Verkehrssicherheit: Wie Kommunen Kinder und alte Menschen besser schützen können
Jeden Tag sterben acht Menschen im Straßenverkehr in Deutschland, Tendenz sinkend – doch die Zahl der Getöteten ist immer noch deutlich zu hoch. Fani Zaneta ist Referentin für Verkehrssicherheit beim TÜV-Verband. Im Interview erklärt sie, was Kommunen für mehr Sicherheit im Straßenverkehr tun können.
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Schulkinder überqueren eine Straße auf einem Zebrastreifen. Sichere Querungen für schwächere Verkehrsteilnehmende ist ein wichtiger Baustein der Verkehrssicherheit.
DEMO: Welche Maßnahmen können Kommunen heute schon ergreifen, um die Unfallzahlen weiter zu senken?
Fani Zaneta: Mit der Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) im Jahr 2024 haben Kommunen deutlich mehr Handlungsspielraum erhalten, um Verkehrssicherheit vor Ort gezielt zu verbessern. So können sie zum Beispiel baulich getrennte Rad- oder Gehwege einfacher anordnen und oder Querungshilfen, etwa Mittelinseln oder Zebrastreifen, zur sicheren Straßenquerung leichter umsetzen. Besonders relevant ist, dass Tempo 30- Zonen in sensiblen Bereichen wie Schulen, Kitas oder Pflegeeinrichtungen nun unkomplizierter eingerichtet werden können. Hintergrund ist eine grundlegende Neuausrichtung des StVG: während früher das StVG auf Gefahrenabwehr ausgerichtet war, berücksichtigt es heute auch Ziele wie Klima-und Gesundheitsschutz, städtebauliche Entwicklung und eben Verkehrssicherheit. Kommunen haben nun die Möglichkeit, im Voraus, präventiv tätig zu werden, bevor es zu Unfällen kommt. Das ist ein wichtiger Schritt für mehr Verkehrssicherheit.
Wo sehen Sie die größten Gefahrenstellen im Straßenverkehr?
Die meisten Unfälle passieren an Kreuzungen, wo unterschiedliche Verkehrsarten auf engem Raum zusammentreffen. Gerade dort ist die Gefahr besonders hoch. Eine wirksame Maßnahme für mehr Sicherheit ist deshalb die getrennte Verkehrsführung- also die klare Trennung von Auto-, Rad- und Fußverkehr. Wichtig ist zudem die gute Sichtbarkeit im Straßenraum, besonders an unübersichtlichen Stellen. Parkverbote können hier viel bewirken, etwa um Kindern und ältere Personen sichere Querungen zu ermöglichen. Auch eine kluge Ampelsteuerung trägt dazu bei, Konflikte und Unfälle zu verhindern.
Bleiben wir bei diesem Beispiel. Wie kann die Ampelsteuerung hier einen Beitrag leisten?
Im Straßenverkehr dominiert häufig die Prämisse, dass der Autoverkehr möglichst ungehindert fließen muss. Das geht häufig zu Lasten der schwächeren Verkehrsteilnehmenden. In Städten wie Berlin zeigt sich das an Kreuzungen mit kurzen Grünphasen für Fußgänger – sie haben kaum die Möglichkeit, die Kreuzung oder die Straße zu überqueren, weil die Ampelschaltung so kurz geschaltet ist. Viele Kinder wissen schon, dass sie die zweite Hälfte der Straße nicht in einem Zug schaffen, und rennen schon los – oft ohne zu schauen, ob die Fahrbahn wirklich frei ist. Längere Grünphasen für Fußgänger könnten hier einen deutlichen Beitrag zur Sicherheit leisten – insbesondere für Kinder, Ältere und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, wenn die Ampelphasen verlängert werden würden.
Gerade Kinder gehören zu den Schwächsten im Straßenverkehr. Wie können Kommunen sich für mehr Sicherheit stark machen?
