Familienbewusstes Rheinfelden: „Das Image der Stadt hat sich verändert”
Rheinfelden in Baden-Württemberg trägt das Siegel „familienbewusste Kommune”. Was die Stadt für Kinder und Familien tut und wie sie von ihrem Engagement profitiert, erklärt Oberbürgermeister Klaus Eberhardt (SPD) im Interview.
Stadtverwaltung Rheinfelden (Baden)
Klaus Eberhardt (SPD) ist seit 2012 Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Rheinfelden.
DEMO: Was macht aus Ihrer Sicht eine „familienbewusste Kommune“ aus?
Klaus Eberhardt: Sie hat eine kinderfreundliche Infrastruktur. Und der für mich wichtigste Aspekte ist, dass die Kommune ein Angebot macht, um die Bildung der Kinder zu fördern – und dabei eine Durchgängigkeit der Systeme zu schaffen.
Was meinen Sie damit?
Die sozialen Strukturen sind in unseren Städten und Gemeinden disperser geworden. Das hat auch etwas mit den Flüchtlingsbewegungen zu tun. Im Zuge der Integration müssen wir unsere Bildungssysteme für geflüchtete Kinder öffnen und ihnen schnell und umfassend Angebote unterbreiten. Das ist in der frühkindlichen Bildung schwierig, weil Platz fehlt und wir nicht die Erzieherinnen haben. Trotzdem bemühen wir uns, möglichst schnell Beratungsangebote für den Erwerb von Sprachkenntnissen zu machen. Das ist für mich eine Form der Durchgängigkeit.
Was zählt noch dazu?
Durchgängigkeit ist auch eine Frage der Preisstaffelung. Wir haben bei unseren Kindergärten eine klare soziale Staffelung mit einem Preisvorteil für Geschwisterkinder. Wir statten die Einrichtungen gut aus und versuchen, dort besondere Momente zu schaffen – auch für diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Deshalb bieten wir im Sommer Ferienprogramme an, die vor allem auf Kinder ausgerichtet sind, die sonst nicht die Möglichkeit haben in den Urlaub zu fahren. Die Programme werden von einer gemeinnützigen Stiftung durchgeführt.
Rheinfelden wurde vom Verein „AG Netzwerk Familie Baden-Württemberg“ als Familienbewusste Kommune zertifiziert. Was musste die Stadt tun, das Prädikat zu erhalten?
Wir haben kontinuierlich ein starkes Beratungswesen aufgebaut. Unser Amt für Familie, Jugend und Senioren nennen wir deshalb auch „Soziales Kompetenzzentrum“. Zweitens legen wir viel Wert auf Quartiersarbeit. Das heißt, wir haben einzelne Stadtquartiere identifiziert, in denen vermehrt sozial benachteiligte Menschen leben. In einem dieser Quartiere gibt es zum Beispiel den Treffpunkt „Pfiffikus“, das ist ein Gemeinschaftszentrum mit Sport- und Spielplatzangeboten für Kinder. Vor einigen Jahren haben wir ein großes Kinder- und Jugendhaus gebaut, das Tutti Kiesi. Dort kann man organisiert seine Freizeit gestalten, Hobbys nachgehen und Sport ausüben.
Familien bestehen nicht nur aus Kindern. Was tut die Stadt für ältere Angehörige?
Wir sind nicht nur „familienbewusste Kommune“, sondern auch „engagierte Stadt“. Das bedeutet, wir unterstützen bürgerschaftliches Engagement und den Aufbau von Netzwerken. Die Kommune fördert also Nachbarschaftshilfe, und das kommt Familien zugute. Wir haben verschiedene Modelle der häuslichen Beratung für Senioren eingeführt. Da gibt es ein Projekt „Präventiv“. Das kümmert sich um ältere Menschen, die noch zu Hause leben, weil eine betreute Einrichtung ihnen zu teuer ist oder sie das aus sozialen Gründen nicht wünschen. Das Projekt organisiert Hilfsangebote: Einkaufshilfen, Beratungshilfen, Begleitung bei Arztbesuchen und dergleichen mehr. Die Kommune ist auch sehr stark in die Tafelbetreuung eingetreten. Wir haben also unserer Tafel Lokalitäten zur Verfügung gestellt, die auch am sozialen Kompetenzzentrum liegen. Das senkt die Hemmschwelle für Tafelkunden, auch zum Amt zu gehen und unsere Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen.
