Warum sich der Bundesfinanzhof mit der Grundsteuer befasst
Erstmals befasste sich der Bundesfinanzhof mit der Frage, ob die 2019 reformierte Grundsteuer dem Grundgesetz entspricht. Verhandelt wurde über das Bundesmodell. Christian Rath war dabei.
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Der Bundesfinanzhof in München
Der Eigentümer eines Einfamilienhauses zahlt pro Jahre einige Hundert Euro Grundsteuer. Wohnungseigentümer*innen zahlen entsprechend weniger, die Eigentümer*innen ganzer Häuserblocks entsprechend mehr. Das jährliche Aufkommmen der Grundsteuer beträgt bundesweit rund 16 Milliarden Euro. Es fließt ausschließlich den Kommunen zu, für die es neben der Gewerbesteuer und dem kommunalen Anteil an der Einkommensteuer eine der wichtigsten Geldquellen ist.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2018 die alte Grundsteuer für verfassungswidrig, weil die zugrundeliegenden Einheitswerte völlig veraltet waren. In Westdeutschland wurden sie zuletzt 1964 festgestellt, in Ostdeutschland sogar schon 1935. In der Zwischenzeit hatten sich die Werte der Immobilien aber je nach Lage sehr unterschiedlich entwickelt, was durch die bloße Fortschreibung der alten Einheitswerte nicht erfasst werden konnte.
Gewinner und Verlierer
Das Bundesverfassungsgericht setzte dem Gesetzgeber eine Frist bis 2019, um ein neues Gesetz zu schaffen, und eine zweite Frist bis 2024, in der noch das alte Grundsteuerrecht angewandt werden durfte. Im Oktober 2019 novellierte der Bundestag das Grundsteuer- und das Bewertungsgesetz. Das Bundesmodell gilt heute in elf Bundesländern. Dagegen schufen fünf Bundesländer – Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen – eigenständige Gesetze.
Politisches Ziel war, dass die Reform „aufkommensneutral” sein sollte. Dieses Ziel wurde auf der Ebene der Kommunen erreicht, indem diese ihre Hebesätze entsprechend anhoben oder senkten. Für einzelne Eigentümer*innen war die Reform aber natürlich nicht neutral. Manche Eigentümer*innen mussen nun weniger Grundsteuer zahlen – und freuten sich still. Dagegen müssen andere Eigentümer*innen, deren Immobilie überdurchschnittlich an Wert gewonnen hatte, jetzt mehr bezahlen und ärgerten sich lautstark.
In den letzten Jahren wurden rund 36 Millionen Immobilien in Deutschland neu bewertet. Seit Jahresbeginn wird die neue Grundsteuer erhoben. Rund 2,8 Millionen Eigentümer*innen erhoben bundesweit Einspruch gegen ihren Steuerbescheid. Sie machten dabei oft vorsorglich von Mustervordrucken Gebrauch, die der Bund der Steuerzahler und der Verband „Haus und Grund” zur Verfügung stellten.
Einspruch erhoben aber nicht nur Eigentümer*innen, deren Steuerlast durch die Reform stieg. Vielmehr hoffen alle darauf, dass die Steuerreform für verfassungswidrig erklärt wird und die Steuer dann an diejenigen zurück gezahlt wird, deren Steuerbescheid nicht bestandskräftig wurde. Sehr realistisch ist die Hoffnung aber nicht – selbst wenn die Klagen Erfolg haben sollten. Auch 2018 erklärte das BVerfG die Grundsteuer-Regelungen nicht für nichtig, sondern ordnete die vorübergehende Fortgeltung an.
Reform mit „Geburtsfehler”?
In den ersten Verfahren vor den erstinstanzlichen Finanzgerichten scheiterten die Kläger*innen ganz überwiegend. Inzwischen sind aber bereits sechzehn Verfahren am Bundesfinanzhof (BFH) anhängig, neun davor betreffen das Bundesmodell.
Am vergangenen Mittwoch verhandelte der BFH drei Verfahren aus Köln, Sachsen und Berlin, in denen die Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells geprüft wurde. Überraschend trat auf Klägerseite auch der Augsburger Rechtsprofessor Gregor Kirchhof auf, der bisher in dieser Sache nur als Gutachter für den Steuerzahlerbund sowie „Haus und Grund” tätig geworden war.
