Bauen in den Kommunen

Wohnungen als Sozialgut und nicht als Wirtschaftsgut betrachten

Karin BillanitschUwe Roth15. Juni 2018
Eohnungen der LBG Württemberg e.G. Die Genossenschaft besteht seit dem Jahr 1921. Sie strebt keinen Gewinn, sondern eine „schwarze Null“ an.
In teuren Ballungsräumen scghaffen Genossenschaften bezahlbaren Wohnraum für Mitglieder: zwei Schlaglichter aus München und Stuttgart.

Mietest Du noch oder bist Du schon Mitglied? Die Idee, dass Einzelne sich in einer Genossenschaft zusammenschließen, um gemeinsam mehr zu erreichen, ist alt. ­Der vor 200 Jahren geborene Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat sich das Prinzip ausgedacht. Heute ist es entstaubt: Nicht nur im Bankenwesen oder Einkauf haben genossenschaftliche Zusammenschlüsse Konjunktur – sondern auch Wohnungsgenossenschaften erleben einen Auftrieb. Vor allem junge Genossenschaften, die sich in den vergangenen zehn Jahren gegründet haben, sind Motor der Entwicklung.

Bezahlbarer Wohnraum ist ein rares Gut

Sie bauen etwas, das in großen Ballungszentren wie München ein rares Gut ist: bezahlbaren Wohnraum. Wie zum Beispiel im DomagkPark auf dem ehemaligen Gelände der alten Funkkaserne in Schwabing-Nord. Hier hat die Genossenschaft „wagnis eG“ für 180 Mitglieder ein preisgekröntes Wohn-Dorf errichtet. Fünf Häuser – wie die fünf Kontinente – gruppieren sich um einem Marktplatz und sind durch eine umlaufende Ring­terasse miteinander verbunden. Rut-Maria ­Gollan, im Vorstand der „wagnis“, erzählt von dem aufwendigen Prozess: Gründung der Baugruppe im Jahr 2009, drei beteiligte Architekturbüros, Verhandlungen mit den Banken und der Planungsbehörde, Vernetzung aller Akteure. 180 Mitglieder haben 42 Millionen Euro investiert. Die Genossenschaft musste die Mischung des „München-Modells“ von geförderten und frei finanzierten Wohnungen einhalten und Interessenten suchen. Je nach Einkommen zahlten die Genossen zwischen 300 und 950 Euro pro Quadratmeter Einlage; dafür beträgt die Miete etwa 13 Euro pro Quadratmeter.

„Wir versuchen, den Namen ernst zu nehmen. Man muss sich auf das Konzept des gemeinschaftlichen Wohnens einlassen können“, sagt Gollan. Es gibt gemeinschaftlich genutzte Räume, wie den Waschmaschinenraum, den Kinder-Toberaum für Schlechtwetter, Gästezimmer oder Veranstaltungsräume, aber auch ein Café und an Externe vermieteten Platz. „‚wagnis‘ ist eine Keimzelle für das Quartier“, schwärmt Gollan. Die Bauten sind ökologisch im Passivhaus-Standard gebaut, ans Fernwärmenetz angeschlossen, zusätzlich kommt Strom aus einer Photovoltaikanlage. „Wir haben ein Konzept des autoreduzierten Wohnens“, erklärt Gollan. U-Bahn, Bus und Tram sind fußläufig erreichbar, es gibt E-Scooter, Stellplätze für Car-Sharing und sogar ein Lastenrad. „Manche haben den Stellplatz für das eigene Auto aufgegeben, um das bestehende Angebot zu nutzen.“

40.000 genossenschaftliche Wohnungen in München

Insgesamt 40.000 genossenschaftliche Wohnungen gibt es in München. Zwischen 2014 und 2017 wurden laut Mitbauzentrale 700 neue Wohnungen fertiggestellt. In den nächsten Jahren werden knapp 3.500 hinzukommen. Bis zu 40 Prozent der Flächen in Neubaugebieten wie dem DomagkPark werden an Genossenschaften vergeben – oft zum günstigen Verkehrswert. Stadtbaurätin Elisabeth Merk hat 2014 sogar eine städtische Mitbauzentrale ins Leben gerufen, um das genossenschaftliche Bauen zu fördern. „Sie war Steigbügelhalter für uns, als wir ‚wagnis‘ gründeten“, erzählt Gollan.