Außerdem gibt es in Rheinfelden spezielle Angebote für Mütter, zum Beispiel Fortbildungskurse zur Digitalisierung. Wir haben den Bürgertreffpunkt Gambrinus, wo ein lokales Bündnis Mittagessen für alle kocht, Frauen gemeinsam frühstücken und Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte sich austauschen können. Das alles funktioniert nur, weil die Stadt ein großes Netzwerk an ehrenamtlichen Unterstützerinnen und Unterstützern hat. Als Dankeschön organisieren wir alle paar Jahre ein großes Fest. Die Ehrenamtlichen helfen auch bei der Kinderbetreuung.
Inwiefern?
Wir haben ein Modell etabliert, das eine Ganztagsbetreuung in den Kindergärten ermöglicht. Gleichzeitig wollen wir die Zahl der Angebotsplätze hochhalten. Das können wir aufgrund unbesetzter Stellen nicht alles mit Erzieherinnen und Erziehern besetzen. In Baden-Württemberg gibt es eine Experimentierklausel. Sie ermöglicht uns „Verlängerte Öffnungszeiten plus“, indem wir über geschulte Personen zusätzliche Betreuer in die Gruppen bringen. So können wir die Nachmittagsangebote aufrechterhalten. Das ist wichtig in einer Stadt, deren Sozialgefügige schwach aufgestellt ist, während das Preisniveau wegen der Nachbarschaft zur Schweiz eher hoch ist. Viele Familien sind finanziell darauf angewiesen, dass beide Eltern arbeiten gehen. Deswegen haben wir Betreuungszeiten von bis zu zehn Stunden am Tag, also von morgens 7 Uhr bis nachmittags 17 Uhr.
Als Oberbürgermeister müssen Sie eine Richtung für die Zukunft vorgeben. Wo sehen Sie in Rheinfelden noch weiteren Handlungsbedarf, was Familien betrifft?
Wir wollen wieder ein Jugendparlament gründen. Wir hatten mal einen sogenannten Achter-Rat. Da kamen alle acht Klassen aus der Schullandschaft zusammen und haben in Workshops Vorschläge erarbeitet, die auch teilweise umgesetzt worden sind. Wir wollen das aber wieder institutionalisieren, damit Politik hier nicht nur von den üblichen Verdächtigen gemacht wird, sondern auch Kinder und Jugendliche wieder ein Sprachrohr für ihre Interessen haben.
Ein ehemaliger Bundeskanzler hat Familienpolitik mal als „Gedöns bezeichnet. Warum ist das mehr als nur ein Wohlfühlthema und wie profitiert die Kommune von Ihrem familienbewussten Ansatz?
Erstens hat sich das Image der Stadt dadurch verändert. Das war nicht immer gut, wir hatten hier früher eine hohe Dioxinbelastung. Diesem Makel in der öffentlichen Wahrnehmung können wir mit der Familienfreundlichkeit einen Kontrapunkt entgegensetzen. Zweitens kommen etwa 2.000 Menschen pro Jahr neu in unsere Stadt, zum Teil auch Flüchtlinge aus der Ukraine und anderen Ländern. Da sind viele Familien dabei. Die beste Integration gelingt über die Kinder, deshalb müssen wir da Zeichen setzen und aktiv sein. Und drittens haben wir Herausforderungen am Arbeitsmarkt, das Personal ist in vielen Branchen knapp. Wenn wir den Familien den Alltag einfacher machen mit guter Bildung und Kinderbetreuung, hilft das auch unserer Wirtschaft.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.