Das gilt vor allem für diejenigen, die schwierige Lernbedingungen haben. Das Ganze wird aber freiwillig sein.

Was denken Sie bis wann alle Schüler*innen wieder unterrichtet werden können?

Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht seriös vorhersagen. Das hängt von so vielen Faktoren ab, allen voran, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt. Mögliche weitere Schulöffnungen werden wir eng mit den Gesundheitsexperten abstimmen. Wir müssen verantwortungsbewusst sein und werden nichts überstürzen.

Bei allen Herausforderungen: Gibt es etwas Positives, das sie aus der aktuellen Situation mitnehmen?

Wir zeigen im Moment, dass unsere Demokratie hervorragend funktioniert und es auch ein großes Vertrauen in die Verwaltung gibt, die diese Krise managen muss. Ein Vorteil der Demokratie ist, dass Dinge offen angesprochen und nicht unter den Teppich gekehrt werden, wie wir es in anderen Regionen der Welt erleben. Ein zweiter positiver Effekt der Coronakrise ist, dass die Schulen bei der Digitalisierung gerade einen riesigen Sprung nach vorne machen. Diesen Weg müssen wir im Anschluss weitergehen.

Das Interview ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.