Coronavirus

Welche Großveranstaltungen müssen die Kommunen jetzt absagen?

Carl-Friedrich Höck10. März 2020
Am kommenden Bundesligawochenende werden viele Sitzplätze frei bleiben. (Symbolbild, aufgenommen in Braunschweig)
Mehrere Messen wurden bereits wegen des Coronavirus abgesagt, Bundesligaspiele sollen ohne Zuschauer stattfinden. Wer entscheidet über die Absagen und was gilt es zu beachten? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Internationale Tourismusbörse in Berlin und die Leipziger Buchmesse finden in diesem Jahr nicht statt. Die Hannover-Messe wurde verschoben. In Dortmund und Mönchengladbach werden Bundesligaspiele ohne Zuschauer ausgetragen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die Empfehlung ausgesprochen, auf alle Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Menschen zu verzichten. Davon betroffen wären also auch Konzerte, Tanzveranstaltungen oder Wochenmärkte. Die Großstadt Halle hat vom 13. März 2020 die Schließung aller Schul-, Kita- und Hortgebäude sowie die Schließung der Gebäude der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle (TOOH) für Publikumsveranstaltungen angeordnet.

Wer entscheidet über die Absage von Großveranstaltungen?

Die Zuständigkeit liegt nicht beim Bund, sondern bei den „örtlichen Behörden“, wie es auf der Website des Bundesinnenministeriums heißt. In der Regel sind das die Gesundheitsämter der Städte und Landkreise. Diese sind allerdings mittelbar der Landesverwaltung zugeordnet. In Nordrhein-Westfalen hat Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann den örtlichen Gesundheitsbehörden nahegelegt, Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmer*innen abzusagen. Er sei sicher, dass diese die Empfehlung umsetzen, sagte er. Daher sei die Vorgabe „wie eine Anordnung”, so Laumann.

Kann der Bund die Entscheidung an sich ziehen?

Im Rahmen einer Notstandsgesetzgebung wäre das zwar theoretisch möglich, sagt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums auf Nachfrage. Doch auf dieser Stufe sei man zur Zeit nicht, und es gebe auch keinen Grund anzunehmen, dass die Bundesländer sich nicht selbst um die notwendigen Entscheidungen kümmern.

Nach welchen Kriterien sollen die Behörden entscheiden?

Der nationale Krisenstab, dem unter anderem das Bundesinnen- und das Gesundheitsministerium angehören, verweist auf die „Prinzipien des Robert-Koch-Institutes (RKI) zur Risikobewertung von Großveranstaltungen“. Diese sollen bundesweit einheitlich als Leitlinien herangezogen werden.

Die RKI-Prinzipien enthalten aber keine klaren Vorgaben wie jene, alle Konzerte oder Fußballspiele mit mehr als 1.000 Menschen abzusagen. Stattdessen finden sich dort Hinweise, welche Faktoren die Behörden berücksichtigen müssen, wenn sie das Risiko einer Veranstaltung bewerten. Ein solcher Risikofaktor liegt etwa dann vor, wenn eine größere Anzahl von Menschen in hoher Dichte zusammenkommt. Oder wenn Menschen aus Regionen an der Veranstaltung teilnehmen, in denen COVID-19 gehäuft aufgetreten ist.

Als Risikofaktoren werden auch eine hohe „Intensität der Kontaktmöglichkeiten“ oder „enge Interaktion zwischen den Teilnehmenden“ genannt – also beispielsweise Tanzveranstaltungen. Der Ort der Veranstaltung ist ebenfalls zu bewerten: Sind dort bereits Infektionen aufgetreten? Ist eine gute Belüftung der Räumlichkeiten gewährleistet? Gibt es vor Ort genügend Desinfektionsmöglichkeiten – also etwa Waschbecken zum Händewaschen?

Welche Alternativen gibt es zur Absage von Veranstaltungen?

Basierend auf den genannten Kriterien kann das Gesundheitsamt die Veranstaltung erlauben, untersagen oder verschieben. Möglich ist aber auch, bestimmte Auflagen zu verhängen oder das Format anzupassen. Das Robert-Koch-Institut nennt als Beispiele für solche Auflagen: Infektionsschutzmaßnahmen, eine begrenzte Teilnehmer*innenzahl, Ausschluss von Personen mit akuten Atembeschwerden, eine Kontrolle vor dem Einlass auf Symptome oder Risikofaktoren (Exposition) und so weiter.

Haftet die Kommune für Einnahmeausfälle, wenn sie eine Veranstaltung untersagt?

Diese Frage ist derzeit umstritten. Womöglich ist das auch ein Grund, weshalb viele Kommunen sich bisher zurückhalten und nur wenige Events untersagt wurden.

Das Infektionsschutzgesetz regelt in Paragraf 65 die Entschädigung bei behördlichen Maßnahmen. Dort heißt es, eine finanzielle Entschädigung sei zu leisten, wenn durch die Maßnahme der Behörde ein „nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird“. Allerdings bezieht sich das nur auf Maßnahmen gemäß der Paragrafen 16 und 17 desselben Gesetzes. Diese gehen gar nicht konkret auf die Absage einer Veranstaltung ein. Stattdessen ist allgemein von „notwendigen Maßnahmen“ zur Gefahrenabwehr die Rede. Explizit genannt wird dagegen etwa die Möglichkeit, dass Behörden Gegenstände beschlagnahmen oder vernichten. Das Recht, größere Menschenansammlungen zu beschränken oder zu verbieten, ist an einer ganz anderen Stelle verankert, nämlich in Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes.

Jurist*innen sind sich uneinig, ob die Entschädigungsregelung auf abgesagte Veranstaltungen anzuwenden ist (tagesschau.de).

Auch beim Deutschen Städte- und Gemeindebund heißt es auf Nachfrage, man prüfe die rechtlichen Konsequenzen noch und könne keine abschließende Auskunft dazu geben (Stand 10. März 2020, 12:30 Uhr). Angesichts der unklaren Lage dürften viele Kommunen sich eine eindeutige Ansage des jeweiligen Landesgesundheitsministeriums wünschen. Denn wenn ein Event auf „Anordnung von oben” untersagt wird, kann die Stadt oder der Kreis hoffen, dass die Landesregierung auch für eventuelle finanzielle Risiken aufkommt.

Übrigens: Eindeutiger ist das Gesetz, wenn Arbeitnehmer*innen oder Freiberufliche wegen einer angeordneten Quarantäne nicht arbeiten können. Wer einen Verdienstausfall erleidet, hat Anrecht auf eine Entschädigung. (Näheres dazu ist in Paragraf 56 des Infektionsschutzgesetzes nachzulesen.)

Wird jetzt auch das Demonstrationsrecht eingeschränkt?

Grundsätzlich ist das möglich. Und nicht nur dieses Recht ist betroffen. Im Infektionsschutzgesetz steht dazu: Die Grundrechte der Freiheit der Person, der Freizügigkeit, der Versammlungsfreiheit und der Unverletzlichkeit der Wohnung werden im Rahmen von Behördenmaßnahmen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten eingeschränkt. (Die Formulierung findet sich sowohl im Paragrafen 17 als auch im Paragrafen 28.)

Dieser Artikel wurde am 12. März 2020 inhaltlich ergänzt.

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