Online-Netzwerk

„Wir haben eine Welle der Solidarität festgestellt"

Carl-Friedrich Höck31. März 2020
Michael Vollmann ist Mitgründer von nebenan.de und dort zuständig für die Kooperationen mit Städten und Kommunen.
Nachbarschaftliche Hilfe ist in der Corona-Krise besonders wichtig. Die Online-Plattform nebenan.de hat eine Hotline eingerichtet, um Unterstützungsangebote zu vermitteln. Solidarität erfahren auch lokale Gewerbetreibende. Interview mit Mitgründer Michael Vollmann.

DEMO: Herr Vollmann, Sie haben nebenan.de mitgegründet, ein Online-Netzwerk für Nachbarn. Können Sie kurz beschreiben, wer die Plattform betreibt und wie sie sich finanziert?

Michael Vollmann: Nebenan.de bringt Nachbarn digital in Austausch und verbindet sie in lokalen Netzwerken. Als Betreiber unserer Nachbarschaftsplattform haben wir 2015 die Good Hood GmbH ins Leben gerufen, ein in Berlin ansässiges Sozialunternehmen.  Wir finanzieren uns aus freiwilligen Förderbeiträgen von unseren privaten Nutzer*innen, von Einnahmen durch lokale Gewerbetreibende sowie aus Beiträgen von Gemeinden, Kommunen und gemeinnützigen Organisationen.

Was uns von anderen sozialen Netzwerken unterscheidet: Unser Geschäftsmodell beruht ausdrücklich nicht auf der Vermarktung von Nutzerdaten zu Werbezwecken. Stattdessen beziehen wir alle Akteure aus der Nachbarschaft mit ein. Ziel ist, dass wir irgendwann kostendeckend arbeiten können. Von Anfang an wollten wir aber auch das nachbarschaftliche Engagement fördern und Begegnungsfeste anschieben. So etwas lässt sich nicht immer kostendeckend umsetzen. Deshalb haben wir eine gemeinnützige Tochterorganisation gegründet, die Nebenan.de-Stiftung.

Welche Rolle spielen nachbarschaftliche Netzwerke in der Corona-Krise – also in einer Zeit der Kontaktsperre?

Die digitale Kommunikation im Sozialraum war auch vor der Krise sehr wichtig. Aber gerade jetzt zeigt sich, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Resilienz einer Gesellschaft ist. Wir wollen dazu beitragen, dass man Menschen, mit denen man Tür an Tür wohnt, kennenlernen kann. So kann man Vertrauen aufbauen und sich in schweren Zeiten unterstützen.

Wie funktioniert das genau?

Wir haben bereits 8.000 digitale lokale Netzwerke geschaffen. Sie umfassen jeweils ein abgegrenztes Gebiet in Laufreichweite. Wer sich bei nebenan.de anmeldet, muss seinen Klarnamen angeben und seine Adresse einmalig verifizieren lassen. Anschließend erhält man Zutritt zu seiner Online-Nachbarschaft und kann sich mit Menschen aus der Nachbarschaft austauschen. Das Netzwerk ist wie ein digitales schwarzes Brett: Man kann dort Lauf- oder Krabbelgruppen gründen, um Hilfe bitten, beim Nachbarn eine Bohrmaschine ausleihen oder vermisste Gegenstände melden. Inzwischen machen schon über 1,5 Millionen Nachbarn mit.

Nebenan.de hat eine Corona-Hotline eingerichtet. Wozu dient sie?

Wir haben auf unserer Plattform eine Welle der Solidarität festgestellt. Zehntausende Menschen bieten ihre Hilfe an: Sei es einkaufen gehen für Menschen, die einer Risikogruppe angehören, Erledigungen tätigen oder mal auf die Haustiere aufpassen.

Es wird aber wesentlich weniger Hilfe nachgefragt und in Anspruch genommen. Wir glauben, dass wir die älteren Menschen noch nicht gut genug erreichen. Sich bei einem Online-Netzwerk anzumelden ist wahrscheinlich für sie eine größere Hürde. Deshalb wollen wir sie dort abholen, wo sie sind: Am Radio und TV und mit einem Medium, mit dem sie sich auskennen: dem Telefon. Untere Hotline für Nachbarschaftshilfe ist kostenlos unter 0800 866 5544 zu erreichen. Dort kann ich meine Postleitzahl nennen und angeben, welche Hilfe ich suche. Das wird anonymisiert an verifizierte Nachbarn aus dem gleichen Postleitzahlgebiet ausgespielt. Die können dann direkten Kontakt aufnehmen.

Viele Bürger*innen machen sich Sorgen, ob ihr Friseur oder die Lieblingsbar die lange Schließzeit finanziell übersteht. Sie haben die Plattform „kaufnebenan.de“ ins Leben gerufen. Wie funktioniert sie?

