Christian Hartphiel: Wie Templins neuer Bürgermeister die AfD besiegte
Chistian Hartphiel ist das, was man in der Politik einen „Kümmerer” nennt. Im Mai wurde der Sozialdemokrat zum neuen Bürgermeister von Templin gewählt, in der Stichwahl setzte er sich gegen einen AfD-Kandidaten durch. Ursprünglich hatte er ganz andere Pläne.
Carl-Friedrich Höck
Christian Hartphiel vor dem historischen Rathaus in Templin. Er engagiert sich gerne für andere. Das brachte ihm nicht nur Freunde ein.
Trotz Sonnenbrille wird Christian Hartphiel erkannt, als er sich auf eine Bank neben dem ehemaligen Rathaus setzt. Eine Frau spricht ihn freundlich an und meint: „Gut, dass nicht die AfD gewonnen hat.” Viel hat daran nicht gefehlt in der 16.000-Einwohner-Stadt im Norden Brandenburgs. Bei der Templiner Bürgermeisterwahl kam der AfD-Politiker Christian Bork in die Stichwahl und holte 46,2 Prozent der Stimmen. Wahlsieger aber wurde sein Namensvetter Hartphiel: 46 Jahre alt und Sozialdemokrat.
Eigentlich gehörte es nicht mehr zu seinem Karriereplan, Bürgermeister zu werden. Er war glücklich mit seinem Job als SPD-Regionalgeschäftsführer. Seit 2008 saß er in der Stadtverordnetenversammlung, war lange Fraktionsvorsitzender, gehörte seit 2014 auch dem Kreistag an. Nun sei es an der Zeit, meinte er, dass andere und Jüngere in die erste Reihe rücken.
Christian Hartphiel ist Ur-Templiner
Doch dann stand die Bürgermeisterwahl vor der Tür und den demokratischen Parteien war klar: Die AfD könnte gewinnen. Die SPD spielte zunächst mit dem Gedanken, einen CDU-Kandidaten zu unterstützen, doch die Christdemokraten zögerten zu lange mit der Nominierung. Schließlich hieß es im Ortsverein: „Christian, du musst das machen“.
Hartphiel ist in Templin geboren und aufgewachsen. Nach der Schulzeit ließ er sich erst zum Hotelfachmann ausbilden, später zur Sonderpädagogischen Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung in Werkstätten für behinderte Menschen.
Außerdem engagierte er sich in zahlreichen Vereinen: Jugendförderverein, Kunstverein, Fußballclub, Seniorenclub – eins führte zum anderen. Irgendwann war er in elf Vereinen aktiv, saß in mehreren Vorständen. „Mir hat es Freude gemacht, ich wurde so erzogen: andere zu unterstützen, zu helfen. In Vereinen kann man das hervorragend tun“, sagt er.
SPD-Kandidat stemmt sich gegen Anfeindungen von rechts
Das Engagement brachte ihm viele Schulterklopfer ein. Das änderte sich 2015, als Geflüchtete in großer Zahl ins Land kamen – und Hartphiel auch ihnen half. Er unterstützte die Neuankömmlinge bei der Vermittlung in Jobs und Ausbildungsplätze. Mehrere Geflüchtete nahm er bei sich zu Hause auf. „Das war für mich eine Kehrtwende im Leben“, resümiert der Ur-Templiner. Plötzlich wurde er angefeindet und bedroht. Menschen, mit denen er früher am Bierstand diskutiert hatte, wechselten die Straßenseite, wenn sie ihn sahen. Auf einem Weinfest sprach ihn ein Fremder an: „Für solche wie dich heißt es auch bald: Ab in den Zug nach Krakau!“ Unweit der Stadt befindet sich das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz.
Das blieb nicht folgenlos. Eine Weile lang zog sich Hartphiel etwas aus der Öffentlichkeit zurück, vermied Feste, verlagerte sein Privatleben in Nachbarstädte. Die AfD wurde derweil stärker. Dann kam es in Potsdam zu einem Treffen von Rechtsextremisten, das deutschlandweit zu Gegenprotesten führte – auch in Templin. Hartphiel erzählt: „Da bin ich doch mal wieder ans Mikrofon gegangen und habe gesagt: Es war falsch zu schweigen, sich rauszuhalten, weil man persönlich angegriffen wurde. Man hätte standhaft bleiben müssen.“
Bürgermeisterwahlkampf mit harten Bandagen
Der Bürgermeister-Wahlkampf wurde mit harten Bandagen geführt. Über Hartphiel wurden absurde Gerüchte in die Welt gesetzt, mit gefälschten Flyern und einer Internetseite, die aussah, als wäre sie seine. Es kostete den SPD-Kandidaten viel Zeit und Kraft, dagegen anzukämpfen. Im Nachhinein räumt er ein, er hätte mehr an sein Team delegieren müssen, anstatt sich selbst um Anzeigen oder Richtigstellungen zu kümmern. Er hätte sich mehr darauf konzentrieren sollen, ansprechbar und mit seinen eigenen Themen präsent zu sein.
Was ihm half: Die SPD ist in Templin eine klassische Kümmerer-Partei. Hartphiel beschreibt sie als „Familie“, die zusammenhält. Bei der Aufteilung von Funktionen würden alle Generationen gut berücksichtigt. Wenn Vereine oder Einrichtungen Unterstützung brauchen, helfen die Genossen oder vermitteln Ansprechpartner. Das spiegelt sich auch in der Stadtratsarbeit wider. Anträge zu Kitas, dem Sportstadion, sozialen Themen oder der Unterstützung von Senioren kommen häufig aus der Feder der SPD-Fraktion. „Es wurde auch von den Menschen hier wahrgenommen“, ist Hartphiel überzeugt. Leider sei das nicht mehr bei allen so.
Vor allem Jugendliche erreiche die SPD kaum noch, das falle der AfD mit ihren TikTok- und Instagram-Videos leichter. Im Wahlkampf hat der SPD-Kandidat 660 Erstwähler per Brief zu einer Veranstaltung eingeladen. Es gab kostenlos Essen und Getränke und sogar Gratis-Haarschnitte von einem Friseur. Über den Tag verteilt seien vielleicht 20 Jugendliche der Einladung gefolgt, berichtet Hartphiel.
Hartphiel überzeugte mit Sachkenntnis
Punkten konnte er dagegen in Diskussionsrunden. Durch seine jahrelange Arbeit im Stadtrat und in Vereinen steckt er tief in vielen lokalen Themen drin. Er kannte die Rechtslage, konnte aufzeigen was geht und was nicht geht, musste sich nicht in Floskeln flüchten. Selbst seine politischen Mitbewerber hätten das anerkannt, erzählt er. Seine Sachkenntnis wird Christian Hartphiel als Bürgermeister brauchen. Das Amt hat er am 13. Mai angetreten. Bis er politisch in die zweite Reihe treten kann, wird wohl noch eine Weile vergehen.
Dirk Bleicker
ist Leitender Redakteur der DEMO. Er hat „Public History” studiert.