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Kommunale Intelligenz nutzen – wenn nicht jetzt, wann dann?

Kirsten Fründt14. Dezember 2018
Kirsten Fründt
Kirsten Fründt ist Landrätin des Landkreises Marburg-Biedenkopf und Vorsitzende der SGK Hessen und stv. Vorsitzende der Bundes-SGK.
Kirsten Fründt ist – auch nach den Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern – überzeugt: Die Themensetzung der Landtagswahl in Hessen, mit den Schwerpunkten Bildung, Mobilität, Wohnen und ländlicher Raum, war richtig. Ein Plädoyer für die Kommunen als Wurzel einer lebenswerten, nationalen und internationalen Gemeinschaft.

Ist es wirklich angebracht, jetzt, nach diesen Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, über die Kraft der Kommunen zu schreiben?

Ich glaube doch. Und ich will auch sagen, warum: Die Themensetzung der Landtagswahl in Hessen, mit den Schwerpunkten Bildung, Mobilität, Wohnen und ländlicher Raum, war richtig. Das waren – das wissen wir aus Befragungen der Bevölkerung – die Top-Themen, die Bürgerinnen und Bürger in Hessen bewegt haben und weiter bewegen. Aus kommunaler Sicht will ich hinzufügen: Es waren die Themen, die genau das widergespiegelt haben, woran wir auch in den Kommunen intensiv arbeiten.

Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen: Meine Kollegin Anita Schneider hat sich im Landkreis Gießen des Themas Wohnen angenommen und eine eigene Wohnungsentwicklungsgesellschaft gegründet. Auf der Basis einer Wohnraumbedarfsanalyse hat sie herausgearbeitet, in welchen Kommunen des Landkreises wie viele Wohnungen fehlen. Jetzt wird es an die Arbeit gehen und es werden Wohnungen gebaut. Für den ländlichen Raum ganz wichtig: Es wird auch Wohnraum umzubauen sein. Eine einzelne Person muss nicht 100qm bewohnen, wenn sie in der Nähe ihrer bisherigen Wohnung eine Alternative finden kann.

Mein Kollege Wolfgang Schuster kümmert sich intensiv um die Entwicklung des Nahverkehrs. Mit anderen Kollegen hat er das Konzept MADL (Mobilität auf dem Lande) entwickelt, das es jetzt gilt umzusetzen. Mit der Verkehrszentrale, der Optimierung der Fahrpläne, zahlreichen Rufbussen und kreativen Ideen zur Optimierung wird dort vorgedacht, was auch in anderen Bereichen realisiert werden kann.

Miteinander wachsen

Und dass wir uns in den Kommunen um die frühkindliche und schulische Bildung kümmern, ist für Sozialdemokraten selbstverständlich. Schulen müssen saniert, Kindertagesstätten gebaut werden und schließlich muss Bildung für alle kostenfrei werden.

Bei der Umsetzung unserer Projekte achten wir in den Kommunen darauf, dass Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass jeder und jede Einzelne gebraucht wird. Dass alle miteinander verbunden sind, voneinander lernen und miteinander wachsen können. Ich bin sicher, dass in der Gesellschaft der Zukunft die Potentiale, die in den Bürgerinnen und Bürgern unserer Kommune stecken, noch mehr gehoben werden können und müssen.

Flüchtlinge: „Wir haben angepackt“

Auch das will ich an einem Beispiel erläutern. Als wir in den Kommunen mit einer großen Zahl von Flüchtlingen konfrontiert waren, haben unsere Verwaltungen viel geleistet. Wir haben nicht lange gefragt und diskutiert, sondern angepackt. Wir haben das Problem gelöst. Wer aber wirklich Großartiges geleistet hat, das waren und sind unsere Bürgerinnen und Bürger. Sie haben Kleiderkammern eingerichtet, bieten auch jetzt noch Sprachkurse an, von den Hilfsverbänden wie dem Roten Kreuz wurden ganze Flüchtlingslager aufgebaut. Aus einem schlichten Grund: Da kamen Menschen aus menschenunwürdigen Verhältnissen, vor Krieg und Verfolgung geflohen nach Deutschland. Und unsere Bürger*innen haben gesagt: Diesen Menschen hilft man.

Warum tun Menschen so etwas? Der Hirnforscher Gerald Hüther begründet es in seinem Büchlein „Kommunale Intelligenz“ neurophysiologisch. Wir sind in viel stärkerem Maß, als wir es vor uns selbst zugeben, sozia­le Wesen. Wir sind angewiesen auf andere und geformt durch andere. Unser Gehirn ist ein sozial geformtes Konstrukt. Es entwickelt sozial geformte Netzwerke, die nur deshalb entstehen, weil es andere Menschen gibt, weil wir mit anderen Menschen in Beziehungen stehen und weil diese Beziehungsmuster uns formen.

Emotionale Beziehung zur Kommune

Wir brauchen eine enge emotionale Beziehung, die uns Obhut gibt und gut leben lässt. Der Ort, an dem wir diese Geborgenheit, diese Obhut wachsen lassen und organisieren können, heißt Kommune. Und wenn Kommunen größer sind, wissen wir heute, müssen wir kleinräumig organisieren und agieren. Das nennt sich dann Quartiersarbeit, Dorfgemeinschaft und Sozialraum.

Eine Gemeinschaft, die es dem Einzelnen ermöglicht, sich als wichtiges und wertvolles Mitglied dieser zu erleben, ist die Kommune. Wenn Kommunen oder ihre kleineren Einheiten aufhören, diesen sozialen Lebensraum bewusst zu gestalten, verliert die betreffende Gesellschaft das psychoemotionale Band, das ihre Mitglieder zusammenhält. Solche Gesellschaften beginnen sozusagen von innen heraus zu zerfallen.

Rechten Gruppierungen etwas entgegen setzen

Das erleben wir zurzeit dort, wo rechte Gruppierungen die Oberhand gewinnen. Es ist ihre Absicht, die gut funktionierende Zivilgesellschaft zu beschädigen, das Soziale zu zerstören. Aber wir können dem etwas entgegensetzen: nämlich einen Beitrag dafür leisten, dass es den Menschen mit Politik ein bisschen besser geht, sie ihre Alltagssorgen besser bewältigen können. Und Gemeinschaften schaffen – im Kindergarten, in den Schulen, in den Wohnquartieren. Das Zusammenleben besser zu machen ist unsere Aufgabe in den Kommunen.
In der Wohnungspolitik hat eine Diskussion über die neue Gemeinnützigkeit begonnen, die genau diese Aspekte strukturell aufnimmt.

In der Verkehrspolitik haben wir heute angesichts des Landestickets keine Angst mehr davor, über kostenfreien Öffentlichen Personennahverkehr nachzudenken. Und ich bin sicher, dass er kommt.

Kostenfreie Bildung wird kommen

Und ich bin auch fest davon überzeugt, dass die kostenfeie Bildung kommen wird. Es ist unabweisbar, weil wir alle wissen, dass gute Bildung zum Grundbestand menschlichen Lebens gehört. In den Kommunen wird aus Sozialkompetenz Handlungskompetenz. Deshalb können wir gerade jetzt für uns in Anspruch nehmen, Motor und Partner gesellschaftlicher Veränderung zu sein.

Ob und wie das Zusammenleben in unserem Gemeinwesen, das Miteinander über soziale und ethische Grenzen hinweg gelingt, entscheidet sich in erster Linie lokal. Die Kommunen sind somit auch die Wurzel einer lebenswerten, nationalen und internationalen Gemeinschaft.