Wir haben in unserem Netzwerk gesehen, dass es bereits viel Hilfsbereitschaft gibt, um Läden und Selbständige zu unterstützen. Denn so lange die Geschäfte geschlossen sind, fehlt auch das Einkommen. Wir wollen helfen, diese Zeit zu überbrücken. Deshalb haben wir in einem Schnellverfahren eine neue Plattform programmiert. Auf kaufnebenan.de kann ich jedem Gewerbetreibenden in Deutschland Geld spenden oder einen Gutschein kaufen, den ich nach der Krise bei ihm einlösen kann.

Wer zahlt für das Projekt? Geht ein Teil der Gutscheinsumme für Nebenkosten drauf?

Bisher stemmen wir das Projekt aus eigener Kraft, der Handelsverband Deutschland und der Bundesverband City- und Stadtmarketing unterstützen uns bereits ideell. Aber wir suchen noch Partner und Sponsoren, die vielleicht sogar noch etwas drauflegen – also zum Beispiel auf zehn Euro, die Sie spenden, nochmal zehn dazugeben.

Kommunen können auf nebenan.de ein sogenanntes „Organisationsprofil“ anlegen. Was ist das?

Mit Organisationsprofilen können auch Institution an unserer Plattform teilnehmen – kommunale Einrichtungen wie die Stadtteilbibliothek oder Volkshochschule, einzelne Ämter oder auch Stadt-, Bezirks und Gemeinde-Verwaltungen. Zu dem Profil haben mehrere Mitarbeiter*innen Zugang, und sie können eine beliebig große Reichweite erreichen. Sie können z.B. eine Meldung an ganz Nürnberg ausspielen, oder eine Information nur in den Nachbarschaften um einen bestimmten Park herum verbreiten.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zum Beispiel erreicht über Twitter 2.000 Menschen, das sind vor allem Journalist*innen und andere fachlich Interessierte. Bei nebenan.de erreichen sie mehr als 35.000 adressverifizierte Anwohner*innen. Über das Netzwerk verbreitet das Bezirksamt auch seine Engagement-Aufrufe: Etwa als im vergangenen Sommer Anwohnende gebeten wurden, die Bäume zu gießen. Jetzt gibt das Neuköllner Bezirksamt bis zu 800 Euro Soforthilfe für engagierte Menschen in der Corona-Krise, um beispielsweise Autos zu mieten oder Tankquittungen zu begleichen. Das wurde – neben den klassischen Wegen wie der Pressemitteilung – auch über unsere Plattform bekannt gemacht. Über diese neue Reichweite ist das Bezirksamt sehr glücklich, und auch das Feedback aus der Bevölkerung ist viel sachlicher und moderater als die anonymen Beiträge auf anderen, internationalen Plattformen.

Normalerweise müssen die Kommunen für das Organisationsprofil eine Nutzungsgebühr zahlen. Denn wir wollen uns finanzieren, ohne die Datenströme zu Geld zu machen. Wegen der Corona-Krise stellen wir das Tool den kommunalen Akteuren aber für den Zeitraum der Pandemie kostenlos zur Verfügung.

Sie haben den Deutschen Städtetag als Netzwerkpartner mit ins Boot geholt. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Der Städtetag unterstützt die Nebenan.de-Stiftung in der Kommunikation rund um den Deutschen Nachbarschaftspreis und um den „Tag der Nachbarn“. Das sind Begegnungs- und Kennenlernfeste, die wir initiieren, wenn nicht gerade Kontaktverbote herrschen. Der Städtetag hilft uns aber auch, unsere Angebote an Kommunen bekannter zu machen.

 

Weitere Informationen:

Die Nachbarschaftsplattform nebenan.de hat nach eigenen Angaben mehr als 1,5 Millionen Mitglieder in 400 Städten. Besonders verbreitet ist das Netzwerk in Berlin (200.000 aktive Nutzer*innen), München und Hamburg (je 100.000).
Mehr zur Corona-Hotline: nebenan.de/corona
Initiative kauf nebenan: kaufnebenan.de

Gutscheine gegen die Corona-Krise

Nebenan.de ist nicht die einzige Plattform, die Gutscheine für lokale Gewerbetreibende vermittelt. In Berlin können Läden und Bars auch über die Seiten helfer-und-helden.org oder helfen.berlin unterstützt werden. Beide Portale arbeiten nach eigenen Angaben gemeinnützig und verdienen nicht an dem Projekt. In Freising wurde die Website ladenretter.de ins Leben gerufen. Der kommerzielle Gutscheinvermittler Zmyle hat die Gebühren bis auf weiteres ausgesetzt und bietet an, über das Portal gutscheine-helfen.de lokale Selbsthilfekampagnen technisch zu unterstützen.