Radverkehr: Steigende Gefahr durch hohe Pedelec-Geschwindigkeiten
Trotz sinkender Unfallzahlen im Straßenverkehr sterben immer mehr Radfahrer*innen. Besonders Pedelecs bergen neue Risiken – hohe Geschwindigkeiten führen zu wachsenden Sicherheitsproblemen. Expert*innen und Kommunen suchen nach Lösungen.
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Radfahrende bewegen sich häufig mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Das kann Gefahrensituationen schaffen. (Symbolbild)
Die offiziellen Zahlen sind alarmierend: Es werden immer mehr Radfahrende im Straßenverkehr getötet, während gleichzeitig die Zahl der insgesamt getöteten Menschen im Straßenverkehr abnimmt. Das Statistische Bundesamt meldete im April dieses Jahres, dass 2024 insgesamt 441 Radfahrer*innen bei einem Unfall starben, „darunter 192 mit einem Pedelec“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Unterschiedliche Geschwindigkeiten erzeugen Gefahren
Pedelecs und E-Räder werden in Deutschland immer beliebter. Das Pedelec fährt mit elektrischer Unterstützung – im Unterschied zum E-Bike – nur, wenn man selbst in die Pedale tritt. Manche Modelle haben auch eine Anfahrhilfe bis 6 km/h. Der E-Motor unterstützt die eigene Leistung nur bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h. Mit eigener Kraft kann man jedoch schneller fahren. Mit einem normalen Pedelec darf man den Radweg benutzen, da es rechtlich als Fahrrad eingestuft wird. Für E-Bikes und Speed-Pedelecs bis 45 km/h gelten strengere Regeln; sie werden wie Motorräder behandelt: mit Führerschein-, Kennzeichen- und Helmpflicht.
Das Problem: E-Räder können hohe Geschwindigkeiten erreichen. Dazu kommt, dass die Geschwindigkeiten auf Straßen und Wegen sehr unterschiedlich sind. Die einen fahren 10 km/h mit einem normalen Rad, andere rasen mit 20 km/h auf dem Pedelec vorbei. Dadurch entstehen potenziell mehr Gefahrensituationen. Daher stellt sich die Frage, an welche Tempolimits sich Radfahrende halten müssen.
Keine festen Tempolimits – aber klare Regeln
Grundsätzlich gibt es keine Höchstgeschwindigkeit für Radfahrende. „50 km/h als zulässige Höchstgeschwindigkeit ab der gelben Ortseingangstafel gilt nur für Kraftfahrzeuge“, klärt etwa der Allgemeine Deutsche Fahrradclub auf seiner Internetseite auf. Allerdings ist das kein Freibrief dafür, durch den Ort zu rasen, denn „Radfahrende müssen immer mit angepasster Geschwindigkeit fahren“, mahnt der ADFC. Das heißt, sie müssen Sicht, Verkehrsverhältnisse und Witterung berücksichtigen.
Außerdem sind Tempolimits, die mit einem Verkehrszeichen angeordnet werden, auch für Radfahrende verbindlich. Als Beispiel sind Fahrradstraßen genannt, wo Tempo 30 gilt, oder Schrittgeschwindigkeit in verkehrsberuhigten Bereichen. Auch auf dem Radweg muss mit angepasster Geschwindigkeit gefahren werden.
Vorreiter Niederlande
Diese Situation stellt die Behörden und Kommunen vor Herausforderungen – nicht nur in Deutschland. In den Niederlanden beispielsweise hat die niederländische Regierung einen nationalen Mehrjahresplan für Fahrradsicherheit (Meerjarenplan Fietsveiligheid) angekündigt. Das Land ist europaweit einer der größten Vorreiter beim Fahrradfahren. In den Niederlanden werden laut mehreren übereinstimmenden Quellen rund 27 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, wobei Städte wie Amsterdam (rund 38 Prozent) oder Groningen mit etwa 50 Prozent herausstechen.
Künftig sollen lokale Behörden in den Niederlanden demnach Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Radwegen als neue Maßnahme testen können. An ausgewählten Stellen können dann Höchstgeschwindigkeiten für das Radfahren festgelegt werden, etwa 20 km/h, um die Sicherheit aller Radwegbenutzer*innen zu erhöhen. Die Städte werden noch ausgewählt.
Diskussion um Tempolimit als Lösung
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) e.V. will mit seinen Forderungen nicht so weit gehen, flächendeckend eigene Tempolimits auf Radwegen einzuführen. „Es kann aber durchaus sinnvoll sein, auf stark belasteter Radverkehrsinfrastruktur darüber nachzudenken. Und deswegen wäre ich sehr interessiert, die Ergebnisse des niederländischen Pilotprojekts abzuwarten und auszuwerten – und dann zu sehen, ob es eine Übertragbarkeit auf Deutschland gibt“, sagt Jonas Hurlin, Referatsleiter Politik und Recht.
Er kann sich durchaus vorstellen, dass das eine Vorbildwirkung haben könne, vor allem in den Großstädten. Wenn alle mit ähnlichen Geschwindigkeiten fahren würden, wäre das sicherer als „ständiges Überholen und Drängeln“. Auch einen höheren Schutz von Kindern und Jugendlichen, die langsamer unterwegs sind, würde man so schaffen, so Hurlin.
Herausforderung der Kontrolle
Bleibt allerdings noch die Herausforderung der Kontrolle. Fest stationierte Blitzerfallen scheiden aus, da es ohne Kennzeichen keine Möglichkeit gibt, gegebenenfalls den Fahrer auf dem Foto zu identifizieren. Aber Anhaltekontrollen und eine Geschwindigkeitsmessung mit mobilen Blitzern oder Laserpistolen wären denkbare Mittel, so Jonas Hurlin. Auch Fahrradstaffeln, die eine Zeit lang mitfahren und dabei auf den Tacho sehen, könnten dafür eingesetzt werden.
In Deutschland gibt es bereits lokale Behörden, die handeln, um das Radfahren sicherer zu machen. Ein Beispiel ist die Gemeinde Unterhaching bei München. Die Gemeinde, der Wolfgang Panzer seit 2008 als Bürgermeister vorsteht, hat 2024 ein integriertes Mobilitätskonzept erarbeitet, mit dem Schwerpunkt Radverkehr und Radwegenetz. Im Moment werden die Einrichtung weiterer Fahrradstraßen mit Tempo 30 sowie schärfere Tempolimits auf Hauptverkehrsstraßen geprüft, wie der „Merkur“ berichtet. In der Nachbargemeinde Oberhaching will Bürgermeister Stefan Schelle zu schnelle Radfahrende blitzen, meldet der Bayerische Rundfunk. Dort gibt es einen Radschnellweg bis nach München.
DVR: Missverständnisfreie Infrastruktur schaffen
Aus Sicht des DVR ist das Wesentliche, was die Kommune tun kann, eine selbsterklärende Infrastruktur zu schaffen, die möglichst frei von möglichen Missverständnissen ist. „Das bedeutet, man weiß, wo man fährt, wie schnell man fahren darf, und die Infrastruktur gibt auch die Geschwindigkeiten vor“, heißt es. Das beinhaltet auch, dass man die Verkehrsteilnehmenden möglichst getrennt führt, nicht nur auf der Strecke, sondern vor allem auch an den Kreuzungen.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.