Wildtiere in der Stadt

Augen und Ohren der Behörden

Carl-Friedrich Höck15. November 2021
Die Stadtnatur-Ranger durchstreifen Berlin auf der Suche nach verborgenen Schätzen.
Die Stadtnatur-Ranger in Berlin sind ein Modellprojekt. Sie behalten die Tier- und Pflanzenwelt im Blick.

Eben noch standen Bennet Buhrke und Nathalie Bunke an einer vielbefahrenen Straße. Doch wenige Schritte weiter ist vom Lärm der Bundeshauptstadt kaum noch etwas zu hören. Stattdessen eröffnet sich der Blick auf den Teltowkanal im Süden Berlins. Es ist ein trüber Herbstmorgen, die Laubbäume links und rechts des Kanals beginnen sich gelb und rot einzufärben. Die Uferböschung ist mit Gras und Schilf bewachsen, man hört einen Frosch quaken. Die beiden Stadtnatur-Ranger, ausgestattet mit dunkelgrünen Regensachen, beginnen ihren Spaziergang.

Modellprojekt der Stiftung Naturschutz

Die Stadtnatur-Ranger sind ein Modellprojekt der Stiftung Naturschutz Berlin. Finanziert werden sie vom Berliner Senat mit rund zwei Millionen Euro pro Jahr. Die Ranger sind nicht mit hoheitlichen Rechten ausgestattet, arbeiten aber eng mit den Bezirken zusammen, insbesondere den unteren Naturschutzbehörden.

„Wir sind ihre Augen und Ohren draußen“, beschreibt Nathalie Bunke das Verhältnis. Die Naturschutzbehörden wüssten oft nicht, wo welche Tier- und Pflanzenarten vorkommen. Das könne aber wichtig sein, etwa für die Bauleitplanung. Also laufen die Ranger das Stadtgebiet in Zweierteams ab, beobachten die Umwelt, dokumentieren Auffälligkeiten und kartieren sie. Oft würden die Ranger auch direkt vom Bezirk gebeten, sich eine bestimmte Stelle anzusehen, erzählt Bunke.

Dem Biber auf der Spur

Heute will sie mit ihrem Kollegen einen Zaun überprüfen, der ein altes Gewerbegrundstück vom Uferweg trennt. Das Areal liegt brach – „eine spannende Flora und Fauna“, schwärmt Bennet Buhrke. Der Zaun soll erneuert werden. Deshalb sehen die Ranger nach, an welchen Stellen ihn Tiere queren. Bereits nach kurzer Zeit stoßen sie auf einen Trampelpfad aus plattgedrücktem Schilf. Für Bunke ist klar: Die Spur kann nur von einem Biber stammen.

Kurz darauf stößt das Team auf eine Lücke im Zaun. Ein umgestürzter Baumstamm hat ihn teilweise zerstört. Dahinter liegen zahlreiche Flaschen auf dem Boden und zeugen von einem vergangenen Gelage. Sofort beginnen die beiden, den Stacheldraht notdürftig zu reparieren. An einer anderen Stelle tritt Wasser aus dem Erdboden. Es hat sich eine Pfütze mit glänzenden Ölschlieren gebildet. Die Ranger sind besorgt: Das Wasser stammt aus einem nahegelegenen Teich, der als natürliches Klärwerk dienen soll für Kühlwasser, das aus benachbarten Fabriken abfließt. Bennet Buhrke fotografiert die Stelle mit seinem Handy und trägt eine Meldung in eine digitale Karte ein.

Stadtnaturranger ergreifen Maßnahmen zum Schutz der Biotope

Die Stadtnatur-Ranger sind weit mehr als nur Dokumentaristen, die seltene Tier- und Pflanzenarten oder Fälle von Vandalismus verzeichnen. Sie ergreifen auch selbst Maßnahmen zum Schutz der Biotope, pflegen Netzwerke mit Naturschutzverbänden und betreiben Umweltbildung, etwa bei Spaziergängen mit Schulklassen.

Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Öffentlichkeitsarbeit: Die Ranger sprechen mit Bürgerinnen und Bürgern, informieren sie über die Stadtnatur und klären sie auf. Zum Beispiel darüber, warum das Wildbaden am Plötzensee die Rückzugsgebiete der Tiere stört.

Vorbild New York

Als Vorbild für das Projekt dienten die „Urban City Rangers“ in New York. In Deutschland gab es bisher kein vergleichbares Konzept. Hamburg hat Ranger für die Naturschutzgebiete, „aber da geht keiner auf die Brache oder Grünanlage“, erzählt Nathalie Bunke. Also habe man bei Null angefangen und Schritt für Schritt Erfahrungen gesammelt. Das Team umfasst knapp 30 Köpfe. Pro Bezirk sind zwei Ranger unterwegs.

Dazu kommt ein Innenteam mit wissenschaftlichen Mitarbeitern: Einer für die Flora, einer für die Fauna, einer für die Daten. Großstädte würden immer öfter zu einem Hotspot der Artenvielfalt, sagt Bunke. Berlin sei eine der grünsten Städte Europas – „weil wir für viele Pflanzen- und Tierarten so unglaublich viele mosaikartige Lebensräume haben: Da sind Friedhöfe, da sind Brachen, da sind Mauerritzen, Parks, Wälder.“

Nur wenn man wisse, welche Schätze es gibt, könne man Konzepte entwickeln, um sie zu erhalten. Das sei auch für die Menschen wichtig. Denn die Natur verbessere das Stadtklima und schaffe kleine Erholungsräume. „Wir profitieren ja alle davon, was hier draußen an Umsonst-Leistungen zur Verfügung gestellt wird“, betont Bunke.

Heute muss der Spaziergang vorzeitig abgebrochen werden. Ein starker Regen hat eingesetzt. Auch das gehört zum Alltag der Ranger. Nathalie Bunke stört es nicht. Sie mag die abwechslungsreiche Arbeit. „Der beste Job der Welt“, sagt sie und lächelt.