Zunächst rügte Kirchhof einen „Geburtsfehler”, der die Reform schon formell verfassungswidrig mache. Weil die Reform zunächst ohne Grundgesetzänderung geplant war, hätte der Bund, der nach der Föderalismusreform von 1994 die Gesetzgebungskompetenz verloren hat, die Grundsteuer nur sehr behutsam reformieren können. Zwar wurde 2019 das Grundgesetz doch geändert und der Bund erhielt in Art. 105 Abs. 2 GG eine konkurrierende Kompetenz. „Doch die Bundespolitik hielt an ihrem engen Ansatz fest”, kritisierte Kirchhof.
„Das war ein verfassungswidriger Irrtum über die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten”, erklärte Kirchhof vor dem BFH. „Wenn schon im Verwaltungsrecht eine Ermessensunterschreitung rechtswidrig ist, dann muss dies im Verfassungsrecht erst recht gelten”, so der Rechtsprofessor. Die Argumentation ist zwar originell, aber es gibt keine verfassungsrechtliche Pflicht für den Gesetzgeber, seine Gestaltungsmöglichkeiten auszunutzen.
Gleichheitswidrige Reform?
Auch materiell hält Kirchhof das Bundesmodell für verfassungwidrig. Das neue Verfahren zur Bewertung der Grundstücke, das mit vielen Typisierungen und Pauschalierungen arbeitet, verletzte den Gleichheitssatz gem. Art. 3 GG. Kritisiert wurde in München vor allem das Verfahren zur Feststellung der Bodenrichtwerte durch Gutachterausschüsse, das zu ungenau und zu fehlerträchtig sei. Ähnliche Immobilien in ähnlichen Gegenden würden oft ganz unterschiedlich bewertet, so die Kritik.
Ein Vertreter des beklagten Finanzamts Köln Süd hielt dem entgegen: „Bei einem Massenverfahren, das möglichst automatisiert ablaufen soll, kann es keine hundertprozentige Einzelfallgerechtigkeit geben, das wäre viel zu aufwendig”. Es gehe bei Überbewertungen auch nicht um existenzbedrohende Steuersummen, sondern meist um Größenordnungen von 30 bis 100 Euro pro Jahr. Der Beamte erinnerte daran, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Grundstuer-Verfahrens einen weiten Gestaltungsspielraum gegeben habe.
Kirchhof und seine Mitstreitenden betonten, dass auch sie keine Individualbewertung jeder Immobilie anstreben. Die ebenfalls typisierenden Gesetze in Hamburg, Hessen und Niedersachsen seien aber genauer. „Härten durch Typisierung sind nur hinzunehmen, wenn sie nicht vermeidbar sind”, verwies Kirchhof auf ständige BVerfG-Rechtsprechung.
Muss der Bürger das Gesetz heilen?
Unzufrieden zeigte sich Kirchhof auch mit der 2021 gesetzlich eingeführten Möglichkeit, dass Eigentümer*innen eine Überbewertung durch ein Sachverständigen-Gutachten rügen und korrigieren lassen können. Der Bundestag hatte hier eine verfassungskonforme Auslegung des BFH kodifiziert.
„Seit wann ist es Aufgabe der Bürger, ein verfassungswidriges Gesetz zu heilen, indem sie auf eigene Kosten den Fehler nachweisen müssen”, fragte Kirchhof empört. Ein derartiges Gutachten koste im Schnitt 2.500 Euro, das sei mit Blick auf den möglichen Nutzen unverhältnismäßig. Außerdem werde nicht jede überbewertung korrigiert, sondern erst fehlerhafte Abweichungen ab 40 Prozent.
Der Bundesfinanzhof wird die Bedenken hiergegen aber wohl kaum teilen, da das Gegenbeweis-Verfahren ja eine Vorgabe des BFH war.
Der BFH will sein Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des Bundesmodells am 10. Dezember verkünden, kündigte die Vorsitzende BFH-Richterin Franceska Werth an.
Sollte der BFH die bundesgesetzlichen Regelungen für verfassungskonform halten, könnten die Kläger*innen dagegen noch Verfassungsbeschwerde einlegen. Falls der BFH die verfassungsrechtlichen Bedenken jedoch teilt, müsste er den Fall gem. Art 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.
Richterin Werth kündigte an: „Wir werden es nicht allen recht machen können.”
peivat
ist rechtspolitischer Korrespondent für verschiedene Tageszeitungen, den vorwärts und die DEMO.