Studie zu Migration

Warum die Willkommenskultur noch lange nicht am Ende ist

Paul Starzmann12. April 2018
Laut einer Studie sind die Befragten überwiegend zufrieden mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik in ihren Kommunen.
Zuwanderung mache aus Deutschland „einen besseren Ort zum Leben“. Das sagen die Befragten einer vor kurzem veröffentlichten Bertelsmann-Studie. Sie sehen Migration größtenteils als Bereicherung. Schlechte Nachrichten gibt es jedoch für Parteien und Politiker.

„Wie steht es um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland nach der starken Zuwanderung von Geflüchteten in den letzten Jahren?“ Dieser Frage ist ein Team aus Sozialforschern und Politikwissenschaftlern in einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung nachgegangen. Das Ergebnis überrascht: Während in Politik und Medien oft von den Problemen der „Flüchtlingskrise“ die Rede ist, haben die Bürger eher ein positives Bild von der Migration nach Deutschland.

„Polarisierung des Meinungsklimas“

Befragt haben die Wissenschaftler insgesamt fast 3.000 Menschen in den Städten Dortmund, Rostock, Lippstadt und Dessau. Absichtlich wählten die Forscher größere und mittlere Kommunen aus, sowohl im Osten als auch im Westen der Republik. In allen untersuchten Orten werde die Zuwanderung von Geflüchteten mehrheitlich als Bereicherung angesehen, heißt es in der Studie. Zwischen 50 und 60 Prozent der Befragten seien sogar der Auffassung, „dass ihre Stadt durch die Flüchtlinge zu einem besseren Ort geworden sei“.

In allen vier Städten gebe es jedoch auch einen beträchtlichen Anteil an Skepsis gegenüber der neuen kulturellen Vielfalt, so die Studie weiter. 15 bis 23 Prozent der Befragten fühlten sich von der Migration „eher bedroht“. Unentschieden seien in dieser Frage nur wenige, schreiben die Forscher – und werten das als ein Anzeichen für die starke „Polarisierung des Meinungsklimas“ im Land.

Migration: keine „Schicksalsfrage der Nation“

Dennoch seien die Befragten überwiegend zufrieden mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik in ihren Kommunen – auch wenn viele eine Reihe von Verbesserungen fordern, etwa in der Bildungs-, Arbeits- und Wohnungspolitik. Diejenigen Studienteilnehmer, die persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten aufweisen konnten, zögen größtenteils eine positive Bilanz: „Der Anteil der Befragten, die von eher negativen oder sehr negativen Erfahrungen berichten, liegt in allen Orten unter zehn Prozent.“

Anders als es Rechtspopulisten oft glauben machen wollen, seien die Themen Flucht und Migration keine „Schicksalsfrage der Nation“, schreiben die Wissenschaftler. Sie raten deshalb dazu, „die Debatte über die Auswirkungen der Flüchtlingszuwanderung zu entdramatisieren“. Weder Zuwanderung noch kulturelle Vielfalt gefährdeten den Zusammenhalt in der Gesellschaft, lautet das Fazit der Forscher.

„Alarmzeichen“ für die Demokratie

Damit das so bleibe, müsse die Politik jedoch jetzt handeln – eine „aktive Politik der Vielfalt“ sei nötig. Auch müsse das Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindert werden, Polarisierung eingedämmt sowie Solidarität und Hilfsbereitschaft weiter ausgebaut werden. So gelte es, die „Kommunalpolitik in Richtung einer vielfältigen Demokratie weiterzuentwickeln, die stärker auf Mitsprache, Dialoge beziehungsweise Engagement setzt und damit die Rolle der Bürgerschaft im politischen Prozess stärkt.“ Als Positivbeispiel führt die Studie die Stadt Dortmund an, wo die Aufnahme von Flüchtlingen „durch eine breite Informations- und Öffentlichkeitsarbeit begleitet“ worden sei. Auch hätten in der nordrhein-westfälischen Stadt Lokalpolitik, Vereine und Wohlfahrtsverbände stets gut zusammengearbeitet.

Wie in Dortmund sei in allen untersuchten Städten das bürgerschaftliche Engagement – nicht nur in der Flüchtlingshilfe – groß, heißt es in der Studie. Nicht profitieren könnten davon jedoch die politischen Parteien. Viele Bürger widmeten ihr ehrenamtliches Engagement eher sozialen und zivilgesellschaftlichen Organisationen anstatt etwa Parteien. Dem müssten die politischen Institutionen entgegenwirken, fordern die Wissenschaftler – und warnen: „Die niedrigen Vertrauenswerte für Parteien und Parlamente in allen Kommunen sind ein demokratiepolitisches Alarmzeichen.“

Der Artikel ist zuerst auf vorwaerts.de erschienen.