Kindern nehmen den Straßenverkehr anders wahr als Erwachsene. Ihre Perspektive, Fähigkeiten und Bedürfnissen müssen deshalb stärker berücksichtigt werden. Das bedeutet auch den Fokus weg vom reinen Autoverkehr hin zu allen Verkehrsteilnehmenden zu verschieben. Mobilitätsbildung ist ein wichtiger Baustein. Der Fahrradführerschein im vierten Schuljahr ist eine gute Sache, danach klafft häufig eine lange Lücke und die meisten setzen sich erst beim Erwerb ihres Autoführerscheins mit den Regeln im Verkehr auseinander. In der weiterführenden Schule hängt es vom Engagement einzelner Lehrkräfte ab, ob Mobilität ein Thema ist. Hier wäre es sinnvoll Mobilitätsbildung struktureller in den Lehrplänen zu verankern, und entsprechende Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte zu fördern.
Wir setzen uns ein, dass neue Mobilitätsformen wie E-Scooter in die schulische Mobilitätsbildung einbezogen werden- gerade, weil sie bei Jugendlichen beliebt sind. Grundsätzlich gilt: wenn Kinder und Jugendliche sich im Verkehr eigenständig bewegen, lernen sie auch die Verkehrsregeln, nicht nur theoretisch, sondern auch durch praktische Erfahrung. Sie werden sicherer, haben ein ganz anderes Gefühl für den Verkehr und ein anderes Verantwortungsbewusstsein. Davon profitieren sie auch später als Erwachsene noch. Genau deshalb ist für uns Mobilitätsbildung sehr wichtig.
Durch den demographischen Wandel gibt es immer mehr ältere Menschen, die am Verkehr teilnehmen. Mit zunehmendem Alter steigt das Unfallrisiko. Was können Kommunen hier tun?
Aus unserer Sicht ist eine altersgerechte Infrastruktur ebenso notwendig – etwa gut erkennbare Fahrbahnen, sichere Querungsmöglichkeiten und geschützte Radwege. Das Ziel dabei ist es, die Mobilität von älteren Verkehrsteilnehmern so lange wie möglich zu verlängern, da sie die Möglichkeit von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben birgt.
Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, dass in den Kommunen mehrere Akteure, also zum Beispiel Polizei oder andere Verkehrssicherheitsakteure zusammenwirken, etwa um gefährliche Stellen auszumachen? Wird da genug getan?
Man kann im Bereich Verkehrssicherheit grundsätzlich immer mehr tun. Der regelmäßige Austausch zwischen allen Akteuren, von Verwaltung über Polizei bis hin zu Schulen oder zivilgesellschaftlichen Initiativen ist wichtig und auf jeden Fall sinnvoll. Wir als TÜV Verband sind Partner der Vision Zero. Einer Initiative mit dem Ziel, die Zahl der Unfalltoten und Schwerverletzten im Straßenverkehr auf Null zu reduzieren. Wir arbeiten auch mit der Initiative für sichere Straßen (IfsS) zusammen. Die IfsS hat ein wissenschaftlich fundiertes, datenbasiertes Bewertungsmodell entwickelt, das hilft die Verkehrssicherheit in Kommunen zu bewerten und Gefahrenstellen zu erkennen. Ich denke, solche Netzwerke existieren daher bereits in vielen Städten und sie sind ein sinnvoller Weg, um Maßnahmen besser abzustimmen und wirksamer umzusetzen.
Kennen Sie Kommunen, die als Vorbild dienen?
Wir arbeiten mit dem Europäischen Verkehrssicherheitsrat (ETSC) zusammen. Vor kurzem hat der ETSC Finnland ausgezeichnet. Helsinki hat bei der Vision Zero die größten Fortschritte gemacht. Ziel dieser Strategie ist es, die Zahl der Getöteten und Schwerverletzten im Straßenverkehr auf Null zu senken.
Weiterführende Informationen finden sich auf der Webseite des TÜV-Verbandes.
Ralf Bauer
ist Redakteurin beim vorwärts-Verlag und schreibt für die DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik.