Kommunalwahl in NRW: Diese engagierten Frauen treten an
In Rathäusern in Deutschland ist die halbe Bevölkerung unterrepräsentiert. Wie Andrea Henze, Anne Claßen und Janine Köster daran mitarbeiten, das zu ändern und im Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westphalen antreten.
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OB-Kandidatin Andrea Henze (SPD) tritt in Gelsenkirchen an.
Statistisch betrachtet ist Kommunalpolitik mehrheitlich Männersache. Nicht einmal jede siebte Gemeinde wird von einer Bürgermeisterin geführt, schätzt der Deutsche Städte- und Gemeindebund. In den Räten sieht es kaum besser aus. Der Politikwissenschaftler Simon Stocker hat vier Bundesländer analysiert, im Durchschnitt waren dort lediglich 23,2 Prozent der Gemeinderatsmitglieder Frauen. Das hat Folgen. „Den Kommunalparlamenten gehen viele Perspektiven und ein Erfahrungsschatz verloren“, meint Cécile Weidhofer von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin. Aus der Wirtschaft wisse man, das gemischte Teams erfolgreicher seien. Als Beispiel erzählt sie von einem kommunalen Wirtschaftsausschuss, in dem darüber beraten wurde, ob die Kommune selbstfahrende Busse anschaffen solle. Alle seien dafür gewesen, bis das einzige weibliche Ratsmitglied darauf hingewiesen habe, dass kaum eine Frau nachts in einen Bus ohne Fahrer oder Fahrerin steigen würde.
Gründe für den niedrigen Frauenanteil in Räten gibt es viele. Die politischen Rituale und Umgangsformen seien in einer Zeit entstanden, in der Frauen von Ämtern und Mandaten ausgeschlossen waren, erklärt Weidhofer. Tradierte Rollenbilder und Stereotype seien immer noch stark verankert. Etwa bestimmte Vorstellungen, wie eine Frau auftreten, aussehen und reden solle. Und auch der Gedanke, dass Frauen sich um die Kinder zu kümmern hätten. Jede Kommunalwahl ist auch eine Chance, die Karten neu zu mischen. Wir stellen drei Kandidatinnen für die Kommunalwahlen im September vor:
Andrea Henze kandidiert in Gelsenkirchen
Als Stadträtin in Gelsenkirchen ist die SPD-Politikerin zuständig für Arbeit und Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz. Nun will sie Oberbürgermeisterin werden und die Nachfolge von Karin Welge (auch SPD) antreten. „In einer Kommune bin ich direkte Ansprechpartnerin und man gestaltet die Zukunft, deren Teil man selbst ist“, sagt sie. „Das ist einfach toll.“
Ihr Leitbild: Gelsenkirchen soll eine Stadt der Aufsteigerinnen und Aufsteiger werden. Fleiß müsse sich auszahlen. Henze hat selbst vorgemacht, wie das funktionieren kann: Sie wuchs in der DDR auf, ihre Eltern betrieben einen Obst- und Gemüsehandel und waren regimekritisch. „Ein Abitur oder gar Studium war für mich damals unvorstellbar“, berichtet Henze. Doch dann sei die Wende gekommen, für sie „eine unfassbare Chance“. Sie machte eine Ausbildung in der Stadtverwaltung, holte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach, studierte berufsbegleitend – als Alleinerziehende. „Es war nicht immer leicht, aber es hat sich gelohnt“, resümiert Henze.
Nun möchte sie andere dabei unterstützen, ihre Chancen zu nutzen. Über Kommunalpolitik sagt sie: „Ich beobachte um mich herum immer wieder Situationen, in denen Politikerinnen und Politiker hoch engagiert über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf debattieren, selbst aber in Strukturen wirken, die alles andere als familienfreundlich sind.“ An Nachmittagen, abends und an Wochenenden. Da stießen viele Frauen – aber auch Männer – an ihre Grenzen.
Anne Claßen tritt im Kreis Warendorf an
37 Jahre alt, junge Familienmutter, einen Sohn, zwei Hunde – so stellt sich Anne Claßen auf der Internetseite der örtlichen SPD vor. Außerdem ist sie Fraktionsvorsitzende in der Gemeinde Wadersloh, Gemeindeverbandsvorsitzende und Mitglied im Kreistag Warendorf. Nun tritt sie wieder zur Kommunalwahl an.
Wie viele andere Frauen hat auch Claßen in der Politik unschöne Erfahrungen gemacht. „Als ich im Kommunalwahljahr 2020 schwanger war, gingen manche davon aus – auch Frauen übrigens – dass ich nicht erneut kandidiere oder zumindest nicht mehr Fraktionsvorsitzende sein könnte. Es gab zum Teil Verwunderung darüber, dass ich nicht vorhatte, kürzerzutreten.“ Aus der eigenen Familie dagegen habe Claßen viel Rückhalt erfahren. Sie und ihr Mann stimmten ihre Kalender sorgfältig aufeinander ab.
An Zielen für die nächste Wahlperiode fehlt es Claßen nicht. Sie sieht Handlungsbedarf, um Familien das Leben in Wadersloh noch attraktiver und einfacher zu machen. „Dazu gehört vor allem bezahlbarer Wohnraum. Außerdem gibt es in unserer Gemeinde keine Kinderarztpraxis.“ Zudem wünscht sich Claßen mehr attraktive, moderne Spielplätze in allen Ortsteilen.
Janine Köster will Städteregionsrätin in Aachen werden
In der Städteregion Aachen haben sich neun Gemeinden und die Stadt Aachen zusammengeschlossen. Janine Köster will Städteregionsrätin werden – so heißt hier das Amt an der Verwaltungsspitze. „Mein Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen in der Verwaltung so zu verbessern, dass wir qualifizierte Fachkräfte gewinnen und langfristig binden können“, schildert sie ihre Pläne. Jeder Mensch solle sich darauf verlassen können, dass sein Anliegen zügig, kompetent und freundlich bearbeitet wird.
Köster wurde 1981 in Aachen geboren. 1999 wurde sie deutsche Vizemeisterin im Kunstradfahren (Vierermannschaft). Ihren ersten Sohn bekam sie während ihres Studiums. Als der zweite geboren wurde, war sie bereits Lehrerin für Deutsch und Englisch. 2008 trat sie in die SPD ein. 2014 wurde Köster in den Städteregionstag gewählt, seit 2023 ist sie dort SPD-Fraktionsvorsitzende.
Bei Vorstandswahlen habe sie „oft gespürt, dass ich mich als Frau stärker behaupten muss“, berichtet sie. Köster wünscht sich „familienfreundlichere Sitzungszeiten, hybride Formate und eine politische Kultur, die Ehrenamt und Lebensrealität besser miteinander in Einklang bringt.“ Die Parteien müssten Frauen besser fördern, meint sie. „Es geht um aktive Nachwuchsarbeit, verlässliche Mentoring-Programme und eine politische Sprache, die einlädt statt ausgrenzt.“ Wichtig seien zudem Vorbilder. „Frauen müssen sehen, dass ihr Engagement einen Unterschied macht und dass es bereits andere Frauen gibt, die Verantwortung übernehmen – mit klarer Haltung, Kompetenz und Rückhalt“, meint Köster. Gemeinsam mit Anne Claßen, Andrea Henze und anderen leistet sie dazu selbst einen Beitrag.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.