Zum Jahresauftakt 2018 präsentierten sich auf Initiative der Mitbauzentrale neun Genossenschaften, die in den vergangenen drei Jahren gegründet wurden, der Öffentlichkeit. Darunter auch die „Stadtwerkschaft“ der Stadtwerke München. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Stadtwerke haben sie 2017 gegründet „um gemeinschaftliche, selbstbestimmte, wirtschaftliche, sozial sowie ökologisch verantwortliche und nachhaltige Wohnprojekte zu realisieren“. Und um ein Gegengewicht zu den stark steigenden ­Mieten zu schaffen.

Rettungsadresse im teuren Stuttgart

Die Landesbaugenossenschaft Württemberg (LBG) mit Sitz in Stuttgart ist eine Rettungsadresse für Menschen, die auf dem überteuerten Wohnungsmarkt verloren sind. Ab 6,60 Euro Kaltmiete je Quadratmeter bietet die LBG Wohnungen an – sofern eine frei ist. Laut Mietspiegel der Stadt liegt der Durchschnittspreis für Gebrauchtimmobilien bei neun Euro. Selbst in Neubauten bleiben die LBG-Mieten meistens unter elf Euro.

Josef Vogel ist der kaufmännische Vorstand und erstaunte Fragen gewöhnt, wie ein derart niedriger Mietpreis in ­einer Großstadt überhaupt möglich sei? Er sagt dann: „Wir betrachten unsere Wohnungen als Sozialgut und nicht nur als Wirtschaftsgut.“ Die Genossenschaft „denkt in Generationen statt in Quartalen“, sie wolle ihren Mitgliedern „gutes, bezahlbares und lebenslanges Wohnen bieten“. Um an eine Mietwohnung der LBG zu gelangen, muss man Mitglied werden und eine Anlage in Höhe von 800 Euro erwerben, für die satzungsgemäß eine Dividende bezahlt wird. Eine Kaution entfällt.

Keine Gewinnorientierung

Der Erlös aus der Vermietung von rund 5.500 Wohnungen muss reichen, um eine Dividende der Anlagen von mehr als 6.000 Genossenschaftsmitgliedern sowie den Erhalt und Neubau von Gebäuden zu finanzieren. Und am Ende soll noch Geld für die Gehälter der Genossenschaftsangestellten übrig bleiben. „Die Mitarbeiter werden richtig bezahlt“, versichert Vogel. Hilfreich sei, dass die Genossenschaft lediglich „die schwarze Null“ anstrebe, also keine reine Gewinnorientierung wie viele andere Unternehmen. Bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung bleiben Grundstückskosten in der Regel unberücksichtigt, insbesondere, wenn es sich um Bestandsgrundstücke handelt, die in den letzten Jahrzehnten auch an Wert gewonnen haben. Die Investitionen werden mit einem geringen Renditesatz erst in einem Zeitraum von 50 Jahren und länger zurückerwartet. Je länger dieser Zeitraum sei, desto günstiger werde die Miete.
Er sei gelernter Banker, was in seinem Betätigungsfeld ein Vorteil sei, räumt Genossenschaftschef Vogel ein. Ausschlaggebend sei jedoch, dass die eingetragene Genossenschaft (eG) günstige Grundstücke im Bestand habe oder von einer Kommune zum Kauf angeboten bekomme, um günstigen Wohnraum in der jeweiligen Stadt zu schaffen. In Stuttgart ist die LBG am „Bündnis für Wohnen“ beteiligt. Im Idealfall bekommt sie von der Kommune günstigere Grund­stücke, auf denen die Genossenschaft dann baut. Im Gegenzug erhält die Stadt Belegungsrechte für einkommensschwache Familien. Dies sei eine gute Möglichkeit, den sozialen Wohnungsbau in einem Umfeld voranzubringen, in dem normalerweise Höchstpreise für Immobilien bezahlt würden.

Die LBG besteht seit dem Jahr 1921. Damals trugen sich 70 Beamte und Arbeiter von Bahn und Post in die Mitgliederliste der neugegründeten Landes-Bau-Genossenschaft württembergischer Verkehrs-Beamter und -Arbeiter e.G.m.b.H. ein. Heute ist sie ein im Mietwohnungsbau tätiges Dienstleistungsunternehmen mit 60 hauptamtlichen Mitarbeitern, zwei Auszubildenden, einer Studentin sowie 51 geringfügig Beschäftigten.

Mit einer Bilanzsumme von mehr als 231 Millionen Euro und einem Jahresumsatz von 35,5 Millionen Euro investierte die LBG im Jahr 2017 rund 23 Millionen Euro in den eigenen Wohnungs- und Immobilienbestand.